Woran Employee Experience scheitert – und wie sie gelingt
Employee Experience Management (EXM) ist seit einigen Jahren das Trendthema in HR. Im Kern geht es dabei um die Erfahrungen, die Mitarbeitende entlang ihres Mitarbeiterlebenszyklus machen. Die Annahme: Positive Erfahrungen von Mitarbeitenden wirken sich auch positiv auf das Unternehmen aus.
Der Markt an Lösungen boomt und bewirbt die verfügbaren Tools in den höchsten Tönen – etwa für das sogenannte Employee Listening. Gemeint ist ein kontinuierliches Zuhören und Erfassen von Mitarbeitererfahrungen, in der Regel durch Befragungen. Daraus können dann auch "Moments that Matter" entlang des Mitarbeiterlebenszyklus abgeleitet und optimiert werden. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass Erfahrungen in diesen Momenten im Vergleich zu den allgemeinen Erfahrungen des Arbeitsalltags das Engagement und die Bindung von Mitarbeitenden besonders nachhaltig beeinflussen.
Employee Experience: Mit "Moments that Matter" zum Erfolg
Die Versprechen, mit denen Anbieter werben, sind gewaltig. Unternehmen, die in EX investieren, würden höhere Umsätze oder gar einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Dieses Argument gilt gerne als der finale Beweis für den garantierten Erfolg der Methode. Dabei ist es häufig naheliegender, dass erfolgreichere Organisationen sich eher Investitionen in EX leisten können, ohne dass dieses Investment selbst für den Erfolg verantwortlich sein muss; eine bewusste oder unbewusste Vertauschung von Korrelation mit Kausalität. Solche Aussagen sollten daher grundsätzlich nur als das angesehen werden, was sie primär sind: ein Sales Pitch.
Auch die Geschichte der "Moments that Matter" klingt spannend und kreiert ein Gefühl von Dringlichkeit: Kein Unternehmen möchte diese scheinbar alles entscheidenden Schlüsselmomente im Arbeitsleben seiner Mitarbeitenden vermasseln. Die Sales Story klingt gut, dennoch ist die empirische Evidenz für solche Schlüsselmomente im Arbeitsleben eher als schwach einzustufen, unter anderem wegen der häufig begrenzten Mess- und Vergleichbarkeit verschiedener Momente mit anderen Faktoren des Arbeitsalltags.
Hier wollen wir ansetzen. Dieser Beitrag soll aufzeigen: EX-Management ist kein Selbstläufer. Richtig aufgebaut kann es aber durchaus ein vielversprechender Ansatz sein. Aus einer kritischen Betrachtung heraus zeigen wir typische Probleme bei der Umsetzung sowie mögliche Lösungswege für ein erfolgreiches EXM auf.
Problem 1: Zu schnell in den Lösungsmodus übergehen
EX-Ansätze und Befragungslösungen werden überall angeboten. Es kann da verlockend sein, schnell eine von (vermeintlichen) Experten ausgearbeitete (einfache) Lösung einzukaufen und an das Thema EX einen Haken zu machen. Aber egal ob Buy- oder Build-Entscheidung, Unternehmen sollten nicht zu schnell in den Lösungsmodus übergehen. Das birgt die Gefahr, sich nicht ausreichend Gedanken darüber gemacht zu haben, welches vermeintliche Problem der EX-Ansatz ergründen und lösen soll. Messinstrumente, Fragenkataloge und Listen von "Moments that Matter" können sonst, selbst wenn sie objektiv gut sind, im schlimmsten Fall dazu führen, dass Sie Daten erheben und Maßnahmen ableiten, die nichts mit den eigentlichen Baustellen in Ihrem Unternehmen zu tun haben. Die folgenden Empfehlungen können Ihnen helfen, Ihren Start ins EXM sorgfältig anzugehen.
