Impostor-Phänomen am Arbeitsplatz

Menschen, die am Impostor-Phänomen leiden, zweifeln an ihren Fähigkeiten und haben Angst, als Betrüger entlarvt zu werden. Das Phänomen betrifft viele Fachkräfte und kann erhebliche Auswirkungen auf die individuelle Arbeitsleistung haben. Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es und was kann HR tun?

Das Impostor-Phänomen beschreibt Menschen, die sich trotz offensichtlicher Erfolge als Betrüger fühlen und glauben, ihre Kompetenzen seien nicht echt. Diese Personen leben in ständiger Angst, als Hochstapler entlarvt zu werden. Schätzungen zufolge erleben rund 70 Prozent der Menschen irgendwann in ihrem Leben das Impostor-Phänomen. Dieses weit verbreitete Gefühl der Selbstzweifel und Unzulänglichkeit betrifft viele Menschen - unabhängig von ihrem beruflichen oder persönlichen Erfolg.

So sprach beispielsweise die Schauspielerin Natalie Portman in ihrer Abschlussrede an der Harvard University im Jahr 2015 über das Impostor-Phänomen und erinnerte an ihre eigene Erfahrung in Harvard: "Ich hatte das Gefühl, dass ein Fehler gemacht worden war, dass ich nicht klug genug war, um in dieser Gesellschaft zu bestehen, und dass ich jedes Mal, wenn ich den Mund aufmachte, beweisen müsste, dass ich nicht nur eine dumme Schauspielerin bin."

Impostor-Phänomen in der Arbeitswelt

Impostor-Betroffene erleben eine Diskrepanz zwischen dem, was sie über sich selbst denken, und dem, was sie glauben, was die Außenwelt über sie denkt. Sie glauben, dass sie ihren Erfolg nicht verdient haben und fürchten ständig, negativ bewertet zu werden. Die Folge: Sie versuchen, ihr Verhalten anzupassen, um die Diskrepanz von Selbstkonzept und (vermeintlicher) Außenwahrnehmung zu reduzieren. Diese Bewältigungsstrategien werden am Arbeitsplatz insbesondere in Situationen ausgelöst, in denen die Kompetenzen der Betroffenen hervorstechen.

In einer Studie ("Are all impostors created equal? Exploring gender differences in the impostor phenomenon-performance link"), die ich zusammen mit Prof. Dr. Rebecca Badawy von der University of Pittsburgh durchgeführt habe, wurde untersucht, wie sich das Impostor-Phänomen auf die individuelle Leistung auswirkt und ob Geschlechterunterschiede eine Rolle spielen. Arbeitsplatzsituationen, die die Kompetenz eines "Impostors" betonen, lösen eher deren Bewältigungsstrategien aus. Die Studie hat bezüglich dieser Effekte im Folgenden zwei häufige arbeitsrelevanten Faktoren betrachtet: Feedback und Verantwortlichkeit.

  • Feedback: Die Beziehung zwischen Feedback und Leistung ist stark, aber auch komplex. Während negatives Feedback normalerweise zu einer Anpassung des Verhaltens führen kann, erleben Impostor oft eine Bestätigung ihres mangelnden Selbstwerts. Für sie verstärkt negatives Feedback das Gefühl, tatsächlich inkompetent zu sein, was zu einem Rückgang der Anstrengung und Leistung führt. Sonst übliche Reaktionen wie Verteidigung oder korrigierendes Verhalten treten seltener auf. Stattdessen empfinden Impostor oft Schuld und Demütigung und interpretieren das Feedback als Bestätigung ihrer grundsätzlichen Unfähigkeit.
       
  • Verantwortlichkeit: Ähnlich wie negatives Feedback aktiviert Verantwortlichkeit kompetenzbasierte Komponenten des Selbstkonzepts. Während hohe Verantwortlichkeit Nicht-Impostor motiviert, ihre Anstrengungen zu erhöhen, hat sie bei Impostor den gegenteiligen Effekt. Sie erwarten aufgrund ihres Selbstbildes schlechte Leistungen und reduzieren ihre Anstrengungen, um das Bild ihrer Kompetenz nach außen zu wahren. Dies führt zu einer Verstärkung von Angst und negativen Emotionen, wodurch ihre Leistung weiter sinkt.

