"Im MBA-Markt ist noch viel Musik drin"
Personalmagazin: Weltweit ist die Zahl der MBA-Einschreibungen um fünf Prozent zurückgegangen. Zumindest besagen das die jüngsten Daten der Non-Profit-Organisation GMAC, die sich auf die Wirtschaftshochschulen beziehen, die den weitverbreiteten Eignungstest GMAT anwenden. Schwächelt der MBA-Markt?
Andrew Crisp: Der MBA-Markt ist relativ konstant. Einige Schulen haben sicher Probleme, ihre Programme zu füllen. Aber bei den führenden Business Schools wie Harvard, Stanford oder Wharton läuft es immer noch gut. Insgesamt hat die internationale Konkurrenz zugenommen – auch in Deutschland sind in den vergangenen 20 Jahren viele angesehene Schulen entstanden. Zuletzt kamen zudem mehr kurze und günstige Online-Programme auf den Markt. Sie fokussieren sich oft auf einen kleinen Ausschnitt eines MBA, haben also einen Schwerpunkt, der für eine bestimmte Phase in der Karriere besonders relevant sein kann.
Personalmagazin: Inwieweit werden dabei auch nicht-akademische Online-Anbieter wie Coursera oder edX zur Konkurrenz?
Andrew Crisp: Viele dieser Anbieter platzieren sich in der Tat sehr geschickt. Udemy hat zum Beispiel ein Programm, das sich "An Entire MBA in 1 Course" nennt. Auf der Website gibt es das für 149 Dollar. Der Programmdirektor ist auch Dozent beim Stanford-MBA. Das verleiht dem Ganzen sofort eine gewisse Glaubwürdigkeit. Außerdem wirbt Udemy mit Absolventen, die in bekannten Unternehmen tätig sind. Natürlich kann keine Business School bei dem Preis mithalten. Aber das ist eben auch kein MBA. Business Schools haben viel Erfahrung in der Lehre und große Alumni-Netzwerke, die diese Anbieter nicht mitbringen. Ein "echter" MBA hat immer noch einen hohen Wert für die Karriere.
MBA zwischen Spezialisierung und Generalistenprogramm
Personalmagazin: Laut der diesjährigen Tomorrow‘s-MBA-Studie von Carrington Crisp und EFMD wählen aber viele Kandidatinnen und Kandidaten inzwischen eher ein spezielles Fachgebiet statt eines generalistischen MBA. 61 Prozent denken über einen Master-Abschluss nach. Ist das Konzept MBA überholt?
Andrew Crisp: Das glaube ich nicht. Denn in manchen Bereichen, wie bei den Online-Angeboten und hybriden Formaten, sehen wir auch einen Zuwachs beim MBA. Aber es gibt eine Spezialisierung. Führende europäische Schulen bieten inzwischen einen MBA mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, KI oder Lieferkettenmanagement an.
Personalmagazin: Ist das dann noch ein "echter" MBA? Schließlich machte den MBA bisher aus, dass es sich dabei um eine generalistische Managementausbildung handelt.
Andrew Crisp: Das stimmt. Aber wenn sich alles um uns herum verändert und weiterentwickelt, gilt das auch für den MBA. Er muss das widerspiegeln, was sich in der Wirtschaft tut. Wichtig ist, dass ein MBA trotz aller Spezialisierung weiterhin eine Führungskomponente hat. Der MBA ist mehr als eine Managementqualifikation. Viele Studierende sagen: Wir möchten etwas über Ethik, Diversity oder KI lernen – aber nicht isoliert, sondern in ihrer Bedeutung für Finanzen, Marketing oder Rechnungswesen. Diese Kernthemen sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des MBA.
Personalmagazin: Sogenannte "Mini-MBAs" werden Ihrer jüngsten Studie zufolge immer beliebter. Wie erklären Sie sich das?
