Der zunehmende Fachkräftemangel bringt es mit sich, dass in manchen Unternehmen echte Verkaufstalente im Recruiting gefragt sind. Wie im Verkauf üblich, ist dabei ein tiefergehendes Wissen über das eigene Produkt eher nebensächlich. Worauf es ankommt, ist rhetorisches Geschick, ein vertrauenerweckendes Naturell und die Beharrlichkeit eines Terriers, der sich im Hosenbein des Postboten verbissen hat. Während man sich noch vor wenigen Jahren darauf beschränkte, brav die eigenen Vorzüge halbwegs ehrlich ins Netz zu stellen und anschließend geduldig der Dinge zu harren, die da kommen werden, gilt es heute, ein Feuerwerk der Aktivitäten abzubrennen. Wie der Teufel die arme Seele, so jagt das Recruiting leichtgläubige Zeitgenossen, deren einzige Qualifikation mitunter darin besteht, dass sie mit Messer und Gabel essen können, ohne sich dabei zu verletzen.
Das passende Image wird zurechtgebastelt
Active Sourcing in Zeiten des Fachkräftemangels sieht mitunter etwa so aus: Das Unternehmen bastelt sich am Schreibtisch ein Image zurecht, das möglichst gut zu den eigenen Vorurteilen über die Zielgruppe passt. Junge Leute haben ein Problem mit Autoritäten und wollen gar nicht mehr arbeiten? Kein Problem, in unserem Unternehmen ist die Poststelle so einflussreich wie die Geschäftsführung und jeder wählt frei Arbeitszeit und -ort. Die Generation Z besteht nur aus Postmaterialisten? Gut, dann liegt der Sinn unseres Unternehmens halt darin, das Gute, Wahre und Schöne zu fördern. Und natürlich sind potenzielle Bewerberinnen und Bewerber selbstlose Kollektivisten. Auch hier bieten wir ein gutes Matching, denn bei uns haben sich alle lieb und keiner darf besser sein als die anderen.
Im zweiten Schritt geht es darum, das Ganze mit vielen bunten Bildern zu garnieren, damit auch diejenigen, die des Lesens nur mühsam fähig sind, die Botschaften verstehen. Gezeigt werden schöne, vitale Menschen in Freizeitsituationen. Keiner von ihnen arbeitet bei uns, aber das ist egal, denn schließlich verdienen wir unser Geld auch nicht mit Mountainbiking oder gemeinsamem Kochen. Die Bilder sollen nur für gute Stimmung sorgen und vom Denken ablenken.
Umgarnen, schmeicheln, versprechen, Vertrag unterschreiben
Ist alles so weit vorbereitet, beginnt die Jagd. Früher hätte man Werbeblättchen in Briefkästen geworfen – auch in die, auf denen explizit "Keine Werbung!" steht. Heute durchforstet man die sozialen Medien und vermarktet sich selbst als vermeintlichen Freund. Wer nicht gleich reagiert wird so lange geduzt, bis etwas passiert. Im besten Falle gibt es eine interessierte Nachfrage und schon schnappt die Falle zu: Einladung um digitalen Plausch, umgarnen, schmeicheln, versprechen, Vertrag unterschreiben. Nur in den hartnäckigsten Fällen ist es notwendig, die Auserwählten zuvor unter Drogen zu setzen. Wer dann am nächsten Morgen aufwacht und feststellt, dass er sich für zwölf Jahre bei der Fremdenlegion verpflichtet hat, wird schon bald merken, dass alles gar nicht so schlimm ist, wie es in den ersten Tagen erscheint. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann arbeiten sie noch heute glücklich zusammen.
Die Forschung hätten hier durchaus einiges einzuwenden:
- Im Gegensatz zur Werbung ist die Glaubwürdigkeit der Aussagen im Personalmarketing von entscheidender Bedeutung. Wer offenkundigen Unfug erzählt, wird abgestraft.
- Spätestens nach der Einstellung erkennen die Betroffenen die Lügen. Gut Qualifizierte sind dann schnell wieder weg. Übrig bleiben die, die schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben oder denen alles egal ist.
- Das wahllose Ansprechen von Personen führt zu einer schlechteren Qualität im Bewerbungspool und erhöht dadurch die Wahrscheinlichkeit für schlechte Auswahlentscheidungen.
- Arbeitgeber, die private Netzwerke zum Active Sourcing nutzen, werden negativer gesehen als solche, die berufsbezogene Netzwerke nutzen.
- Das Duzen der Angesprochenen ist bei den Betroffenen mehrheitlich unerwünscht.
- Die direkte Ansprache wirkt umso positiver, je individueller sie erfolgt. Die Ansprache muss erkennen lassen, dass jemand die Internetseiten der Person tatsächlich gelesen hat. Das Versenden von Standardinformationen dürfte daher kaum wirksamer sein als eine herkömmliche Stellenanzeige.
Soweit die Forschung. Aber die hat ja bekanntlich nichts mit dem richtigen Leben zu tun...
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.