Rz. 80

Mandanten sind nach § 11 BORA über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten, dazu vor allem alle maßgeblichen Schriftstücke, seien sie beim Anwalt eingegangen, seien sie von ihm versandt worden, zur Kenntnisnahme zu übermitteln und Anfragen des Mandanten ohne Verzug zu beantworten.

 

Rz. 81

Die in § 11 BORA erwähnten Pflichten sind zwar allgemeiner Natur, betreffen aber vor allem forensisch geprägte Mandate, die von einem dynamischen Austausch von Informationen besonders betroffen sind. Auch wenn es Selbstverständliches sein mag, was § 11 BORA statuiert, so ist der Austausch von Informationen zwischen Anwalt und Mandant gerade im Zusammenhang mit Prozessförderungspflichten von besonderer Bedeutung.

 

Rz. 82

Denn hier können gerade Einlassungen des Gegners Grund für eine ergänzende Sach- und Rechtsprüfung sowie für eine weitere Belehrung des Mandanten sein, etwa verbunden mit Empfehlungen für die weitere Sachdarstellung, für die Sicherung von Beweismitteln oder für die Beschaffung von Privatgutachten. Dabei hat der Anwalt auch darauf hinzuweisen, dass Sachvortrag und Beweismittel als verspätet zurückgewiesen werden können.

 

Rz. 83

Prozessuale Fristen sind daher vom Anwalt zu notieren und ihre Einhaltung genau zu kontrollieren. Vortrag hat möglichst umfassend und erschöpfend zu erfolgen und – ggf. auch mit Hilfe von Rechtsausführungen – die Eignung aufzuweisen, richterlichen Missverständnissen und Fehlern vorzubeugen. Demgemäß hat der BGH etwa nicht näher erläuterte Hinweise zu einer – streitendscheidenden – Verpflichtung zum Abschluss einer "All-Risk"-Versicherung als unzureichend bezeichnet, auch wenn der Begriff der "All-Risk"-Versicherung per se leicht verständlich und die unterlassene Einhaltung der Versicherung unstreitig war.[36]

 

Rz. 84

Zu den häufigsten Gegenständen von Anwaltsregressen gehören neben der Versäumnis prozessualer und materiell-rechtlicher (Ausschluss- und Verjährungsfristen-)Fristen auch Vergleiche, weil Mandanten eine konsensuale Streitbeilegung mit etwas zeitlichem Abstand wieder als unbefriedigend und die prozessuale Hilfe ihres Anwalts im Vorfeld und beim Vergleichsabschluss als unzureichend empfinden. Vor allem die Frage nach den zu wahrenden Fristen und ihrer Kontrolle wird im nachfolgenden Haftungs-ABC noch eingehend beleuchtet.

 

Rz. 85

Für den Vorwurf des Abschlusses eines ungünstigen Vergleichs reicht es aber nicht aus, dass die Mandantschaft dabei die gegen ihre im Ausgangsrechtsstreit eingenommene Position streitende Tatsachen ausblendet und die Annahme eines ungünstigen Vergleichs allein auf ein sog. "best-case"-Szenario stützt, ohne auch Risiken und drohende Nachteile einer Fortsetzung der Auseinandersetzung zu bedenken.

 

Rz. 86

War dem Mandanten eine eigenständige Entscheidung über den Abschluss des Vergleichs ermöglicht worden, indem der Anwalt ihm dessen Vor- und Nachteile dargelegt hat, ist für eine Pflichtverletzung kein Raum.[37]

 

Rz. 87

Dem Anwalt ist ein Ermessens- und Prognosespielraum zuzubilligen, "dessen er auch bei gewissenhafter Interessenabwägung bedarf", weil wegen "den fast immer auftretenden, erheblichen Schwierigkeiten und Ungewissheiten" eine Überspannung der Sorgfaltspflichten drohte und dies "praktisch das Ende jeder (außer)gerichtlichen Vergleichspraxis bedeuten würde". Wenn der erzielte Vergleich für die Interessen des Mandanten "nicht so unzulänglich war, dass die Führung eines Rechtsstreits"unbedingt vorzuziehengewesen wäre“, liegt die Verneinung einer Anwaltspflicht nahe.[38]

 

Rz. 88

Bei der Prognose kann der Anwalt auch in Rechnung stellen, dass es zu Fehleinschätzungen und -entscheidungen der Gerichte kommt und dass die Rechtswissenschaft keine mathematisch exakten Erkenntnisse liefert, sondern eine fast schon unüberschaubare Meinungsvielfalt bereit hält.[39]

 

Rz. 89

Auch wenn ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag den Anwalt nicht von seiner Verantwortung bei der Beratung der Partei entbindet, so kommt doch einer persönlichen Teilnahme des Mandanten an einer Gerichtsverhandlung und dem Umfang der Verhandlung eine maßgebliche Rolle zu, zumindest dann, wenn der Vergleich ein nicht offenkundig unvertretbares Ergebnis darstellt.[40]

[36] BGH, Urt. v. 10.12.2015 – IX ZR 272/14 – Rn 11 f., juris = NJW 2016, 957, = MDR 2016, 392 = WM 2016, 180.
[37] BGH, Urt. v. 14.7.2016 – IX ZR 291/14 – Rn 8, juris = NJW 2016, 3430 = VersR 2017, 487 = WM 2017, 675.
[38] Zit. nach BGH, Urt. v. 5.1.1968 – VI ZR 137/66 – Rn 23, 32, 40, juris = VersR 1968, 450.
[39] Vgl. dazu OLG Frankfurt, Urt. v. 12.11.1988 – 14 U 178/86 = NJW 1988, 3269, 3270.
[40] So etwa OLG Koblenz, Urt. v. 12.5.2006 – 8 U 782/05 – Rn 30, 32, 41 f., juris; nachgehend durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt vom BGH, Beschl. v. 11.10.2007 – IX ZR 117/06 – Rn 1, juris.

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