Empfehlungen: Machen Sie sich ausreichend Gedanken zum WHY Ihres EX-Vorhabens. Am erfolgversprechendsten ist es, wenn Sie versuchen, ein konkretes Business-Problem in Ihrer Organisation besser zu verstehen und daraus neue Lösungsansätze zu entwickeln. Wie Customer Experience sollte sich EX am Ende auch am Erfolg des Business messen lassen. Das WHY bildet die Basis für das WHAT Ihres EX-Vorhabens: welche Erfahrungen von Mitarbeitenden man messen möchte. Machen Sie sich darüber Gedanken, bei welchen Erfahrungen Sie Probleme vermuten, und tun Sie dies nicht aus dem EX-Elfenbeinturm heraus.
Stakeholder, Mitarbeitende und Management mit einbeziehen
Stattdessen empfehlen wir, entscheidende und betroffene Stakeholder mit einzubeziehen, um einen klaren Bedarf bezüglich der gewünschten EX-Lösung formulieren zu können. Ist in Ihrem Unternehmen beispielsweise die Führungskultur oder die Work-Life-Balance ein zentrales Thema, dann sollte vielleicht hier ein besonderer Fokus gelegt werden.
Zusammen mit den eigentlichen Kundinnen und Kunden des EXM, den Managern und Mitarbeitenden, lässt es sich gut ermitteln, auf welche konkreten Erfahrungen es sowohl allgemein (im Falle des Employee Listening) als auch in bestimmten Phasen oder Momenten des Mitarbeiterlebenszyklus ankommt. Noch besser geht es, wenn man bei der Beantwortung dieser Fragen zusätzlich auf Expertenwissen und bestehende wissenschaftliche Literatur aufsetzen kann, um im Nachhinein offensichtliche Blind Spots zu vermeiden. Erst wenn Ihr WHY und WHAT definiert sind, sollten Sie sich mit dem HOW eines konkreten EX-Ansatzes auseinandersetzen: dem Erfassen und Analysieren von EX-Daten.
Problem 2: Schwächen in der Messung und Analyse von EX-Daten
Häufig tendiert man intuitiv dazu, die Punkte oben zu überspringen und der EX-Ansatz beginnt damit, wie Erfahrungen gemessen werden können. Nicht selten werden dabei Fragen selbst formuliert und verschiedene Erfahrungen mit jeweils einer Frage (Single Item) erfasst. Das ist aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen gibt es hinreichend Evidenz dafür, dass zwar manche, aber bei Weitem nicht alle Konzepte mit nur einer Frage gemessen werden können. Zum anderen gibt es bei selbst gewählten Items häufig das Problem, dass das, was man messen möchte, von den Befragten anders verstanden und beantwortet wird. Das Ergebnis: unbrauchbare Daten.
Kritisch zu bewerten ist zudem, wenn Items zu ganz unterschiedlichen Themen anschließend zu einem EX-Index zusammengefasst werden. Eine solche Vereinfachung ist auf mehrere Arten hinderlich, sowohl beim Ableiten konkreter Maßnahmen als auch bei den darauffolgenden Impact Analysen. Neben Problemen des Employee Listening sehen wir häufig auch Probleme bei der Analyse von EX-Daten. Mitarbeitende werden zum Beispiel befragt, ohne dass klar ist, wie die Daten im Anschluss analysiert werden sollen. Häufig reduziert sich die Analyse am Ende auf das Bilden von Scores, etwa in Form von Mittelwerten oder des Grads der Zustimmung. Das Problem dabei: Solche deskriptiven Analysen sind meist nicht dazu geeignet, die eigentlich relevanten Fragestellungen zu beleuchten, und die Interpretation der Ergebnisse beruht am Ende meist auf Annahmen.
Komplexe Fragestellungen benötigen komplexe Analysemodelle
Nehmen wir die Candidate Experience als Beispiel. Auch wenn wir verschiedene Erfahrungen von Kandidatinnen und Kandidaten im Recruiting- und Selektionsprozess erfassen (zum Beispiel wahrgenommene Einfachheit des Prozesses, Erfahrungen im Interview), dann helfen uns Scores zu diesen Erfahrungen nur bedingt weiter. Wir können zwar sagen, ob die Erfahrungen positiv oder negativ waren, aber ob diese Erfahrungen tatsächlich entscheidend dafür sind, dass Kandidaten die Bewerbung zurückziehen oder ein Job-Angebot annehmen, lässt sich daraus nicht ablesen.
