Hype oder Zukunft von HR: Was ist Employee Experience?
Dr. Kaveh Abhari, Assistenzprofessor für Informationssysteme am Fowler College of Business an der San Diego State University, schlug gemeinsam mit Kollegen in einem wissenschaftlichen Artikel 2008 die Brücke zwischen Customer Experience und den Beschäftigten: Ihm war aufgefallen, dass viele führende Marken ihre Customer Experience zu stärken versuchten, indem sie in ihre Mitarbeitenden investierten. Abhari beschreibt drei Bereiche, die für Employee Experience entscheidend sind: Sinn in der Arbeit, Empowerment durch Führung, Weiterbildung und Technologie sowie Verantwortung für die Arbeitsergebnisse.
Employee Experience erobert die Praxis
In der Praxis fand die Idee erst später Resonanz: Mark Levy gilt als Pionier für Employee Experience und trug mit seinem Einstieg als Global Head of Employee Experience bei Airbnb 2013 das Konzept im Titel. Seit 2016 häufen sich Konzepte für Employee Experience, getrieben durch neue Software, Angebote von Beratungen und Weiterbildungsangebote von Veranstaltern und Verbänden. Spätestens mit der Coronapandemie wird Employee Experience zur heißesten Managementmode für HR.
Definitionen von Employee Experience
Konzepte für Employee Experience fordern von HR, sich in die Mitarbeitenden hineinzuversetzen und die Arbeitswelt durch ihre Augen zu betrachten. Employee Experience bezeichnet die Kombination aller Interaktionen und Erfahrungen, "die Mitarbeitende im Laufe ihrer Beschäftigung in und mit der Organisation sowie mit den darin handelnden Personen machen" (Definition von Felicitas von Kyaw und Leon Jacob in "Digital HR. Smarte und agile Systeme, Prozesse und Strukturen im Personalmaganagement". Hier gelangen Sie zum Buch im Haufe-Shop). Einfluss darauf haben die Unternehmenskultur, die technologische Umgebung mit ihren Tools und Geräten sowie die physische Umgebung der Beschäftigten im Büro oder Homeoffice. Berührungspunkte, die mit positiven Eindrücken und Emotionen verbunden sind, sollen die allgemeine Zufriedenheit, das Engagement der Beschäftigten und somit die Arbeitsleistung steigern.
"Moments that matter": Schlüsselerlebnisse, die den Unterschied machen
Als besonders prägend gelten Momente, in die Mitarbeitende emotional involviert sind und die ihre persönliche Wahrnehmung beeinflussen, sogenannte "moments that matter": der erste Tag im Job, Feedback-Gespräche, der Umgang mit Krisensituationen und privaten Zwischenfällen oder die Kommunikation von organisationalen Veränderungen. Diese Schlüsselmomente möchten Unternehmen positiv gestalten, indem sie die Bedürfnisse der Beschäftigten – etwa nach psychologischer Sicherheit, Anerkennung und Wertschätzung – erfüllen und mit Interaktionen und Prozessen verknüpfen. Gute HR-Prozesse für Urlaubsanträge und Gehaltsabrechnungen reichen dafür also nicht aus. Für einen unternehmensspezifischen Employee-Experience-Ansatz können Methoden aus dem Marketing oder dem Innovationsmanagement wie etwa Design Thinking zum Einsatz kommen. "Employee Experience Design" meint ein aktives Produktportfoliomanagement für HR, das die strategischen Ziele des Unternehmens ebenso berücksichtigt wie die Kundenanforderungen.
Tools und Plattformen für Employee Experience
Einfluss auf die Employee Experience haben mit fortschreitender Digitalisierung Tools und Plattformen, die Unternehmen für Beschäftigte bereitstellen. Diese sollen nicht nur einen reibungslosen Arbeitsablauf ermöglichen, sondern Mitarbeitende auch in die Lage versetzen, Inhalte und Oberflächen zu individualisieren und gemäß ihrer Nutzerbedürfnisse anzupassen. Employee Experience Plattformen (EXP) ergänzen die Intranets oder Mitarbeiterportale von Unternehmen oder lösen diese gar ganz ab. Beschäftigte sollen dort alles finden, was sie brauchen, um ihren Job zu erledigen, zu lernen und sich mit Kollegen auszutauschen. Zu den Anbietern gehören beispielsweise Workday, ServiceNow, Oracle, SAP SuccessFactors und Qualtrics. Immer mehr klassische HR-Softwareanbieter sprechen in ihrem Marketing von Employee Experience. Wie die Entwicklung von Microsoft Viva zeigt, drängen inzwischen auch neue Player auf den Markt.
