"Solange ich entscheide, habe ich die Macht über die Situation"
Haufe Online-Redaktion: Ihre Karriere war geprägt von Entscheidungen. Seien es die, vom Langlauf zum Biathlon zu wechseln, von Oberhof nach Ruhpolding zu gehen oder die vielen Entscheidungen in jedem Rennen. Wie wägen Sie ab?
Kati Wilhelm: Im Rennen selbst sind es nur Bruchteile von Sekunden, in denen man entscheidet. Da habe ich meinem Bauchgefühl vertraut. Selbst wenn die Entscheidung nicht immer optimal war, habe ich weitergemacht. Ähnlich punktuell musste ich in mich hineinhören, wenn ich mich einen Tag vor dem Rennen für die Startgruppe entscheiden musste. Die Abwägung war immer: Will ich vorne rauslaufen und warten, was passiert oder lieber auf den hinteren Plätzen starten und dafür wissen, wie die Leistung der anderen Athleten ist? Das musste ich für den Moment entscheiden, wusste aber nicht, ob das für mich am nächsten Tag noch richtig ist. Wenn ich größere Entscheidungen zu fällen hatte, habe ich immer Gespräche mit Trainern und Vertrauten geführt. Wie beim Wechsel nach Ruhpolding. Für mich galt und gilt: Ich probiere lieber, als etwas zu verpassen. Ich wollte mir nie sagen: "Ach hätte ich doch nur." Ich hatte das Gefühl, solange ich entscheide, habe ich die Macht über die Situation.
Ziele setzen für die Motivation
Haufe Online-Redaktion: Spitzensport bringt Athleten in körperliche Grenzbereiche. Woher nahmen Sie die Motivation für harte Trainingseinheiten?
Wilhelm: In mir war viel Ehrgeiz, Hunger auf Erfolg und der Anspruch, mich zu verbessern. Ich habe mir immer Ziele gesetzt, auch in kleinen Schritten. Etwa beim Schießen: Der erste Schuss sollte nach spätestens 15 Sekunden fallen. Wann immer wir Ziele erreichen, stellt sich ein Erfolgserlebnis ein. Und sich zu überwinden, führt zu einem guten Gefühl im Nachhinein. Klar, mein Alltag hat sich dem Sport untergeordnet. Geholfen hat mir, dass ich im Urlaub abschalten konnte, und danach umso motivierter war.
Ich habe mir immer Ziele gesetzt, auch in kleinen Schritten." – Biathletin Kati Wilhelm
Eigenverantwortung und Teamarbeit für Sportler und Unternehmen relevant
Haufe Online-Redaktion: Entscheidungen, Ziele, Motivation sind auch im Berufsleben Erfolgsfaktoren. Welche Fähigkeiten aus dem Spitzensport sind noch hilfreich für den Arbeitsalltag?
Wilhelm: Im Biathlon lernen wir, als Einzelkämpfer, aber auch im Team zu agieren. Selbstständig genug zu sein, sich aber auch auf das Team berufen zu können und Synergien zu nutzen. Ein wichtiges Element ist zudem wechselseitiges Vertrauen zwischen Trainerstab und Athleten. Dazu gehört auch die Führungskompetenz des Trainers, genauso wie die Eigenverantwortung und Freiheit der Sportler. Selbst Ideen einbringen, Entscheidungen treffen - das hat meinen Fokus verstärkt. Denn mit jeder Entscheidung wollte ich beweisen, dass es die Richtige war – und mein Plan aufging.
"Wenn ich Druck bekomme, habe ich wohl schon etwas erreicht"
Haufe Online-Redaktion: Mit dem Erfolg steigt der Druck. Etwa als Sie 2006 bei den Olympischen Spielen in Turin als Weltcupsiegerin angereist sind. Wie sind Sie damit umgegangen?
Wilhelm: Ich habe den Druck ins Positive gedreht. Erwartungen entstehen nicht umsonst. Wenn ich Druck bekomme, habe ich wohl schon etwas erreicht. Ich bin offen mit meinem Anspruch umgegangen, eine Medaille war das erklärte Ziel. Dazu gehört auch, bei Misserfolgen mit Kritik umgehen zu können.
Haufe Online-Redaktion: Stellen wir uns den letzten Stehendanschlag beim Schießen vor. Die Verfolgerinnen sind dicht neben Ihnen. Wie haben Sie sich in solchen Situationen fokussiert?