Dazu braucht es neben zusätzlichen Daten (zum Beispiel HR-Stamm- und Prozessdaten) zumindest ein statistisches Modell auf Basis von Regressionsanalysen, die zwar mit etwas Know-how leicht zu rechnen, aber auch leicht fehlzuinterpretieren sind. Bei den viel zitierten "Moments that Matter", bei welchen wir davon ausgehen, dass bestimmte Erfahrungen in bestimmten Schlüsselmomenten des Mitarbeiterlebenszyklus einen besonders großen Einfluss haben, wird aber selbst eine einfache Korrelations- oder Regressionsanalyse nicht ausreichen. Um solche Fragestellungen vernünftig beleuchten zu können, braucht es komplexere Analysemodelle (zum Beispiel welche, die mehrere Messzeitpunkt und die Dynamik einer Organisation auf mehreren Ebenen erfassen können, und/oder Treatment- und Kontrollgruppen haben, wie zum Beispiel Quasi-Experimente).
Employee Listening als einfacher Einstieg in EX
Empfehlungen: Wir empfehlen, einen Schritt nach dem anderen zu machen und erst die Grundlagen für erste Analysen sicherzustellen, bevor man tiefer in das Thema EX eintaucht. Als Einstieg eignet sich das Employee Listening und die bereits im Unternehmen vorhandene Befragungs- und Feedback-Landschaft. Dazu einige Tipps:
Erstens, arbeiten Sie zunächst darauf hin, dass die allgemeinen Erfahrungen im Arbeitsalltag Ihrer Mitarbeitenden, wie beispielsweise deren Erfahrungen mit der eigenen Führungskraft, zuverlässig erfasst werden und dass diese Daten für Analysen nutzbar sind. Arbeiten Sie dabei stets mit statt gegen bereits bestehende Teams und Projekte – indem Sie sie bei der Definition des WHY aktiv mit einbeziehen. Wenn Sie bereits Skalen besitzen oder diese von Anbietern einkaufen wollen, dann fragen Sie kritisch nach, ob und wie diese entwickelt und validiert wurden und wie sichergestellt wird, dass sie für Ihr Unternehmen Sinn ergeben.
Silobildung und isolierte Ansätze unbedingt vermeiden
Zweitens, um das Thema EX vollumfänglich anzugehen, ist es nötig, Daten aus verschiedenen Befragungen miteinander zu verbinden, beispielsweise Daten aus einer Befragung zu Erfahrungen mit der Führungskraft mit denen aus einer Befragung zum Engagement. Versuchen Sie also aktiv, EX-Silobildungen im Unternehmen zu vermeiden.
Drittens sollten Sie bedenken, dass alle Mitarbeitenden eine individuelle Employee Journey durchlaufen – also unterschiedliche Momente zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchleben. Damit diese Erfahrungen, jeweils zum richtigen Zeitpunkt, automatisch erfasst werden können, ist es nötig, dass das genutzte Befragungs-Tool mit den HR-Systemdaten verknüpft ist (Stichwort: Event-Triggered Surveys). Damit können beispielsweise die Erfahrungen im Recruiting-Prozess dann gemessen werden, wenn sie gemacht werden.
Viertens, vermeiden Sie isolierte Ansätze und beziehen Sie auch andere relevante Stakeholder von Anfang an mit ein. Dazu gehört Ihr People Analytics Team, welches Sie bei der Analyse der EX-Daten unterstützt. Darüber hinaus sollten entsprechende Fachabteilungen (zum Beispiel Talent Acquisition) einbezogen werden, da diese bei der Umsetzung der Erkenntnisse in Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielen.
