Gleichstellungsexpertin fordert Taten beim Gender Pay Gap

Der Equal Pay Day fällt 2023 auf den 7. März und damit auf dasselbe Datum wie im vergangenen Jahr. Das bedeutet, der Gender Pay Gap in Deutschland stagniert - trotz Entgelttransparenzgesetz. Gleichstellungsexpertin Aylin Karabulut von "Employers for Equality" stellt klare Forderungen an Politik und Unternehmen, um das zu ändern.

Personalmagazin: Seit Jahren stagniert der bereinigte Gender Pay Gap bei circa sechs Prozent. Und das, obwohl das Thema längst in der breiten Masse angekommen ist, wie zum Beispiel der Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern, zeigt. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Aylin Karabulut: Wir müssen hier zwischen einer individuellen und einer strukturellen Ebene unterscheiden. Alle Pay Gaps – egal ob Gender Pay Gap oder Migration Pay Gap – sind ein Symptom von strukturellen Ungleichheiten wie zum Beispiel der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die sich seit Jahren und Jahrzehnten konstant in Gesellschaft und Unternehmen festhalten. Da müssen wir ran. Strukturelle Probleme lassen sich nur strukturell lösen. Und auf dieser Ebene tun wir in Deutschland mit Blick auf die Gesetzgebung noch viel zu wenig dafür, um Pay Gaps zu eliminieren. Andere Länder, zum Beispiel die skandinavischen, sind uns da schon fünf Schritte voraus.

Strukturelle Probleme lassen sich nur strukturell lösen. Und auf dieser Ebene tun wir in Deutschland mit Blick auf Gesetzgebung noch viel zu wenig dafür, um Pay Gaps zu eliminieren." - Aylin Karabulut


Personalmagazin: Inwiefern?

Karabulut: In Island oder der Schweiz sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Gehaltsstrukturen zu untersuchen und Ungleichbehandlungen sichtbar zu machen. Und wenn sie nicht genug für diese faire Entlohnung tun, kostet das die Unternehmen Geld in Form von Strafen. In Deutschland gibt es bislang noch keine drastischen Konsequenzen wie diese. Das Entgelttransparenzgesetz hat hier ja bisher wenig Wirkung gezeigt.

Das Gehalt ist in Deutschland nach wie vor ein Tabu

Personalmagazin: Und auf der individuellen Ebene?

Karabulut: Auf individueller Ebene ist es unserer Meinung nach verheerend, dass wir nach wie vor viel zu wenig über Gehalt sprechen. So passiert es, dass Menschen unterbezahlt sind und es nicht einmal wissen. Der einzige Weg, wie sie das herausfinden könnten, wäre, mit Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, die eine vergleichbare Rolle mit ähnlichen Voraussetzungen und Qualifikationen bekleiden. Da aber nur sehr selten jemand fragt "Hey sag mal, was verdienst du eigentlich?" bleiben die meisten Menschen im Unklaren darüber, dass sie eigentlich unterbezahlt sind.

Personalmagazin: Viele haben aber entsprechende Verschwiegenheitsklauseln in ihrem Arbeitsvertrag …

Karabulut: Unternehmen sollten solche Klauseln einfach streichen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und bringt faktisch auch nichts, denn Menschen reden so oder so. Außerdem sendet die Streichung dieser Klauseln ein wichtiges Zeichen an die Mitarbeitenden und mögliche Bewerberinnen und Bewerber, da es ein Bemühen um Transparenz und Fairness demonstriert.

Unternehmen sollten Verschwiegenheitsklauseln zum Gehalt einfach streichen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und bringt faktisch auch nichts, denn Menschen reden so oder so." - Aylin Karabulut


Personalmagazin: Was können Unternehmen noch tun?

Karabulut: Zentral sind für mich auch Gehaltsangaben in der Stellenanzeige. So wissen beide Seiten, worauf sie sich einlassen. Das hilft Personen, denen es noch am Wissen fehlt, wie viel sie in bestimmten Positionen verlangen können oder wie sie sich in bestimmten Branchen einordnen können. Und es verhindert, dass Menschen strukturell unterbezahlt werden.

Unternehmen sollten beim Thema Pay Gaps externe Experten hinzuziehen

Personalmagazin: Sie haben gesagt, dass man vor allem auf der strukturellen Ebene ansetzen muss, um Pay Gaps nachhaltig zu beseitigen. Wie können Unternehmen denn überhaupt feststellen, ob es bei ihnen einen strukturell bedingten Pay Gap gibt?

Karabulut: Der erste Schritt ist die Analyse des Status Quo. Wir empfehlen Unternehmen, sich hierfür externe Unterstützung zu holen, denn eine solche Analyse der Gehaltsstrukturen ist eine komplexe Sache. Um einen Pay Gap erkennen zu können, müssen Arbeitnehmende gegenübergestellt werden, die gleiche und vergleichbare Tätigkeiten verrichten. Das zu messen ist in der Praxis gar nicht so einfach. Hinzu kommt, dass selbst bei gleicher Tätigkeit meist noch sogenannte objektive Faktoren in die Gehaltsverhandlung aufgenommen werden, wie zum Beispiel Berufserfahrung und zusätzliche Qualifikationen. In den reinen Gehaltsdaten stecken diese objektiven Begründungen nicht drin.

