Candidate Experience mit Undercover-Bewerbung testen

Was erleben Nachwuchstalente, wenn sie sich bewerben? Dieser Frage konnten Personaler auf der Fachmesse Talent-pro 2018 nachgehen. Theresa Rollmann nutzte diese Chance und bewarb sich als „Undercover HR-Boss“ im eigenen Unternehmen. Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen.

Haufe Online-Redaktion: 2018, als die Recruiting-Fachmesse Talent-pro erstmals in München stattfand, zog eine große schwarze Box mit der Aufschrift „Undercover HR-Boss“ die Aufmerksamkeit auf sich. Auch Ihr Unternehmen hat an der Aktion teilgenommen. Wie kam es dazu?

Theresa Rollmann: Die Recruiting-Studie Best Recruiters war uns schon ein Begriff, deshalb kamen mein Kollege und ich an den Stand, um nach Neuigkeiten und Hintergrundinformationen zu fragen. Aus der Entfernung sahen wir schon eine große Black-Box. Das hat unsere Neugierde geweckt und war auch der Auftakt zum Gespräch. Ein Mitarbeiter erläuterte uns dann den Hintergrund der Aktion „Undercover HR-Boss“: Recruiter werden zu Bewerbern und testen ihre eigenen Recruitingkanäle. Wir dachten uns: Warum eigentlich nicht? Es ist sicherlich gut, einen externen Blick auf die eigene Candidate Experience zu werfen.

Haufe Online-Redaktion: Wie funktionierte das verdeckte Bewerben?

Rollmann: Zunächst überlegten wir uns, welche Position für den Test in Frage kommen könnte. Im Zentralbereich Personal hatten wir gerade eine Stelle in Frankfurt ausgeschrieben, gesucht war ein Personalreferent beziehungsweise eine Personalreferentin. Für diese Position galt es nun, sich aus mehreren vorliegenden Profilen eines auszusuchen. Wir versuchten, jemanden mit Personal-Hintergrund zu finden, zum Beispiel einem passenden Studium. Gefunden haben wir das Profil einer jungen Frau, die als Junior-Personalreferentin angestellt war. Das passte gut.

Online-Bewerbung mit einem fiktiven Lebenslauf

Haufe Online-Redaktion: Dann bewarben Sie sich unter diesem Alias im eigenen Unternehmen?

Rollmann: Wir wählten diesen fiktiven Lebenslauf aus und durchliefen dann den ganz normalen Prozess, den auch ein externer Bewerber gehen würde. Über die Karrierewebseite sind wir auf die Stellenanzeige gegangen und haben im Online-Formular die benötigten Daten ausgefüllt – natürlich auf Basis der uns vorliegenden Profildaten. Dann haben wir den Lebenslauf hochgeladen und die Bewerbung verschickt. Danach sagten wir: Jetzt schauen wir mal, was passiert.

Haufe Online-Redaktion: Und was ist passiert?

Rollmann: Wir kamen von der Veranstaltung zurück und schauten im System, ob die Unterlagen eingegangen waren. Im Kollegenkreis haben wir nichts erwähnt, denn wir wollten einen realistischen Ablauf testen. Dieser entsprach unserem gängigen Prozess: Ein Zwischenbescheid wurde verschickt und der Bewerbungsprozess startete. Das beobachteten wir rund zwei Wochen lang und irgendwann sahen wir im System: Es wurde eine Absage verschickt, da die Bewerberin nicht die benötigte Berufserfahrung mitbrachte. Einige Tage später erhielten wir eine Auswertung von Best Recruiters. Der Bericht analysierte den Umgang mit dem Bewerber detailliert: Inwieweit haben wir die Kriterien, die dort abgefragt werden, erfüllt? Was war besonders gut, was besonders schlecht? Was sollte verbessert werden?

Zehn Kriterien werden im Detail überprüft 

Haufe Online-Redaktion: Welche Kriterien wurden im Bewerbungsprozess überprüft?

Rollmann: Es war eine Auswahl von etwa zehn Kriterien, unter anderem die persönliche Ansprache, die Angabe einer Kontaktperson im Zwischenbescheid, die Anerkennung und Wertschätzung, der Absagegrund und Details zur Absage. Zusätzlich zum Auswertungsbogen erhielten wir einige Hinweise zu der Auswertung, die die Kollegen von Best Recruiters durchgeführt haben.

Haufe Online-Redaktion: Wo hatten Sie die größten Aha-Effekte?

Rollmann: Interessant fand ich den Punkt Anerkennung und Wertschätzung, auf den detailliert eingegangen wurde. Laut der Auswertung gilt dieses Kriterium unter anderem als erfüllt, wenn der Arbeitgeber die Mühe und/oder Qualifikation der Bewerber würdigt. Wir schreiben standardmäßig in etwa: „Die Mühe, die Sie in Ihre Bewerbung investiert haben und für die Zeit, in der Sie auf eine Rückmeldung gewartet haben – für all das bedanken wir uns“. Das machen wir im ersten Schritt aus Höflichkeit und Respekt, aber dass das als eigener Bestandteil des Prozesses angesehen wird, hätte ich so im Detail nicht gedacht.

