Digitale Kompetenz: HR traut sich noch nicht zur Digitalisierung

Als Beraterin und ehemalige Personalerin kennt Kristen Herde die Herausforderungen von HR in der Digitalisierung – und Wege, sich Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Im Interview erklärt sie aber auch, warum so viele Personalabteilungen noch vor diesem Weg zurückschrecken.

personalmagazin: Alle sprechen von den Folgen der Digitalisierung. Sie beraten Unternehmen in diesem Wandel. Wie sehr spürt HR überhaupt diese Entwicklung?

Kristen Herde: HR ist sich der entscheidenden Rolle, die es hier innehat, oftmals noch gar nicht bewusst. Denn Digitalisierung ist mehr als nur eine Software oder Apps und andere digitale Tools einzuführen. Es ist vor allem eine Frage der Unternehmenskultur. Wir sind bei unserer Beratungsarbeit oftmals auf Unternehmen gestoßen, die in Teilabteilungen oder sogar in der IT bereits "Social Collaboration Tools" in der Schublade hatten. Aber keiner rollt sie aus. Warum ist das so? Weil wie so oft, die mit der Software einhergehende Veränderung in den Prozessen, Verantwortlichkeiten, Reaktionszeiten oder auch Kanälen nicht geübt oder gar zugelassen wird. Führungskräfte müssen die neue Kultur vorleben und HR muss die Kulturänderung begleiten. Und vor allem muss HR die digitalen Köpfe von morgen finden sowie für das Unternehmen begeistern. Das schaffen die Personaler nicht nur damit, Stellenanzeigen auf Facebook zu schalten. Vielmehr muss eine digitale Unternehmenskultur die externe Marke intern widerspiegeln – bis in den Kern. Das ist vor allem die Aufgabe von HR.

 

personalmagazin: Wie digital ist HR denn heute schon?

Herde: Im großen Schwimmbecken der Digitalisierung sind manche Abteilungen geborene Schwimmer. Manche lernen gerade schwimmen. Andere sind noch ganz am Anfang. HR allerdings steht auf dem Startblock und traut sich nicht zu springen.

 

personalmagazin: Warum nicht?

Herde: Weil HR beim Thema Digitalisierung gefangen ist zwischen der IT, der internen Kommunikations- und der Rechtsabteilung. Es scheint so, das HR kein Eingangstor für das Thema findet. Personalverantwortliche wissen offenbar nicht, wo sie anfangen sollen und wer der Treiber des Themas sein sollte. Sie befassen sich zu sehr mit den digitalen Tools, über die sie nur schwer einen Überblick erhalten. Dabei ist das eigentlich einfacher als gedacht. HR-Mitarbeiter müssen ja nicht ab sofort Programmierer sein, alle technischen Kompetenzen beherrschen und rechtliche Grenzen im Detail kennen – vielmehr ist das ganze erst einmal eine Kopfsache: Sie müssen klären, warum das Thema Digitalisierung für HR interessant ist und welchen Mehrwert es für HR mit sich bringt.

 

personalmagazin: Und welche Mehrwerte sind das im Einzelnen?

Herde: Im Recruiting lassen sich dank der Vielfalt von digitalen Kanälen neue, innovative Kampagnen fahren. Damit meine ich natürlich mehr als ein – im schlimmsten Fall – schlecht gerapptes Video auf Youtube. Vielmehr braucht es ganzheitliche Konzepte, mit denen man dann die Zielgruppen genauer erreichen kann, und daran anschließende optimale Prozesse für eine positive "Candidate Experience". Denn eine Arbeitgebermarke muss – nach innen wie außen – dem mehr und mehr digitalisiertem Markenbild entsprechen, das ein Unternehmen seinen Kunden kommuniziert.