Problem 3: Wenn nach dem Zuhören nie das richtige Handeln folgt
Das Zuhören und Erfassen von EX bringt dann einen Mehrwert, wenn aus den Daten die richtigen Rückschlüsse gezogen werden und diese als Handlungsgrundlage genutzt werden, sprich konkrete Konsequenzen abgeleitet werden. Häufig sehen wir aber folgende Probleme:
Erstens, wenn aus den Erkenntnissen aus dem Listening keine Maßnahmen folgen, kann sich das Unternehmen Zeit und Kosten für die Befragung sparen. Erfahrungsgemäß passiert dies, wenn "Nice-to-know"-Fragen gestellt werden, deren Antworten keine Relevanz für Entscheidungen haben (zum Beispiel Fragen zu gewünschtem Equipment fürs Homeoffice), oder wenn es allgemein an Bereitschaft mangelt, aus dem Feedback der Belegschaft zu lernen. In letzterem Falle kann es durchaus passieren, dass zwar die richtigen Daten erhoben und sinnvolle Maßnahmen abgeleitet wurden, diese Empfehlungen aber auf taube Ohren bei den Entscheidern stoßen.
Ein anderes Problem liegt vor, wenn die Bereitschaft, zuzuhören und zu handeln, zwar da ist, aber die falschen Schlüsse gezogen werden und die Robustheit der vermeintlichen Erkenntnisse überschätzt wird. Wie bereits oben angedeutet, haben beim Thema EX und insbesondere "Moments that Matter" viele Ansätze ihre methodischen Limitationen. Deshalb können wir Ihnen aus eigener Erfahrung nur ans Herz legen, immer eine natürliche Skepsis beizubehalten und die Erkenntnisse kritisch zu hinterfragen.
Impact-Analysen und experimentelle Designs für EX
Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass, nur weil Maßnahmen datengetrieben abgeleitet werden, diese noch lange nicht das gewünschte Ergebnis liefern müssen. Der Impact-Analyse kommt deshalb eine entscheidende Bedeutung zu, diese wird im Alltag häufig vernachlässigt. Meistens erfolgt sie wenig systematisch und wird häufig darauf reduziert, in den Ergebnissen der nächsten Umfrage zu schauen, ob sich EX-Scores verändert haben. Aber selbst wenn EX-Scores besser werden, sollte man nicht automatisch darauf schließen, dass dies aufgrund abgeleiteter Maßnahmen der Fall war (Korrelation ist nicht Kausalität).
Experimentelle Designs bieten sich hier als Goldstandard an. Sie sind in der HR-Praxis zwar nicht ganz leicht umsetzbar und noch eher die Ausnahme, werden aber im Business in vielen Großkonzernen seit Jahrzehnten angewendet. Zusätzlich gibt es Kompromisslösungen, wie Quasi-Experimente, die eine Annäherung an kausale Aussagen ermöglichen. Da sich die Liste mit Fallstricken und Möglichkeiten noch beliebig fortsetzen lassen würde, ist unser finaler Rat, sich immer Experten mit ins Boot zu holen.
Fazit
Die Versprechen von EX-Ansätzen sind groß, basieren derzeit aber häufiger auf theoretischen Annahmen als auf starker Evidenz. Nichtsdestotrotz birgt EXM ein großes Potenzial: Wenn HR nicht nur auf dem Trend mitschwimmen möchte, sondern bereit ist, die Erfahrungen der Mitarbeitenden ernst zu nehmen, diese systematisch zu erfassen, zu analysieren und daraus zu lernen, dann kann EXM ein klarer Wettbewerbsvorteil sein.
Dieser Beitrag ist in ungekürzter Fassung in der Sonderpublikation Personalmagazin plus "HR-Software" erschienen, die Sie hier als PDF herunterladen können. Die Publikation enthält auch eine ausführliche Anbieterübersicht.
Die Autoren:
Dr. Chris Kaibel ist Organizational Scientist EMEA bei Roche und freiberuflicher Berater, Dozent & Keynote Speaker für People Analytics & Sustainable HR.
Dr. Max Mühlenbock ist Senior Project Consultant bei SAP, Project Lead für ein global EX Listening Programm und Dozent.
Dr. Lucia Görke ist Global Senior People Data Specialist, EX Lead bei Nestlé und Dozentin für People Analytics, Organizational Behavior & Leadership.
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