Andrew Crisp: Das liegt an den Kosten, an der Schnelligkeit, mit der sie neue Themen aufgreifen, und an ihrer Passgenauigkeit für die Zielgruppe. Dazu gehört auch die geringere Zeit, die man für das Studium investieren muss. Im Schnitt sind MBA-Studierende heute 27 bis 29 Jahre alt. Viele sind dann in der Familienphase und haben elterliche Verpflichtungen. Außerdem spielt die Marke der Business School eine Rolle. Es sind nämlich nicht nur die unbekannten Schulen, die solche Mini-MBAs anbieten. Immer mehr bekannte Wirtschaftshochschulen haben Kurzprogramme in ihrem Portfolio, die man später auf einen vollständigen MBA anrechnen kann.
Blended Learning im MBA immer beliebter
Personalmagazin: Es geht also um eine größere Flexibilität?
Andrew Crisp: Ja. Es gibt zum Beispiel immer mehr hochflexible Abschlüsse. Dabei kann man während des Studiums nach Belieben zwischen Online- und Präsenzformaten wechseln, ohne sich vorab festlegen zu müssen. Manche Elemente sind synchron – werden also zu bestimmten Zeitpunkten angeboten – manche sind asynchron und stehen on demand zur Verfügung, wie etwa Lernvideos. Nur noch 22 Prozent der Studierenden wollen ausschließlich am Campus studieren. Wir stellen ein rasantes Wachstum beim Blended Learning fest, bei dem aber immer noch ein Teil des Studiums vor Ort stattfindet. Denn sich persönlich zu vernetzen, ist für die meisten Lernenden nach wie vor enorm wichtig. Diese neue Vielfalt der Formate bedeutet auch andere Formen der Investitionen der Business Schools. Statt in große Hörsäle, investieren viele Schulen aktuell in Fernsehstudios, Kreativschaffende und technologische Infrastruktur.
Personalmagazin: Die meisten Business Schools bieten im Rahmen ihrer offenen oder firmenspezifischen Weiterbildungsprogramme Zertifikate an. Schaffen sie sich damit nicht selbst Konkurrenz?
Andrew Crisp: Sie reagieren damit lediglich auf die Nachfrage am Markt. Und sie können dadurch die Studierenden auch an sich binden. Wenn jemand schon ein Modul belegt, Microcredentials gesammelt und gute Erfahrungen gemacht hat, kommt die Person vielleicht wieder.
Personalmagazin: Sie befragen auch regelmäßig Arbeitgeber, wie sie die Business Schools und ihre Programme wahrnehmen und was sie von den Business Schools erwarten. Stellt der MBA für Unternehmen immer noch ein Markenzeichen dar, das einen Mehrwert für ihre Ausbildungsprogramme liefert?
Andrew Crisp: Diese Frage ist der Schlüssel für die Zukunft des MBA. Wenn Arbeitgeber sagen würden, dass er nicht mehr relevant ist, wird niemand mehr einen MBA machen wollen. Aus Arbeitgeberperspektive vermittelt der MBA weiterhin nützliche Fähigkeiten. Die Unternehmen schätzen auch, dass Mitarbeitende während des Studiums wertvolle Kontakte knüpfen und ein Netzwerk aufbauen können. Allerdings ist die Zahl der Arbeitgeber, die ein volles MBA-Studium sponsern, massiv zurückgegangen – vor allem beim Executive MBA (EMBA), der sich an Führungskräfte Ende 30 richtet und früher als Eintrittskarte ins C-Level oder in andere leitende Positionen galt. Inzwischen ist der EMBA eher ein Abschluss für Kandidatinnen und Kandidaten, die das Unternehmen verlassen und ihr eigenes gründen möchten. Außerdem setzen Arbeitgeber ihr Budget heute häufig anders ein. In einer Befragung sagte es ein Unternehmen einmal so: "Früher konnte ich jedes Jahr zwei Personen nach Harvard schicken und das hat mich 50.000 Dollar gekostet. Heute kann ich für den gleichen Betrag 50 Mitarbeitende zum Content von Harvard schicken."
Personalmagazin: Die Unternehmen geben ihr Budget für akademische Weiterbildung also einfach anders aus?
