Viertagewoche ist laut Gutachten nicht finanzierbar

Die Viertagewoche findet in Deutschland bei vielen Mitarbeitenden Anklang. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerungen kompensiert werden kann. Ein aktuelles Gutachten des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.

Vier Tage arbeiten und Lohn für fünf Arbeitstage einstreichen? Wenig überraschend stößt ein solches Arbeitsmodell bei vielen Mitarbeitenden auf Zustimmung. Bereits heute erlaubt das Arbeitsrecht in Deutschland, die Wochenarbeitszeit auf weniger als fünf Tage zu verteilen. Im Zentrum der Debatte um die Viertagewoche stehen aktuell jedoch Vorschläge, die auf eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit setzen – zusätzlich oft unter der Prämisse eines vollen Lohnausgleichs.

Pilotstudien zur Viertagewoche

Inzwischen liegen Pilotstudien aus unterschiedlichen Ländern vor, die Experimente zur Einführung einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich begleitet haben. Modellversuche gab es unter anderem in Island, in den USA (mit Fokus auf weitere Länder) sowie in Großbritannien. Die Pilotstudie in Deutschland kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Viertagewoche die Lebenszufriedenheit der Mitarbeitenden signifikant steigere sowie die psychische und mentale Gesundheit verbessere.

Wiederholt wird jedoch auf Schwächen der Studien verwiesen. Kritisiert wird beispielsweise, dass an den Modellversuchen nur Unternehmen teilnehmen, die dem Thema ohnehin positiv gegenüberstehen. Weitere Auswahlverzerrungen gibt es auch hinsichtlich Branchen und Unternehmensgrößen, sodass die Ergebnisse kaum übertragbar sind.

Die Aussagekraft schwächt überdies, dass in den teilnehmenden Unternehmen viele unterschiedliche Modelle zum Einsatz kamen. Eine Arbeitszeitreduktion um 20 Prozent bei vollem Lohnausgleich wurde nur in wenigen Fällen erprobt. Folglich urteilt der Arbeitszeitexperte Guido Zander auf seinem Linkedin-Kanal, die deutsche Pilotstudie sei eigentlich keine Studie zur Viertagewoche, "sondern zu einer individuellen flexibilisierten Arbeitszeitverkürzung".

Arbeitszeitverkürzung und Produktivität

Kritik kommt auch vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). So zeigt ein Gutachten im Auftrag von Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, auf, dass sich aus den Pilotstudien aus Island, den USA und Großbritannien keine Aussagen über die Produktivitäts- und Wertschöpfungsentwicklung ableiten ließen (Hinweis: Die deutsche Studie war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gutachtens noch nicht erschienen).

Demgegenüber wählt das IW einen anderen Ansatz und nimmt Produktivitätsentwicklungen im Kontext der Viertagewoche in den Blick. Der Verkürzung der Wochenarbeitszeit müsse eine entsprechende Steigerung der Produktivität entgegenstehen. "Sonst drohen Wohlstandsverluste und Verteilungskonflikte", heißt es in der Studie. Dies gelte umso mehr für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Die Fachleute rechnen vor, dass eine Reduzierung von 40 Wochenstunden an fünf Tagen auf 32 Wochenstunden an vier Tagen einer Verringerung des Arbeitsvolumens um 20 Prozent entspricht. Bei einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit mit vollem Lohnausgleich, bei dem das Inlandsprodukt je Erwerbstätigen konstant bleibt, muss die Stundenproduktivität demnach um 25 Prozent steigen, damit die Arbeitszeitverkürzung kompensiert wird.

Entsprechender Produktivitätsgewinn frühestens 2048 erreicht

"Es scheint illusorisch, den vollen Lohnausgleich für die Arbeitszeitreduzierung durch zeitnahe Produktivitätsfortschritte zu realisieren", urteilt die Studie. Werde die Produktivitätsentwicklung der vergangenen zehn Jahre um jährlich 0,93 Prozent fortgeschrieben, wäre der benötigte Produktivitätsgewinn für die Gesamtwirtschaft erst im Jahr 2048 erreicht. Dies gelte aber nur für den Fall, dass der gesamte Produktivitätsfortschritt für die Arbeitszeitverkürzung verwendet würde. Zudem sei die Fortschreibung um rund 1 Prozent optimistisch, da sich die Produktivitätsentwicklung seit Beginn der 1990er Jahre stark verlangsamt hat.

Viertagewoche und Wohlstandsverluste

Das Gutachten kommt zu folgendem Schluss: Vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel und demografischem Wandel gefährde eine flächendeckende Viertagewoche die Grundlage des Wohlstands in Deutschland. "Eine auch durch die Pilotprojekte angestoßene Diskussion um eine kollektive Arbeitszeitverkürzung wirkt angesichts der arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen des demografischen Wandels anachronistisch", ist zu lesen. Dies gelte selbst dann, wenn die Viertagewoche nicht mit einem Lohnausgleich einhergeht.


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