Dynamische Führung: drei Leadership Hacks

Führungskräfte stehen zunehmend unter Druck – die Anforderungen in der beschleunigten Arbeitswelt sind hoch und teils widersprüchlich. Sie müssen anpassungsfähiger werden und das Führungssystem dynamischer. Diese radikale Transformation in der Führung lässt sich nicht von heute auf morgen anschieben. Drei Beispiele zeigen, wie Unternehmen mehr Dynamik erzeugt haben.

Nur rund 50 Prozent der Wirksamkeit von Führung hängen von der eigentlichen individuellen Führungskompetenz ab – die übrigen 50 Prozent werden vom organisationalen Rahmen bedingt. Wenn man Führung also nicht auch über den Kontext entwickelt, schöpft man die damit verbundenen Potenziale nur rund zur Hälfte aus. Tatsächlich wird wirksame Führung im schlimmsten Fall sogar unmöglich, wenn Führungskräfte ständig in einem Realitäts-Clash zwischen Anforderungen und Rahmenbedingungen agieren müssen. Unternehmen müssen sich also zwangsläufig auch systemisch verändern, wenn sie dynamische Führungssysteme aufbauen wollen.

Dynamik in der Führung entsteht vor allem durch Vernetzung und das Auflösen von Systemblockaden. Daneben ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Führungsrollen fluide zwischen Ebenen und Personen wechseln können – sie sind nicht allein auf Führungskräfte beschränkt.

Dynamische Führungssysteme erfordern eine umfassende Transformation

Die Transformation hin zu einem dynamischen Führungssystem muss auf drei Ebenen verlaufen:

  • auf individueller Ebene (Entwicklung des Mindsets, des Verhaltens und der nötigen Skills von Führungskräften)
  • auf kollektiver Ebene (Fördern von Interaktion und Wissensgenerierung durch Ökosysteme)
  • auf organisationaler Ebene (Entwicklung der systemischen Faktoren und des Kontextes für Führung)

Wer allerdings mit dynamischer Führung warten will, bis das Umfeld im Unternehmen optimal ist, wartet unter Umständen zu lange. Dies ist keine Option. Es gibt jedoch Möglichkeiten, bereits heute erste Schritte hin zu mehr Anpassungsfähigkeit einzuleiten und Führung wirksamer zu machen. Das zeigen die folgenden Leadership Hacks aus der Praxis.

Leadership Hack 1: Muster brechen durch Experimente

Experimente können Anstoß für die Auflösung von Systemblockaden sein, wenn sie in Schutzzonen stattfinden. Solche Experimente sollten mit Relevanz verprobt und skaliert werden können. Dafür müssen sich Führungskräfte über Blockaden in ihrem Kontext bewusst sein und Experimente entwickeln, bei welchen bestehende Muster gebrochen werden dürfen. Der Mehrwert besteht im direkten Erleben.

Die Puls GmbH aus München liefert dafür ein Beispiel: Sie gehört als Weltmarktführer für Hutschienen-Netzteile zu den erfolgreichsten "Hidden Campions" hierzulande und gilt auch als Vorreiter des Future-of-Work-Ansatzes. Das inhabergeführte Unternehmen mit knapp 1.400 Beschäftigten setzt auf seine sogenannte "120-Prozent-Mentalität". Das heißt: Neue Produkte werden vor der Einführung zunächst einmal so lange gestresst, bis sie nicht mehr funktionieren – und erst nach erneuter Optimierung auf den Markt gebracht. Die Puls GmbH versteht sich selbst als Unternehmen, dem man vertrauen kann und dies prägt auch die Zusammenarbeit.

Puls steht seit über 40 Jahren für eine nachhaltige und stabile Unternehmenskultur. Diese Werte sollen auch Bestandteil sein, wenn es um agilere Ansätze und das Fehler machen im Sinne gemeinsamer Lernprozesse geht. Daher ist es das Ziel, die bestehenden Werte mit neuen Arbeitsweisen in Einklang zu bringen und nicht, diese zu verändern. Dafür nutzt die Puls GmbH die globale Einführung von SAP. Das SAP-Projekt soll Musterbrüche auslösen und das Unternehmen über organisationales Lernen schrittweise an die Vereinbarkeit zwischen den bestehenden Werten und Agilität heranführen. Das SAP-Team experimentiert somit im geschützten Rahmen des Projektes und optimiert über regelmäßige Feedbackzyklen seine Arbeitsweise. So sind unter anderem "Mindfulness Pitstops" entstanden, ein Workshop-Format, bei dem das Team sein Mindset kritisch hinterfragt und agile Denkmuster ausbildet. Diese Lernerfahrungen werden im Projekt verprobt und in das Unternehmen multipliziert.

