Das macht einen seriösen Coach aus
wirtschaft+weiterbildung: Vor Kurzem berichtete die "Wirtschaftswoche" vom "Milliardenkult ums Coaching" und warnte vor "teuren Gurus". Wie erkennt man eigentlich die Scharlatane unter den Coaching-Anbietern?
Dr. Alexander Brungs: Beim Deutschen Coaching Verband (DCV) häufen sich in der Tat Anfragen, wie man jetzt in der Krise unseriöse Coachs erkennt. Offenbar versuchen einige Motivations-Speaker, die früher mit ihren Shows Kongresshallen gefüllt haben, sich jetzt unter dem Label "Coach" zu vermarkten. Ich rate jedem Interessierten: Prüfen Sie Ihre Motivation, warum Sie Coaching machen wollen. Wenn Sie sagen, so wie dieser oder jener "Vorturner" wäre ich auch gerne, dann ist Vorsicht geboten, denn viele Scharlatane sprechen verborgene Sehnsüchte an und wecken diese mit dem Versprechen, dass jeder alles erreichen könne.
Dubiose Coaching-Angebote erkennen
wirtschaft+weiterbildung: Wie zeigt sich das konkret?
Brungs: Der dubiose Coach behauptet: Ich bin aus widrigen Verhältnissen aufgestiegen und du kannst auch aufsteigen, wenn du dich von mir coachen lässt. Wenn du immer schön befolgst, was ich sage, wirst du so wie ich. Meist gibt es zusätzlich zum Coaching noch andere "Module", die man nach und nach buchen soll. Die Scharlatanerie der Gurus besteht dann auch noch darin, dass ein Coaching versprochen wird, aber in Wirklichkeit nimmt man nur an einem Event oder einem Webinar teil, in dem man "unterrichtet" wird und höchstens ein paar Fragen stellen darf. Es fehlt das Einzelgespräch, welches allein auf die ganz individuellen Bedingungen und Horizonte der Coachees eingehen kann. Und genau die stehen ja im Zentrum eines Coachingprozesses. Coachs mit einer ausbildungsunabhängigen Zertifizierung durch einen anerkannten Berufsverband wie den DCV werden jedenfalls nach einer ordentlichen, individuell abgestimmten Auftragsklärung einen Coachingvertrag zu fairen und nachvollziehbaren Bedingungen vorlegen, der die erwähnten Praktiken ausschließt.
Die Scharlatanerie der Gurus besteht auch darin, dass ein Coaching versprochen wird, aber in Wirklichkeit nimmt man nur an einem Event oder einem Webinar teil. Es fehlt das Einzelgespräch."
wirtschaft+weiterbildung: Was genau ist der Kern von einem Coaching-Prozess?
Brungs: Coaching unterstützt die persönliche und berufliche Weiterentwicklung, die Selbstorganisation und das Selbstverständnis. Ein guter Coach hilft seinen Klienten, über sich selbst nachzudenken, neue Fähigkeiten zu entfalten und neue Perspektiven einzunehmen. Im Coaching geht es auch darum, dass die Coachees eindimensionale Sichtweisen ablegen können und wieder mehrere Perspektiven sehen. Das gehört zum Coaching unbedingt dazu. Ob eine Klientin dann eine Alternative umsetzt oder lieber die Synthese aus zwei oder mehreren Alternativen wählt, ist immer ihre Entscheidung. Bei beruflich veranlassten Coachings muss man das Privatleben übrigens nicht ausklammern. Es kommen schließlich nicht bloße Rollenträger, sondern ganze Menschen ins Coaching, die in ihrem Leben von Kindheit an Verhaltensmuster erworben haben, die sich auch auf das Berufsleben positiv oder negativ auswirken.
Online-Coaching gewinnt an Bedeutung
wirtschaft+weiterbildung: Wie sinnvoll ist Online-Coaching?
Brungs: Online-Coaching ist mehr als eine Behelfslösung. Es gibt Themen, für die sich Online-Coachings besonders gut eignen und trotz mancher Unzulänglichkeiten bietet Online-Coaching auch viele Vorzüge. Aber diese Vorzüge werden vor allem in Kombination mit einem Präsenz-Coaching wirksam. Die Zukunft liegt meines Erachtens in hybriden Formaten wie etwa Blended Coaching, bei denen Präsenz- und virtuelle Einheiten werden.
#DCV-Vorstand Brungs: "Wenn ich als Manager einen Coach suche, der vom Lebenslauf her ohne Weiteres meinen Job machen könnte, dann läuft etwas schief." #Coaching #Weiterbildung
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wirtschaft+weiterbildung: Wieviel BWL-Wissen braucht ein Coach, um Manager zu coachen?
Brungs: Wenn ich als Manager einen Coach suche, der vom Lebenslauf her ohne Weiteres meinen Job machen könnte, dann läuft etwas schief. Durch zu viel Ähnlichkeit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich über neue Perspektiven neue Möglichkeiten sehe. Wer sich sein Ebenbild zum Coach nimmt, sucht in der Regel nur nach Bestätigung und hat Angst vor Veränderung. Andererseits ist es schon wichtig, sich einen Coach auszuwählen, der weiß, wovon Coachees sprechen, wenn sie vom Berufsalltag berichten. Ein Coach sollte wissen, wie ein hierarchisch organisiertes Unternehmen funktioniert und wie zum Beispiel Entscheidungen getroffen werden. Es kommt schließlich darauf an, dass Coach und Coachee eine gemeinsame Sprache sprechen können und nicht jede Managementgepflogenheit erklärt werden muss. Am besten ist es, sich den Lebenslauf eines Coachs anzuschauen und dann dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen, ob man Interesse hat, mit diesem Menschen zu reden.