 Für die Zusammenarbeit im Unternehmen bedeutet die Digitalsierung, dass neue Wege der Kommunikation entstehen. Gerade "Social Collaboration Tools" ermöglichen schnelles und direktes Feedback. Das wünschen sich Mitarbeiter heute – nicht mehr das formelle Mitarbeitergespräch im Jahresturnus. Auch die "Customer Experience", also die Erfahrungen der internen Kunden mit HR, kann sich verbessern. So lassen sich beispielsweise Vertragsänderungen oder Ähnliches als digitale Services aufsetzen.

 

personalmagazin: Es gibt Beispiele von wirtschaftlich stabilen Unternehmen, die sich bisher weitgehend einer Digitalisierung verweigern konnten und das auch als Pluspunkt sehen. Wie geht das weiter?

Herde: Ich glaube nicht, dass diese Unternehmen sich aktiv verweigern. Selbstverständlich hat gerade ein Mittelständler nicht die Mittel, um die großen HR-Systeme anzuschaffen. Aber dafür gibt es genügend smarte, digital-basierte, mobile Lösungen. Da der Markt hier gerade extrem breit wird, wird es allerdings auch schwer, den Überblick zu behalten – das behindert sie wahrscheinlich etwas. Aber gerade im Recruiting muss der Mittelstand Gas geben. Schließlich kommen diese nicht mehr automatisch zu den Unternehmen, sondern wollen gefunden und umgarnt werden. Auf digitale Kanäle können Mittelständler dabei auf Dauer nicht verzichten. Zudem müssen sie den neuen Mitarbeitern auch eine Unternehmenskultur bieten, die sich dem Digitalen nicht verweigert. Sonst sind sie schnell wieder weg.

 

personalmagazin: Was sind die wichtigsten To-dos, zu denen Sie Personalern auf dem Weg zur Digitalisierung raten?

Herde: Es hilft nichts, aber ganz vorne steht nun mal die Bestandsaufnahme: Wie steht HR intern im Vergleich zur externen Marke da? Welche KPIs müssen angegangen werden? Welche Kanäle sind erschlossen, welche nicht? Wie steht es um die Mitarbeiterzufriedenheit und Nutzung von bestehenden Tools und Prozessen? Dabei muss nicht zwangsläufig herauskommen, dass mehr gemacht werden muss. Wenn sich auf die letzten 20 Stellen auf Pinterest niemand beworben hat, dann sollte man so etwas vielleicht erst einmal wieder einstellen. Wenn trotz neuem System immer noch 80 Prozent aller Mitarbeiter anrufen, dann liegt das Problem vielleicht doch woanders. Auch intern gilt: lieber wenige Sachen richtig gut machen und damit Mitarbeiter und Bewerber begeistern. So bleibt auch mehr Zeit für die zwischenmenschliche Kommunikation. Denn digitale Tools werden diese Aufgabe von HR niemals ersetzen. Idealerweise verschaffen Sie HR sogar mehr Zeit dafür.

 

personalmagazin: Welche neuen Kompetenzen braucht HR für das Thema Digitalisierung?

Herde: Zunächst mal stehen wir vor dem größten Change, den die Arbeitswelt seit langer Zeit gesehen hat. Also sind Empathie, Begeisterungsfähigkeit, Flexibilität aber auch Kommunikation weiterhin wichtige Kompetenzen für HR. Was sicherlich neu sein wird, sind ebenso starke analytische Fähigkeiten beziehungsweise der Umgang mit Daten. Ob es der Umgang mit sozio-demografischen Daten, mit neuen KPIs, oder mit dem Auswerten von Google Analytics für die neueste Recruitingkampagne ist: auch HR wird im Rahmen der Digitalisierung härter gemessen werden. Und öfter. Und in vielen Dimensionen. Dabei ist vor allem für HR wichtig, dass man selbst unterscheiden kann, welche Daten relevant sind und welche nicht. Denn kommen werden die Fragen danach so oder so.

 

Das Interview führte Kristina Enderle da Silva.

 

Kristen Herde ist Gründerin der Beratungsagentur YeaHR. Davor war sie Global HR Director bei Eon Climate & Renewables.

Haufe Online Redaktion

Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Candidate Experience