Leadership Hack 2: Bestehende Systemregeln infrage stellen

Starre Regeln bringen Führungskräfte oft in erlernte Hilflosigkeit und erzeugen Blindheit für potenzielle Freiräume im System. Führungskräfte können dem entgegenwirken, indem sie Regeln bewusst hinterfragen. Ein Beispiel dafür findet sich an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU): Sie hat mit dem berufsgleitenden "Master für Transformationsdesign & Management" die Systemregeln im Bildungsbereich neu ausgelegt und so erstmals ein Programm an eine Hochschule gebracht, das auf agilen Methoden und Design-Thinking-Prinzipien aufbaut (mehr zur Design-Thinking-Methode lesen Sie hier).

Für den Bildungsbereich, der mit Blick auf Qualitätsstandards und Verfahren als stark formalisiert gilt, ist dieses Masterstudium geradezu revolutionär: Der Studiengang ist als eine explorative Lernreise gestaltet, mit einem Wechsel aus Wissensvermittlung, Reflexion und dem direkten Transfer in den Unternehmensalltag. Neues Wissen wird so zwischen den Vermittlungsphasen im realen Umfeld pilotiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dadurch bereits parallel zur Ausbildung als Transformationsbegleiter wirksam und lernen in einem iterativen Erfahrungsprozess. Es wird die Zeit zwischen der Wissensvermittlung und der Anwendung im Unternehmen verkürzt.

Ausschlaggebend für das Gelingen war die Rückendeckung der Hochschule, als es darum ging, die Systemregeln neu auszuloten – dies unter der Bedingung, dass das Programm die Akkreditierung erfolgreich durchläuft, was in engem Kontakt mit den Entscheidern gelungen ist.

Das Beispiel der HfWU zeigt, dass selbst in stark formalisierten Kontexten mit dem nötigen Commitment Neues im Rahmen der bestehenden Regeln geschaffen werden kann. Dabei sind zwei Bedingungen für das Ausloten von Regeln wesentlich: Erstens sollten Regeln nicht rückwärtsgewandt, ausgehend von bisherigen Erfahrungen, interpretiert werden, sondern mit dem Blick in die Zukunft. Zweitens geht es nicht darum, Regeln rebellisch zu brechen, sondern deren Auslegung zu erweitern.

Leadership Hack 3: Ansteckungsprozesse fördern

Für eine spürbare Veränderung braucht es die Beteiligung von etwa 15 Prozent der Betroffenen. Man könnte also eine erste Dynamisierung bereits durch die Initiative eines Teils der Führungskräfte anstoßen – vernetzt über Silos hinweg und zur Forcierung gemeinsamer Ziele. Wenn Führungskräfte den gezielten Bedarf für eine Vernetzung erkennen, kreieren sie Relevanz, sodass sich die Plattformen mit Leben füllen.

In einem Unternehmen der verarbeitenden Industrie mit mehr als einhundert Standorten geschieht dies in der Umsetzung eines globalen Digitalisierungsprojekts. Bei diesem Projekt sind Plattformen geschaffen worden, über welche sich etwa ein Fünftel der betroffenen Führungskräfte austauschen. Thema ist, in welchem Zusammenhang das bestehende Führungsverständnis mit dem Digitalisierungsprojekt steht. Durch den gemeinsamen Abgleich der Projektumsetzung mit dem Bedarf an Führung, treten die Führungskräfte in einen offenen Dialog. Das Projekt wird als Anwendungsfall für das Ausprobieren neuer Führung genutzt und als Vehikel zum Fördern von Vernetzung. Die Führungskräfte lösen selbst eine Bewegung aus, um Führungsverhalten kritisch zu reflektieren und um neue Führungsverhaltensweisen direkt im laufenden Projekt zu pilotieren.

Iterative Lernerfahrungen und gemeinsame Erfolge fördern dabei Ansteckungseffekte über die Gruppe hinaus. So werden die Beteiligten zu Multiplikatoren ins Unternehmen hinein und hin zu den Mitarbeitenden. Wichtig für die Wirkung dieses Multiplikatoreneffekts ist das auf Freiwilligkeit beruhende Beteiligungsangebot sowie der klare Bezug zu einem strategischen Projekt. Somit wird das Thema "Führung" nicht theoretisch diskutiert oder als eine Alibiübung neben dem Tagesgeschäft empfunden, sondern in einer positiven Wechselwirkung mit einem realen Projekt erfahren.

Weitere Ausführungen zur Entwicklung dynamischer Führungssysteme finden Sie auf Sandra Berenbolds Blog "Impact290Degrees".


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