Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2226
Gem. Art. 12 SE-VO kann eine Europäische Gesellschaft (SE) erst eingetragen werden, wenn eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer geschlossen worden ist. Dieses Gebot wirft Fragen auf, wenn jedenfalls zur Zeit der Gründung keine Arbeitnehmer bei der SE beschäftigt sind. Dazu haben das AG und das LG Hamburg einen ersten Fall entschieden. Im konkreten Fall waren bei den Gründungsgesellschaften Arbeitnehmer beschäftigt. Die Europäische Gesellschaft (SE) dagegen sollte keine Arbeitnehmer beschäftigen. Das Gericht verweigerte die Eintragung mit der Begründung, dass gem. Art. 12 SE-VO eine SE erst eingetragen werden dürfe, soweit eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft (SE) geschlossen sei, unabhängig davon, ob in der Europäischen Gesellschaft (SE) Arbeitnehmer beschäftigt werden sollen oder nicht. In diesem Fall hätte ein zumindest besonderes Verhandlungsgremium gebildet werden müssen, da bei den Gründungsgesellschaften Arbeitnehmer beschäftigt waren. Stellungnahmen in der Literatur haben den Entscheidungen zugestimmt. Insb. wird angemerkt, dass die Entscheidungen im Einklang mit dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 SE-VO stehen.
Rz. 2227
Die Urteile werden auch dahingehend interpretiert, dass die Gerichte eine arbeitnehmerlose Europäische Gesellschaft (SE) als zulässig ansehen. Es sind auch Eintragungen arbeitnehmerloser Vorrats-SE, bei denen auch die Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigen, bekannt geworden. Das AG Düsseldorf hat eine Europäische Gesellschaft (SE) eingetragen, obwohl keine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer geschlossen worden war. Nach der Begründung der Entscheidung war eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht notwendig und auch nicht möglich, da weder bei den Gründungsgesellschaften noch bei der zu gründenden Europäischen Gesellschaft (SE) Arbeitnehmer beschäftigt waren bzw. werden sollten. Das Gericht hat eine Negativerklärung zur Arbeitnehmerlosigkeit der beiden Gründungsgesellschaften als ausreichend angesehen. Das OLG Düsseldorf hält die bloße Behauptung, weder aktuell Arbeitnehmer zu beschäftigen noch dies künftig zu beabsichtigen, zwar für nicht unproblematisch. Das Registergericht ist nicht in der Lage, die Wahrhaftigkeit und Beständigkeit der Erklärung zu überprüfen. Nach registerrechtlichen Grundsätzen sei das Gericht abseits konkreter Verdachtsmomente dennoch nicht gehalten eine solche Behauptung aber auch überprüfen.
Rz. 2228
Die Gefahr, dass durch die Gründung unternehmens- und damit arbeitsnehmerloser SE deutsches Mitbestimmungsrecht gezielt umgangen werden könne, sieht das OLG Düsseldorf dennoch nicht. Zwar führt nach dem Konzept der SE-RL bzw. SE-VO allein der spätere Anstieg der Arbeitnehmerzahlen grds. nicht zur erneuten – und in diesem Fall sogar erstmaligen – Aufnahme von Verhandlungen gem. § 18 SEBG. Allerdings sollen für diesen Fall der wirtschaftlichen Neugründung die Gründungsregelungen nicht nur im Hinblick auf das deutsche Gesellschaftsrecht analog angewandt werden können. Vielmehr leite sich eine nachträgliche Verhandlungspflicht aus einer Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG ab. Dieser Weg finde auch in der Gesetzesbegründung zum SEBG eine Stütze, der ohnehin bei der Aufnahme eines mitbestimmten Unternehmens durch eine nicht mitbestimmte SE von einer strukturellen Änderung i.S.d. § 18 SEBG ausgehe.
Das LAG Nürnberg entschied unlängst in einem (noch nicht rechtskräftigen) Beschluss, dass in einer arbeitnehmerlosen SE auch dann kein besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt werden muss, wenn diese die Aufgabe als Komplementär einer KG mit mehr als 2.000 Beschäftigten übernimmt. Die Übernahme einer Komplementärstellung stellt danach keine "strukturelle Änderung i.S.v. § 18 Abs. 3 SEBG dar."
Rz. 2229
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat dem AG ggü. die Amtslöschung der Gesellschaft angeregt und auch in der Literatur wird angeführt, dass eine Europäische Gesellschaft (SE) nur eingetragen werden könne, wenn die Pflicht zur Beteiligung der Arbeitnehmer i.S.d. Art. 12 Abs. 2 SE-VO erfüllt sei. Ist dies nicht der Fall, könne die Europäische Gesellschaft (SE) nicht eingetragen werden, die Umstände spielten dabei keine Rolle. Das gelte auch für den Fall, dass der Gesetzesbefehl sachlogisch unerfüllbar ist.
Die Vertreter dieser Ansicht sehen die Arbeitnehmerbeteiligung als konstitutiven Bestandteil der Unternehmensverfassung einer Europäischen Gesellschaft (SE). Daraus folge, dass ausnahmslos zwingend eine Regelung über die Beteiligung der Arbeitnehmer bestehen müsse, damit die Europäische Gesellschaft (SE) eingetragen werden könne. Soweit bei den beteiligten Gesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigt seien, könne die Europäische Gesellschaft (SE) somit nicht eingetragen werden.
Rz. 2230
Die h.M. geht von einer Pflicht zur ...