Außerdem sind Pay Gaps auch ein sensibles Thema. Hier hilft es, wenn unbeteiligte Personen dabei sind, die das Thema objektiver, neutraler und sachlicher behandeln können. Nicht selten sind Unternehmen übrigens sehr erstaunt, wie eklatant die Pay Gaps unter Umständen sind. Das kommt immer wieder vor  – auch bei Unternehmen, die sich Gleichberechtigung auf die Fahne geschrieben haben.

Ziel Nummer eins: transparente Gehaltsstrukturen schaffen

Personalmagazin: Wenn also tatsächlich eine strukturelle Ungleichbezahlung festgestellt wird: Wie können Unternehmen den Pay Gap schließen?

Karabulut: Da müssen meistens individuelle Lösungen erarbeitet werden. Auch hier hilft externe Expertise. Bei der Kommunikation ist dann Fingerspitzengefühl gefragt. Allen im Unternehmen muss klar sein: Es geht hier nicht darum, einzelne zu bevorteilen, sondern darum, Nachteile, die es schon sehr lange gibt, auszugleichen. Wichtig ist auch, die Belegschaft mitzunehmen und immer wieder dafür zu sensibilisieren, dass es im Interesse aller Mitarbeitenden ist, dass alle im Unternehmen fair und gerecht bezahlt werden.

Um Pay Gaps präventiv und langfristig zu verhindern, ist das wichtigste natürlich, gegebenenfalls ein neues, faires Vergütungssystem einzuführen und transparente Gehaltsstrukturen zu schaffen. Das bedeutet beispielsweise, dass Mitarbeitende klar erkennen können, was notwendig ist, um die nächste Gehaltsstufe zu erreichen. Sie brauchen konkrete und messbare Parameter, auf die sie sich berufen können, wenn sie Gehaltsgespräche führen.

Personalmagazin: Es kommt aber auch vor, dass Unternehmen all diese Informationen zu Gehaltsstufen und Eingruppierungskriterien durchaus transparent machen, sie aber dennoch in der Praxis kaum eine Rolle spielen, weil sie weder von Mitarbeitenden noch von Führungskräften genutzt werden. Wo können Unternehmen hier ansetzen, damit Entgelttransparenz auch wirklich gelebt wird?

Karabulut: Eine Maßnahme wären zum Beispiel regelmäßige, festgesetzte Gehaltsgespräche. Und für diese Gespräche sollten Führungskräfte und Personaler diversitätssensibel geschult werden. Es gibt viele Schulungen, die Frauen erklären, wie sie besser verhandeln sollen. Jedoch gibt es andersherum noch viel zu wenige Schulungen, die Personalerinnen und Personalern erklären, wie sie der Ungleichbewertung und Unterbezahlung von Frauen entgegenwirken  können. Wir müssen an das Problem ran und nicht an den Symptomen herumdoktern. Es wäre auch sinnvoll, Gehaltsgespräche nicht nur unter vier Augen zu führen. Denn wir Menschen sind leider sehr fehleranfällig und jeder hat unbewusste Denkmuster. Wird das Gespräch im Tandem geführt, hängt es nicht mehr von einer einzelnen Person und ihrer individuellen Perspektive ab.

Fair Pay liegt in der Verantwortung der Unternehmen

Personalmagazin: Sie bieten mit "Employers for Equality" auch Unterstützung für Unternehmen. Was bietet das Netzwerk?

Karabulut: "Employers for Equality" ist eine Initiative, die Unternehmen ein ganzheitliches Weiterbildungsprogramm im Bereich "Diversity, Equality und Inclusion" bietet. Die praxisnahmen Weiterbildungs- und Schulungsangebote können die Mitarbeitenden unserer Mitgliedsunternehmen kostenfrei nutzen. Unternehmen sind immer mindestens ein ganzes Jahr Mitglied – das ist uns wichtig, damit das Thema wirklich im ganzen Unternehmen ankommt. Wir sehen nämlich oft, dass sich nur die Menschen mit "Diversity and Inclusion" auseinandersetzen, die diese Themen auch in ihrem Jobtitel haben. Aber um tatsächlich einen spürbaren Wandel herbeizuführen, braucht es alle Menschen in einem Unternehmen. Darum richten wir uns bewusst an alle Hierarchie-Ebenen, an alle Bereiche und an alle Rollen - vom Praktikanten bis zum oder zur CEO.

Die zentrale Verantwortung liegt bei den Unternehmen, sicherzustellen, dass ihre Mitarbeitenden fair vergütet werden und nicht einzelne Mitarbeitergruppen strukturell benachteiligt werden." - Aylin Karabulut


Personalmagazin: Sehen Sie die Verantwortung für Fair Pay bei den Unternehmen oder bei den Mitarbeitenden?

Karabulut: Die zentrale Verantwortung liegt bei den Unternehmen, sicherzustellen, dass ihre Mitarbeitenden fair vergütet werden und nicht einzelne Mitarbeitergruppen strukturell benachteiligt werden. Das hat auch das jüngste BAG-Urteil bestätigt: "Schlechter verhandelt" darf kein Grund für eine schlechtere Bezahlung sein. Wir brauchen ein klares Commitment der Unternehmen. Sie müssen sich verpflichten, Pay Gaps aufzudecken, zu eliminieren und Strukturen zu schaffen, die Pay Gaps künftig verhindern.


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