Das fehlt Führungskräften für die Post-Corona-Zeit
Zwei Drittel der befragten Führungskräfte (66 Prozent) erwarten einen Anstieg der Bedeutung der Führungsfunktion in ihrem Unternehmen. Und auch bei den Anforderungen an die Führungskräfte erwarten die Befragten eine Zunahme - und zwar insbesondere in den Bereichen Selbstmanagement (70 Prozent), Mitarbeiterführung (68 Prozent) und Teamführung (80 Prozent).
Als Ursache für diesen Befund aus der Umfrage, die das Frankfurter IFIDZ-Institut Ende 2021 durchführte, wird immer wieder das Arbeiten im Homeoffice genannt: Das Führen von Mitarbeitenden auf Distanz erfordert von den Führungskräften, neue Führungsroutinen zu entwickeln. Zudem ist mit dem Führen hybrider Teams ein höherer Betreuungs- und Koordinierungsaufwand verbunden.
Beziehungsprofis und Sinnstifter gesucht
Bei den Führungsrollen, die sich primär aus der hierarchischen Position der Führungskräfte ableiten wie Vorgesetzter, Manager, Macher und Entscheider, erwarten denn auch eher wenige Befragte einen Anstieg von deren Bedeutung (maximal 21 Prozent). Anders verhält es sich bei den Rollen, die sich aus ihrer Führungsfunktion ableiten, wie Sinnstifter, Beziehungsmanager und Coach. Bei ihnen erwarten 62 bis 80 Prozent der Führungskräfte, dass ihre Bedeutung steigt.
Dieser Bedeutungsanstieg hat seine Wurzel darin, dass 84 Prozent der Führungskräfte Folgendes erwarten: Die Unternehmen werden, um ihre Agilität zu erhöhen, weitere Entscheidungsbefugnisse auf die Mitarbeiter- und Teamebene verlagern. Dadurch gewinnt auch das Thema "Laterale Führung" beziehungsweise "Führung ohne Weisungsbefugnis" an Bedeutung. Circa 80 Prozent der Befragten erwarten, dass seine Bedeutung steigt oder sogar "stark steigt".
Welche Führungskompetenzen fehlen
Angesichts dieser Veränderungen stufen drei Viertel der Führungskräfte ihren persönlichen Entwicklungsbedarf als hoch oder sogar "sehr hoch" ein. Mehr als die Hälfte der Führungskräfte sieht bei sich einen großen Entwicklungsbedarf im Bereich Digitalkompetenz (53 Prozent). Zudem signalisieren 37 Prozent einen hohen Bedarf im Bereich Selbstführung / Selbstmanagement.
Auffallend ist zudem, dass die Führungskräfte gleich in drei Bereichen große Entwicklungsbedarfe bei sich konstatieren, die eng mit ihren kommunikativen Fähigkeiten und ihrer Fähigkeit, zu ihren Mitarbeitenden tragfähige Beziehungen aufzubauen, verbunden sind – nämlich Beziehungsmanagement (44 Prozent), Kommunikation und Motivation (41 Prozent) und Teamführung (27 Prozent).
Corona war ein echter "Gamechanger"
Fast 90 Prozent der Führungskräfte sagen, das Thema virtuelle Führung spiele bereits heute in ihrem Führungs- und Arbeitsalltag eine große oder gar sehr große Rolle. Zudem gehen 93 Prozent davon aus, dass das Führen auf Distanz auch in der "Nach-Corona-Zeit" ein integraler Bestandteil ihrer Führungsarbeit sein wird. Dasselbe gilt für die Onlinekommunikation (91 Prozent).
Aus Sicht der meisten Führungskräfte war Corona somit ein echter "Gamechanger"; das heißt, die von dem Virus ausgelösten Veränderungen im Bereich Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit werden nachhaltig sein. Dabei weisen die Führungskräfte immer wieder darauf hin, dass dies nicht nur hinsichtlich ihrer Mitarbeitenden gilt. Auch ihre (Kommunikations-)Beziehungen zu Stakeholdern wie externen Dienstleistern, Kunden und Lieferanten haben sich nachhaltig verändert.