Impostor-Phänomen wirkt sich bei Männern stärker auf Leistung aus

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Männer beim Impostor-Phänomen stärker unter Leistungsdruck leiden als Frauen. Männer reagieren auf negatives Feedback und viel Verantwortlichkeit mit erhöhter Angst und schlechterer Leistung. Frauen hingegen scheinen widerstandsfähiger zu sein und steigern ihre Anstrengungen trotz negativen Feedbacks.

Diese Unterschiede könnten auf gesellschaftliche Erwartungen und Geschlechterrollen zurückzuführen sein. Traditionell wird von Männern erwartet, dass sie in ihrer beruflichen Rolle ständig erfolgreich und kompetent sind, was den Druck erhöht, keine Schwäche zu zeigen. Dieser Druck kann dazu führen, dass Männer stärker unter negativen Rückmeldungen und viel Verantwortung leiden, da diese Aspekte ihr Selbstbild und ihre berufliche Identität bedrohen. Andererseits könnte die soziale Erwartung, dass Frauen in der Lage sind, mit Feedback konstruktiv und kollaborativ umzugehen, dazu beitragen, dass sie widerstandsfähiger auf Herausforderungen reagieren.

Impostor-Phänomen: Was HR-Verantwortliche tun können

Das Impostor-Phänomen stellt eine ernsthafte Herausforderung für Unternehmen dar. HR-Abteilungen spielen eine entscheidende Rolle dabei, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeitende ihr Potenzial voll ausschöpfen können und das Gefühl der Unsicherheit überwinden:

  • Kultur des lebenslangen Lernens fördern: Eine Kultur des lebenslangen Lernens ist entscheidend, um Mitarbeiter kontinuierlich weiterzuentwickeln und ihr Selbstbewusstsein zu stärken – was für vom Impostor-Phänomen Betroffene besonders relevant ist. Diese Orientierung bietet die Gelegenheit, innovative Ideen zu entwickeln und kreatives Potenzial auszuschöpfen. Voneinander zu lernen kann das Gefühl der Unsicherheit verringern und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. Letztendlich kann ein neugieriges Arbeitsumfeld helfen, den Fokus von Selbstzweifeln abzulenken und die Freude am Lernen in den Vordergrund zu stellen.
       
  • Auf inklusive Führung setzen: Eine inklusive Teamkultur, in der alle Mitglieder sich wertgeschätzt fühlen, kann die negativen Auswirkungen des Impostor-Phänomens mildern. Führungskräfte sollten ermutigt werden, eine unterstützende und offene Kommunikationskultur zu schaffen. Ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit kann das Selbstbewusstsein stärken und das Gefühl der Isolation, das oft mit dem Impostor-Phänomen einhergeht, reduzieren. Regelmäßige Teammeetings, bei denen alle Mitglieder ihre Meinungen und Ideen teilen können, und positive Verstärkung durch Führungskräfte können ein solches Umfeld schaffen. Darüber hinaus hilft die Betonung der Einzigartigkeit jedes und jeder einzelnen der Mitarbeitende, die individuelle Stärken zu erkennen und zu schätzen. Das kann das Gefühl des Betrügens verringern. Im besten Fall wird Inklusion zu einen kontinuierlichen, co-kreativen Prozess.

Durch diese Initiativen können Unternehmen eine unterstützende und inspirierende Arbeitsumgebung schaffen, in der jeder Einzelne sich wertgeschätzt fühlt und die Möglichkeit hat, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dies trägt dazu bei, das Selbstbewusstsein zu stärken und die negativen Auswirkungen des Impostor-Phänomens auch auf die Performance zu reduzieren.


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