Gute Noten für die Candidate Experience 

Haufe Online-Redaktion: Dann haben Sie also ziemlich gut abgeschnitten?

Rollmann: Insgesamt war unser Ergebnis sehr positiv. Von maximal acht Punkten erreichten wir 7,5 Punkte. Auch bei der Angabe der Kontaktperson gab es die volle Punktzahl. Wir versuchen unseren Recruitingprozess sehr transparent zu halten. Wir wollen den Bewerbern die Möglichkeit geben, über verschiedene Kanäle Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir nennen einen persönlichen Ansprechpartner mit Positionsbezeichnung, E-Mail-Adresse und weiteren Kontaktmöglichkeiten. Das alles wurde als positiv herausgestellt. Der einzige Punkt, bei dem angemerkt wurde, dass wir nicht detailliert genug vorgehen, ist der Absagegrund. Hier haben wir eine vage Formulierung gewählt, um keine Probleme mit dem AGG zu bekommen. Dafür bekamen wir einen halben Punkt abgezogen. Zusätzlich erhielten wir ein Best-Practice-Beispiel für ein Absageschreiben, mit dem man nicht in Konflikt mit dem AGG gerät.

Die Kontaktpunkte müssen persönlich, individuell und einprägsam sein

Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig ist eine gute Candidate Experience für Ihr Unternehmen?

Rollmann: Für mich ist das das A und O, dass jeder Kontaktpunkt mit dem Bewerber sehr positiv bewertet wird, angefangen von dem Augenblick, in dem er ein Stellenangebot sieht. Die Kontaktpunkte müssen persönlich, individuell und einprägsam gestaltet sein, sodass wir uns in der Kommunikation mit den Bewerbern von anderen Arbeitgebern abgrenzen können. Deshalb nehmen wir die Candidate Experience ernst und sehen uns regelmäßig die einzelnen Kontaktpunkte mit den Bewerbern an, um ein möglichst positives Bewerbungserlebnis entstehen zu lassen. Dabei geht es nicht nur um die Kommunikation während des Bewerbungsprozesses, sondern auch um die Möglichkeit, sich vor der eigentlichen Bewerbung zu informieren. Deshalb bieten wir Interessanten an, uns per Whats-App zu kontaktieren und Fragen zu stellen. Auch der Auftritt auf Messen oder die Pflege von Unternehmensprofilen im Internet – beispielsweise auf Kununu – sind wichtige Touchpoints.

Haufe Online-Redaktion: Führen Sie zusätzlich zu ihren eigenen Tests Umfragen mit Bewerbern zu ihrer Candidate Experience durch?

Rollmann: Best Recruiters macht genau das: Sie bewerben sich anonym in Unternehmen, in deutlich größerem Ausmaß als beim „Undercover HR-Boss“. Sie achten nicht nur auf den Umgang mit Bewerbungen, sondern untersuchen unter anderem auch die Präsenz auf Online-Plattformen. Bei Best Recruiters haben wir uns noch nicht angemeldet, weil wir uns gerade in einer Umstrukturierung befinden. Aber in den Mails, die wir an die Bewerber verschicken, bitten wir sie, den Bewerbungsprozess auf Kununu zu bewerten. So erhalten wir von den Bewerbern recht offene Rückmeldungen.

Zentrales Rekrutierungscenter für mehr Schnelligkeit und Qualität

Haufe Online-Redaktion: Inwiefern wollen Sie Ihr Recruiting umstrukturieren?

Rollmann: Wir sind eine familiengeführte Unternehmensgruppe, die in die letzten Jahre im Zentralbereich Personal sehr stark gewachsen ist. Der Umfang der Rekrutierung sowie die Anzahl der Auswahlverfahren haben enorm zugenommen und einige Prozesse konnten demnach parallel nicht schnell genug angepasst werden. Um dem entgegenzuwirken sind wir momentan dabei, ein internes zentrales Rekrutierungscenter – vergleichbar mit einer Inhouse-Personalberatung – aufzubauen. Im ersten Schritt wollen wir eine telefonische Vorauswahl etablieren, um nur noch eine Shortlist mit Kandidaten an unsere Personalreferenten weiterzugeben, die dann das persönliche Gespräch führen. So können wir den Bewerbern rascher eine Rückmeldung geben und auf eingegangene Bewerbungen schneller reagieren. Außerdem glaube ich, dass das zu einer höheren Qualität führt, weil wir im Telefonat vorab Voraussetzungen wie Reisebereitschaft, Wechselmotivation et cetera abklären können. Zusätzlich bekommen wir einen größeren Einfluss auf die Dauer des Auswahlverfahrens und die Candidate Experience.

Haufe Online-Redaktion: Wie viele Bewerbungen erhalten Sie pro Jahr?

Rollmann: Im vergangenen Jahr gingen bei uns rund 13.000 Bewerbungen ein. Bei dieser Zahl kann man sich vorstellen, dass das Recruiting bei uns ziemlich zeitintensiv ist. Deshalb versuchen wir, den Prozess zu verschlanken.


Theresa Rollmann ist Abteilungsleiterin Personalmarketing bei der familiengeführten Gauselmann-Gruppe in Espelkamp.