Lebenserfahrung zählt im Coaching
wirtschaft+weiterbildung: Sollte ein Coach eher jung oder eher alt sein?
Brungs: Es ist sicher möglich, dass auch sehr junge Menschen erfolgreich coachen können. Aber es ist generell doch eher unwahrscheinlich, weil junge Menschen weniger Lebens- und Berufserfahrung haben. Das lässt sich vielleicht mit einer Überlegung des griechischen Philosophen Aristoteles (Buch 1 der ‚Nikomachischen Ethik’) vergleichen zur der Frage, wer sich denn sinnvollerweise mit dem Studium der praktischen Philosophie, der Ethik, Politik und Ökonomie, befassen solle. Im Gegensatz zu theoretischen Fächern wie der Mathematik, die auf bloßes Wissen zielen und bereits von Jünglingen zu erlernen seien, setze die Beschäftigung mit praxisbezogenen Disziplinen, die auf Entscheiden und Handeln zielen, ein gewisses Alter voraus. Als praktischer Philosoph müsse man in der Lage sein, eigene Emotionen zu regulieren, um ihnen nicht ausgeliefert zu sein, was den Jungen oft noch nicht gelinge. Zum anderen brauche man eine allgemeine Lebenserfahrung. Denn nur die aus einer Vielzahl von Handlungszusammenhängen geronnene Lebenserfahrung sage einem, wie bestimmte Situationen zu bewerten und wie allgemeine Prinzipien auf bestimmte Einzelfälle anzuwenden seien.
Das trifft in einer gewissen Weise auch auf Coaching zu. Sie können nicht von einem jungen Menschen, der sich in vielen Fällen nur auf Lehrbuchwissen stützen kann, erwarten, dass er unter Zurücknahme seiner möglichen eigenen Präferenzen immer kluge Interventionen in Sachen komplexer Führungs- und Kommunikationskontexte startet. Hier unterscheidet sich die Anforderung an Coachs von der Anforderung an Fachberater, wie es etwa Business Consultants sind. Man kann auch nicht erwarten, dass sich die berühmte "Augenhöhe" zu älteren und im Berufsleben gereiften Klienten einstellt, weil die Erfahrungsräume nicht vergleichbar sind. Auch wenn wir einwenden, dass es Menschen höheren Alters ohne jegliche Selbstreflexion und Selbstkontrolle und mit nur äußerst geringem Vorrat an Erfahrungen gibt, werden wohl alle zustimmen, dass Berufsanfänger schlicht noch keine Berufserfahrung haben können, die einen metaperspektivischen Blick auf das Feld erlauben könnte. Die seriösen Coaching-Verbände haben deshalb (wie es auch die Mindeststandards des Dachverbands RTC e.V. vorsehen) eine Altersuntergrenze für Coachs festgelegt, die zertifiziert werden.
wirtschaft+weiterbildung: Aber sollte ein Coach nicht in erster Linie empathisch sein?
Brungs: Empathie ist schön und gut, aber mit ihr muss man etwas anfangen können. Was hilft es, empathisch zu sein, wenn Empathie nicht derart auf eine reale Situation übertragen werden kann, dass für das Gegenüber hilfreiche Effekte entstehen. Die Empathie an sich sagt noch nichts darüber aus, welche Interventionen im Coaching sinnvoll sind. Coaching-Kompetenzen erwirbt man durch Fachwissen und Praxiserfahrung.
Coaching für Wissenschaftler: weniger Kopf, mehr Körperbewusstsein
wirtschaft+weiterbildung: Sie selbst coachen auch Wissenschaftler. Was ist da wichtig, um als Coach akzeptiert zu werden?
Brungs: Da sprechen Sie mich jetzt nicht in der Rolle als DCV-Vorstand an, aber ich will doch etwas dazu sagen, das letztlich nicht nur wissenschaftsaffine Menschen betrifft. Ich komme den Leuten nicht mit irgendwelchen Interventionen, die sie als kindisch empfinden könnten. Ich fordere sie nicht auf, mit Pastellkreiden zu malen wie sie ihr Team sehen, und etwas wie "Lach-Übungen" würde ich auch nicht einsetzten. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass im Gespräch mit verkopften Menschen, deren Tätigkeit und Selbstverständnis sehr von analytischem Vernunftgebrauch geprägt ist, ein Fokus auf ihre körperliche Selbstwahrnehmung sehr hilfreich sein kann. Das erreiche ich nicht, indem ich mit der Tür ins Haus falle, sondern es entwickelt sich aus dem Coaching-Prozess heraus. Körperbasiert zu arbeiten, heißt, man bekommt über bewusstere Selbstwahrnehmung einen viel differenzierteren Blick auf bisher nicht beachtete – aber dennoch wirkmächtige – Gefühlsregungen. Die entsprechen eben nicht unbedingt dem verstandesmäßig Bewussten, beeinflussen aber wohl Ziele und Handeln.
Das Interview ist zuvor in "wirtschaft+weiterbildung 6/2021" erschienen. In dieser Ausgabe lesen Sie auch, woran Manager scheitern und was HR dazu beiträgt.
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