Führen auf Distanz oft ein "notwendiges Übel"
Bemerkenswert ist: Die meisten Führungskräfte sind keine enthusiastischen Befürworter des Führens auf Distanz. Sie erachten dieses vielmehr als ein aufgrund der Rahmenbedingungen "notwendiges Übel". Nur 30 Prozent von ihnen betonen, das Führen auf Distanz habe mehr Vor- als Nachteile. Ansonsten halten sich für sie die Vor- und Nachteile dieser Führungsform entweder weitgehend die Waage (52 Prozent) oder die Nachteile überwiegen (18 Prozent).
Die Vorbehalte gegenüber dem virtuellen Führen resultieren auch daraus, dass über drei Viertel der Führungskräfte (78 Prozent) bei ihm die Gefahr einer sinkenden Beziehungsqualität zwischen den Mitarbeitenden und ihnen sehen. Als weitere Gefahren erachten viele eine sinkende Identifikation mit dem Unternehmen (52 Prozent), eine Überforderung der Mitarbeitenden (42 Prozent) und ein Absinken ihrer Motivation (29 Prozent).
"Viele Führungskräfte sehen beim #Führen auf Distanz die Gefahr einer Überforderung ihrer Mitarbeitenden, doch nur wenige konstatieren eine entsprechende Gefahr bei sich selbst." @BLiebermeister
Click to tweet
42 Prozent der Führungskräfte sehen beim Führen auf Distanz zwar die Gefahr einer Überforderung ihrer Mitarbeitenden, doch nur 23 Prozent konstatieren eine entsprechende Gefahr bei sich selbst. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass eine mögliche Verschlechterung der Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft sowie sinkende Identifikation mit dem Unternehmen auch auf eine Überforderung der Führungskräfte beim Führen auf Distanz zurückzuführen ist. Schließlich beklagen nicht wenige Führungskräfte, dass ihnen oft die Zeit für persönliche Gespräche mit ihren Mitarbeitenden, aber auch anderen Netzwerkpartnern fehle.
An diesem Punkt klaffen zuweilen, so scheint es, das Selbst- und Fremdbild der Führungskräfte auseinander. So sehen zum Beispiel nur acht Prozent der Führungskräfte, beim Führen auf Distanz die Gefahr eines Kontrollverlusts. Spricht man hingegen mit ihren Mitarbeitenden, stellt man fest: Diese verspüren bei ihren Führungskräften durchaus oft die Angst vor einem Kontrollverlust. Eine solche Angst ist nachvollziehbar, da die Führungskräfte für die Leistung ihres Bereichs verantwortlich sind und ihre Leistung letztlich an der Leistung ihrer Mitarbeitenden gemessen wird. Diese zumindest latent vorhandene Angst gestehen sich aber viele Führungskräfte nicht ein, denn dies wäre vermutlich nicht mit ihrem Selbstbild "Ich kann vertrauen und loslassen" vereinbar.
Bezogen auf das Thema Führen auf Distanz sehen die Führungskräfte bei sich vor allem einen Entwicklungsbedarf in den Bereichen Kommunikation (43 Prozent), Digitalkompetenz (38 Prozent) und Selbstmanagement (32 Prozent).
Hybride Arbeit in unternehmensübergreifenden Teams
95 Prozent der Führungskräfte sind überzeugt, dass ihr Team mittelfristig einen hybriden Charakter (85 Prozent) oder gar rein virtuellen Charakter (10 Prozent) hat. Sie erwarten also, dass sie auch "nach Corona" vor der Herausforderung stehen, Mitarbeitende und Teams auf Distanz zu führen und die hierfür nötigen Kompetenzen brauchen.