KPIs: Employee Experience messen
Wenn Unternehmen ihre internen Prozesse aus Sicht der Beschäftigten designen, erwarten sie positive Auswirkungen auf operative Key Performance Indicators (KPIs): Fluktuation, Krankenstand, Zufriedenheit der Mitarbeitenden, psychische Gefährdungsbeurteilung und die operative Leistung der Teams oder der gesamten Organisation, gemessen an Umsatz oder Gewinn, können geeignete Messgrößen für Employee Experience sein. Doch HR allein kann nicht für Performance sorgen. Wer die Erfahrung der Beschäftigten nur an einzelnen Touchpoints – zum Beispiel über Feedbacksysteme – misst, kann zwar Anhaltspunkte liefern, um bestimmte Aspekte der Arbeitsumgebung zu verbessern. Doch nicht alle gewünschten Erfolgsfaktoren lassen sich einfach erheben, wie etwa die Qualität der Kundenberatung, Empowerment oder Employability. Es ist sehr anspruchsvoll, ganzheitliche Employee-Experience-Bemühungen zu messen. In einigen Unternehmen ist die Evaluation von Employee Experience deshalb Teil eines stringenten Zielemanagements, das auch auf Objectives and Key Results (OKRs) beruhen kann.
Hindernisse bei der Umsetzung von Employee Experience
Neben der Schwierigkeit, dass der Erfolg von Employee-Experience-Ansätzen nicht einfach an einzelnen KPIs ablesbar ist, gibt es noch weitere Stolpersteine:
- Crossfunktionalität: Employee Experience sollte ein funktionsübergreifendes Unterfangen sein: HR muss mit anderen Abteilungen wie IT oder Marketing Hand in Hand arbeiten und braucht eine entsprechende Strategie.
- Support der Führungskräfte: Leicht laufen Employee-Experience-Initiativen an den Führungskräften vorbei, was zu fehlenden Investitionen und schlechter Ausstattung für das Thema führen kann.
- Komplexität von Organisationen: Die Wechselwirkungen zwischen Unternehmenskultur, Schlüsselmomenten und dem Zielbild eines Unternehmens sind vielfältig. Es besteht die Gefahr, dass sich HR in komplizierten Ansätzen verzettelt.
- Echtzeitinformationen: Viele Unternehmen haben keine Daten, mit denen sie ihre KPIs messen können oder diese liegen erst zeitverzögert vor.
Kritik an Experience Economy und Fazit
Dass Menschen in Unternehmen im Mittelpunkt stehen sollten, ist nichts Neues. Employee Experience verpackt die Uraufgabe von HR in ein neues Modewort – so eine häufige Kritik. Employee Experience ist zudem Teil eines größeren Trends hin zu Experience Economy: Unternehmen bieten nicht nur Produkte und Services, sondern Erlebnisse. Dabei geht es letztlich um Beziehungen. Erstreckt sich dieses Bemühen auch auf Beschäftigte, ist die Grenze der Aufgaben und Pflichten eines Arbeitgebers schnell erreicht. Kritiker bemängeln, dass die Gefühle der Beschäftigten Arbeitgeber nichts angehen. Unternehmen sollten sich im Klaren sein, dass sie mit dem Ansatz vor allem Mitarbeitende erreichen können, die sich von sich aus voll und ganz einbringen möchten. Für diese Zielgruppe kann Employee Experience attraktiv sein. Ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor wird Employee Experience nur, wenn es Unternehmen gelingt, Zufriedenheit in Begeisterung und Engagement umzumünzen, die sich am Gesamtergebnis ablesen lässt.
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