Rz. 33
Im Rahmen der Beratung des Mandanten nach dem Erbfall ist der Vermögensbestand mit allen Aktiva und Passiva aufzunehmen und ein Nachlassverzeichnis zu erstellen (vgl. zum Muster für ein Nachlassverzeichnis § 17 Rdn 117). Dies ist zum einen für die Frage, ob die Erbschaft überhaupt angenommen werden sollte, und zum anderen für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen bedeutsam. Darüber hinaus muss für die Kosten einer Testamentseröffnung ein Nachlassverzeichnis aufgestellt werden.
Rz. 34
Oftmals ist es jedoch schwierig, innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist von sechs Wochen zu zuverlässigen Vermögensfeststellungen zu gelangen. Dies gilt insbesondere für die Frage der Überschuldung und der Bewertung eines Nachlasses. Oftmals kann nicht guten Gewissens zur Ausschlagung geraten werden. Ratsamer kann beispielsweise die Ergreifung entsprechender Haftungsbeschränkungsmaßnahmen sein (Dürftigkeitseinrede, Nachlassverwaltung, Nachlassinsolvenz etc.).
Rz. 35
Bei tatsächlichen Fehleinschätzungen hilft hier allerdings die Möglichkeit der Anfechtung der Annahme der Erbschaft. Insoweit liegt ein Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) vor. § 119 Abs. 2 BGB spricht nur von Eigenschaften einer "Sache". Es ist aber seit langem anerkannt, dass der Begriff nicht im rechtstechnischen Sinne des § 90 BGB zu verstehen ist, sondern im Sinne von "Gegenstand". Daraus folgt, dass unter den Begriff der Sache auch die Erbschaft fällt und demgemäß ein Irrtum über wesentliche Eigenschaften die Anfechtung begründen kann. Die Zusammensetzung des Nachlasses gehört zu den Eigenschaften der Erbschaft. Demgemäß kann ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte zum Nachlass zur Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung berechtigen, allerdings nur dann, wenn es sich dabei um eine wesentliche Eigenschaft handelt. Zur Anfechtung kann die irrige Annahme, einen wesentlichen Nachlassbestandteil bereits durch Übertragung zu Lebzeiten erhalten zu haben, oder die falsche Vorstellung über das Bestehen einer Nachlassverbindlichkeit (z.B. Steuerschuld) berechtigen. Ob es sich um eine wesentliche Eigenschaft handelt, hängt von der Bedeutung des Nachlassgegenstands, auf den sich der Irrtum bezieht, und vom Verhältnis zum Gesamtnachlass ab. Als weitere Voraussetzung für eine Anfechtung muss die Ursächlichkeit i.S.v. § 119 Abs. 1 BGB hinzutreten. Dies bedeutet, dass eine Anfechtung nur für den Fall begründet ist, dass die Kenntnis der wahren Sachlage bei (objektiv) verständiger Würdigung Anlass gewesen wäre, von der Erklärung abzusehen.
Rz. 36
Lediglich die wertbildenden Faktoren sind als Eigenschaften anzusehen. Liegt daher eine fehlerhafte Vorstellung über den Wert des gesamten Nachlasses vor, ohne dass ein Irrtum über den Nachlassbestand oder einzelne Bestandteile gegeben ist, liegt ein Anfechtungsgrund nicht vor.
Ein irrelevanter Motivirrtum und kein Eigenschaftsirrtum liegt dann vor, wenn es sich um die fehlerhafte Vorstellung handelt, eine Nachlassverbindlichkeit werde innerhalb der Verjährungsfrist oder einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden. Geht der Erklärende davon aus, bestimmte Umstände seien möglich, so etwa, wenn der Annehmende von der bloßen Hoffnung ausgeht, es könne irgendwelches Vermögen des Erblassers im Ausland vorhanden sein, liegt kein Irrtum vor.
Rz. 37
Ein Eigenschaftsirrtum ist nicht gegeben, wenn der Erbe irrtümlich davon ausgeht, dass der Nachlass überschuldet ist und diese Überschuldung das Ergebnis der Bewertung der Nachlassgegenstände und der Nachlassverbindlichkeiten ist. Geht der Erbe jedoch irrtümlich davon aus, dass der Nachlass überschuldet ist oder nicht und beruht dieser Irrtum darauf, dass er davon ausging, dass bestimmte Gegenstände zum Nachlass gehören oder das Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten in fehlerhafter Weise bejaht oder verneint wurde, ist ein Irrtum über Eigenschaften des Nachlasses zu bejahen.
Rz. 38
Die Frage, mit welchen Nachlassverbindlichkeiten (auch Vermächtnissen) eine Erbschaft belastet ist, gehört ebenfalls zu den wertbildenden Faktoren. Dies führt dazu, dass die irrtümliche Annahme, eine gegen den Nachlass gerichtete Forderung sei verjährt, die Anfechtung der Annahme rechtfertigen kann. Die Annahme der Erbschaft kann seitens eines Miterben auch dann angefochten werden, wenn er irrtümlich davon ausging, eine dinglich gesicherte Nachlassverbindlichkeit sei nach § 2166 BGB von dem mit dem belasteten Grundstück bedachten Vorausvermächtnisnehmer allein zu tragen und der Nachlass daher nicht überschuldet.
Rz. 39
Die Frage, ob ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gegeben ist und auch das Erfordernis der Ursächlichkeit sind stets zu beachten. Geht aus der Ausschlagungserklärung hervor, dass sie ohne Rücksicht auf den (positiven oder negativen) Wert des Nachlasses erfolgt, fehlt es an der Ursächlichkeit. An der Ursächlichkeit fehlt es auch, wenn der Erbe aufgrund bloßer Spekulationen über eine mögliche Überschuldung a...