Andrew Crisp: Nicht nur. Es gibt auch eine Veränderung bei den Unternehmen, die Mitarbeitende mit MBA rekrutieren. Früher waren die Finanz- und Beratungsbranche die großen Rekrutierer. In den vergangenen fünf Jahren haben die Technologieunternehmen dominiert. Sie suchen nach Führungspersönlichkeiten, die sich mit Technologie auskennen. Der MBA ist eine Möglichkeit, Führungs- und Managementfähigkeiten auszubauen UND das Verständnis von Technologie zu erweitern.
Wie Business Schools Theorie und Praxis verschränken
Personalmagazin: In Ihrer letzten Befragung von Unternehmen haben Recruiter aber durchaus auch kritisiert, dass die MBA-Programme zu theoretisch seien und sich nicht ausreichend auf die Herausforderungen der realen Welt konzentrierten …
Andrew Crisp: Es geht nicht ohne Theorie. Aber sie muss auf die reale Welt anwendbar sein. Hier haben die Business Schools noch Hausaufgaben zu machen – etwa, indem sie gemeinsam mit Unternehmen Inhalte und Case Studies erstellen. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass jemand aus der Praxis ein Problem schildert und es gemeinsam mit den Studierenden zu lösen versucht. Dadurch bekommt die akademische Erfahrung reale Bedeutung.
Personalmagazin: Welche Business Schools sind denn die Vorreiter bei den Partnerschaften?
Andrew Crisp: Die ETH Zürich und die Universität St. Gallen haben zum Beispiel gemeinsam den "Emba X" ins Leben gerufen. In dieser Partnerschaft bringen Erstere das Technologie-Know-how und Zweitere das Managementwissen ein. Spannend ist auch die Zusammenarbeit der IE in Madrid mit der Brown University in den USA für einen spezialisierten Master-Studiengang in Kultur und Kunst. Oder nehmen wir die University of Exeter in Großbritannien, die vor einigen Jahren einen MBA-Studiengang mit der World Wildlife Foundation initiiert hat. Sie haben vor Kurzem den Partner gewechselt, aber der Studiengang besteht weiterhin.
Personalmagazin: Als großer Trend in der Wirtschaft gilt derzeit Künstliche Intelligenz. Wie wird KI den MBA verändern?
Andrew Crisp: Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit von Partnerschaften. Die einen Schulen verfügen über Anwendungswissen, die anderen über den technischen Hintergrund. Denkbar sind auch Kooperationen mit führenden Anbietern von Generativer KI wie Google oder Microsoft, die dadurch ihrerseits gut qualifizierte Mitarbeitende für sich gewinnen können. KI eröffnet außerdem neue Möglichkeiten für die Idee eines Lern-Buddys – also ein Lernpartner, der bei individuellen Lernbedarfen unterstützt. Ein MBA-Studium ist aber auch einfach durch die Alumni-Netzwerke ein Lernfeld für KI. Wer vor zehn Jahren einen MBA gemacht hat, hörte im Studium kaum etwas über KI. Aber über sein Netzwerk kann er oder sie sich das Wissen aufbauen und Mentorinnen und Mentoren finden. Irgendjemand der damaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen arbeitet sicher in dem Bereich. Und natürlich kommen die ehemaligen Studierenden für eine Weiterbildung zu KI gerne an ihre Business School zurück.
Personalmagazin: Wer viel Geld in einen MBA investiert, erwartet einen Karrieresprung. Kann der MBA dieses Versprechen noch einlösen?
Andrew Crisp: Die Menschen erhalten für die Gebühren, die sie zahlen, immer noch eine gute Karriere-Rendite. Aber die Vorstellung von Karriere ändert sich. Es geht nicht mehr nur um den beruflichen Aufstieg bei bekannten Arbeitgebern, sondern es gibt viel mehr Möglichkeiten – von der Gründung eines Startups bis hin zum Einstieg in anderen Unternehmen. Ein MBA ist eine Facette von lebenslangem Lernen. Nur wenn er flexibel genug ist und sich thematisch zum Beispiel über Partnerschaften breit aufstellt, wird er relevant bleiben. Im MBA-Markt ist noch viel Musik drin.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 12/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
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