Dabei fiel in den persönlichen Interviews auf: Wenn die Führungskräfte von hybriden Teams sprechen, beziehen sie sich meist nicht nur auf die ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeitenden. Vielmehr rekurrieren sie in ihren Erzählungen über ihren Arbeitsalltag und die Herausforderungen, vor denen sie in ihm stehen, auch immer wieder auf solche Netzwerkpartner wie Mitarbeitende und Führungskräfte anderer Bereiche sowie externe Partner wie Dienstleister, Kunden und Lieferanten. Die Führungskräfte haben also, wenn sie von hybriden Teams sprechen, häufig die bereichs- oder gar unternehmensübergreifenden Arbeitsteams vor Augen, deren Zusammenarbeit sie in ihrem Arbeitsalltag koordinieren müssen, damit ihr Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet.
"Viele #Führungskräfte haben das klassische Bereichsdenken bereits überwunden. Sie denken stattdessen in netzwerkartigen Zusammenhängen." @BLiebermeister
Click to tweet
Das heißt, viele Führungskräfte haben das klassische Bereichsdenken bereits überwunden. Sie denken stattdessen in netzwerkartigen Zusammenhängen. Sie versuchen zudem, statt der Zusammenarbeit in ihrem Bereich die Zusammenarbeit in dem für sie relevanten Beziehungsnetzwerk zu optimieren, das am Leistungserbringungsprozess direkt beteiligt ist. Dabei müssen sie aufgrund ihres Auftretens und Verhaltens sowie der Kraft ihrer Argumente die Mitarbeitenden als Mitstreiter gewinnen – ohne disziplinarische Gewalt.
Ansätze einer solchen Kultur der Zusammenarbeit und Führung, die in der Vuca-Welt zunehmend erfolgsrelevant ist, scheint es in den Unternehmen bereits zu geben. Diese gilt es auszubauen, unter anderem indem die Unternehmen die Entwicklung ihrer Führungskräfte massiv fördern.
Studie "Alpha-Collaboration – Führung im Umbruch"
Die Umfrage unter 482 Führungskräften war die Grundlage für die Studie "Alpha-Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft". Die Studie kann unter www.ifidz.de für 39 Euro bestellt werden. Aus ihr können Handlungsempfehlungen für die Personal- und Führungskräfteentwicklung des Jahres 2022 abgeleitet werden.
Der Artikel ist in ungekürzter Fassung in der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung" Ausgabe 04/2022 erschienen. Darin können Sie unter anderem lesen, welche Elemente eine praxisnahe Führungskräfteentwicklung jetzt enthalten sollte.
Das könnte Sie auch interessieren:
Führungs- und Entscheidungskompetenz seit Pandemiebeginn stärker gefragt
Top-Thema "Personalentwicklung digitalisieren": Grundlagen, Konzepte, Maßnahmen
-
Die verschiedenen Führungsstile im Überblick
730
-
Die besten Business Schools für Master in Management
382
-
Investitionen in Weiterbildung nehmen zu, aber verpuffen
145
-
Der EQ – und wie er sich steigern lässt
129
-
Kulturdimensionen: Interkulturelle Unterschiede verstehen
1071
-
Microlearning: Definition, Beispiele und Mehrwert für Unternehmen
89
-
Mini-MBA: Gut und günstig, aber weniger wertvoll
88
-
Personalentwicklungsmaßnahmen
85
-
Masterstudiengänge HR im Überblick
83
-
Wie Künstliche Intelligenz in der Personalentwicklung im Einsatz ist
82
-
So funktioniert Extended Reality Learning
20.11.2024
-
Podcast Folge 39: Eine erlebbare Lernkultur aufbauen
19.11.2024
-
Wie Zertifikatskurse das MBA-Studium ergänzen
18.11.2024
-
Micro-Credentials werden immer beliebter
14.11.2024
-
Keine Zeit für den Lerntransfer? Diese Strategien helfen
13.11.2024
-
Deutsche Executive-MBA-Programme verlieren Plätze
08.11.2024
-
KI mit neuer Stoßrichtung auf der L&D
08.11.2024
-
Podcast Folge 38: Personalentwicklung in der Fraunhofer-Gesellschaft
05.11.2024
-
Digital Learning fehlt strategische Einbindung
04.11.2024
-
Das Potenzial von Learning Analytics
31.10.2024