Wilhelm: Das sind schon krasse Erlebnisse. Ich erinnere mich an ein Rennen. Es war mucksmäuschenstill, als ein Zuschauer schrie: "Den letzten triffst du auch noch." Das habe ich immer alles mitbekommen. Gerade wenn ich Vorsprung hatte, bin ich eher ins Nachdenken geraten. Ansonsten ist vieles Automatismus. Ich hatte keinen Mentaltrainer, aber alle Abläufe durchgespielt.
Positive Energie aus dem Weitermachen ziehen
Haufe Online-Redaktion: Wie haben Sie es geschafft, nach Niederlagen weiterzumachen?
Wilhelm: Natürlich kratzen Misserfolge am Selbstvertrauen. Aber sie sind auch ein neuer Anreiz. Im Biathlon ist im Rennen viel möglich. Das Feld kann sich schnell neu sortieren. Insofern waren die Momente der Frustration meist kurz. Ich bin gewissermaßen den Zweifeln einfach davongelaufen und habe aus dem Weitermachen positive Energie gezogen.
Wenn du richtig erfolgreich sein willst, musst du auch 100 Prozent geben." – Biathletin Kati Wilhelm
Haufe Online-Redaktion: Sie haben einen "Bachelor International Management" absolviert. Wie kam es dazu?
Wilhelm: Zu Beginn meiner Karriere hatte ich ein Studium an der Fernuni Hagen begonnen. Dort habe ich von BWL auf E-Technik gewechselt. Als sich aber der Erfolg im Biathlon einstellte, war mir klar: Ingenieurin wirst du nicht mehr. Wenn du richtig erfolgreich sein willst, musst du auch 100 Prozent geben. Darum habe ich mich dann drei bis vier Jahre nur dem Sport gewidmet. Mit den Siegen bei Olympia und dem Gesamtweltcup 2006 wollte ich wieder in mein Leben nach dem Sport investieren. Der "Bachelor International Management" bot sich an, weil das ein Studiengang nur für Sportler war. Er verband Journalismus, Marketing und Event-Management. Heute arbeite ich als Biathlon-Expertin im Fernsehen – und habe ein Restaurant eröffnet. Etwas Neues, ich lerne also weiter.
Haufe Online-Redaktion: Welches Ziel setzen Sie sich als nächstes?
Wilhelm: Etwas, das wohl jede Mama kennt: Für die Kinder stellt man sich gerne, aber doch häufig hinten an. Insofern will ich wieder mehr für mich machen, auch sportlich wieder aktiver werden. Und neue Ideen für das Restaurant sammeln.
Das könnte Sie auch interessieren:
Was Teams von Polarforschern lernen können
"Im Auge des Sturms" - Interview mit Eurofighter-Pilotin zu Führungskompetenz
Resilienzförderung am Arbeitsplatz: Was bringen Trainingsprogramme?
-
Die verschiedenen Führungsstile im Überblick
508
-
Die besten Business Schools für Master in Management
322
-
Microlearning: Definition, Beispiele und Mehrwert für Unternehmen
168
-
Investitionen in Weiterbildung nehmen zu, aber verpuffen
111
-
Der EQ – und wie er sich steigern lässt
106
-
Kulturdimensionen: Interkulturelle Unterschiede verstehen
971
-
Psychologische Sicherheit: Erfolgsfaktor für Teamerfolg jenseits der Teamzusammensetzung
761
-
Personalentwicklungsmaßnahmen
75
-
Mini-MBA: Gut und günstig, aber weniger wertvoll
74
-
Wie Künstliche Intelligenz in der Personalentwicklung im Einsatz ist
70
-
Lern-Communitys im Unternehmen aufbauen
19.12.2024
-
Podcast Folge 41: Der "Wellenreiter-Club" von Bosch
17.12.2024
-
So gelingt generationenübergreifende Zusammenarbeit
12.12.2024
-
KI, was sonst
11.12.2024
-
Wie Unternehmen und Verbände den Aufbau von KI-Kompetenz fördern
09.12.2024
-
Lernkultur sichtbar machen und gestalten
04.12.2024
-
Podcast Folge 40: Lernreise mit Dominik Klein
03.12.2024
-
KI und die Angst vor Kontrollverlust
29.11.2024
-
Wie Führungskräfte Druck analysieren können
28.11.2024
-
DVCT-Award geht an Programm zu Selbstführung bei Bosch
25.11.2024