Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 141
§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt tatbestandlich das Bestehen eines "auf anderen gesetzlichen Vorschriften" beruhenden Anspruchs auf Ersatz eines Schadens voraus. Dieser Anspruch geht auf den Versicherungsträger oder Sozialhilfeträger über. Bereits der Wortlaut macht deutlich, dass es sich um Ansprüche außerhalb des SGB und derjenigen Vorschriften handeln muss, die als Teile des SGB gelten (vgl. Art. 2 § 1 SGB I).
Rz. 142
Vom Anspruchsübergang werden sämtliche Schadensersatzansprüche aus Deliktshaftung erfasst, z.B. Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 ff. BGB einschließlich der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB oder der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB, ferner Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz und nach dem Arzneimittelgesetz. Übergangsfähig sind die sich aus der Gefährdungshaftung ergebenden Schadensersatzansprüche (z.B. StVG, HPflG, LuftVG, AtomG usw.). Das Gleiche gilt für Ansprüche aus dem Warschauer Abkommen, dem Binnenschifffahrtsgesetz und dem Seehandelsrecht.
Rz. 143
Vertragliche Schadensersatzansprüche, soweit sie sich aus positiver Vertragsverletzung bzw. aus § 280 BGB ergeben, unterliegen dem Übergang.
Rz. 144
Ersatz für ihre Leistungen zugunsten ihres Mitglieds erhält die gesetzliche Kasse von Dritten aufgrund der nach § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche. Das gilt auch bei einem Behandlungsfehler eines Vertragsarztes bei der Behandlung seiner Kassenpatienten; selbst wenn es neben dem übergegangenen bürgerlich-rechtlichen Anspruch noch einen deckungsgleichen eigenen (öffentlich-rechtlichen) Ersatzanspruch der Kasse gegen den Vertragsarzt geben sollte, darf die Kasse insoweit weitergehende öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen des Schadensfalls gegen den Arzt nicht durchsetzen, weil der Schadensfall im Allgemeinen vollständig unter ein bestehendes Teilungsabkommen fällt; mit der im Teilungsabkommen vereinbarten Leistung des Haftpflichtversicherers ist die Kasse abgefunden.
Rz. 145
Im Falle des Absehens von einem zulässigen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer fehlerhaften Bewertung eines genetischen Befundes (Chromosomenanomalie eines schwerstgeschädigten Kindes) kann die Krankenkasse von dem Arzt, der die fehlerhafte Bewertung zu vertreten hat, Ersatz wegen der Kosten für die Pflege und die medizinische Betreuung des Kindes verlangen.
Rz. 146
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof erfasst § 116 SGB X auch den Anspruch des Geschädigten auf Einsicht bzw. auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation. Ein solcher Übergang beruht auf § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB.
Rz. 147
Nicht vom Forderungsübergang erfasst werden dagegen vertragliche Erfüllungsansprüche, die erst bei Nichterfüllung Schadensersatzansprüche auslösen. Ansprüche aus Besatzungs- und Stationierungsschäden nach dem NATO-Truppenstatut sind vom Forderungsübergang allerdings erfasst.
Rz. 148
Ist der Ersatzanspruch unpfändbar, beeinflusst dies den Rechtsübergang nicht. Aufrechnung des Schädigers gegenüber dem Regressgläubiger ist auch in diesem Fall möglich, und zwar im gleichen Umfang, wie er dies gegenüber dem Geschädigten hätte tun können. Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB in Verbindung mit § 850b ZPO, § 54 SGB I, das dem Schutz des Geschädigten dient, findet keine Anwendung.
Rz. 149
Der Rechtsübergang richtet sich nach dem Umfang der einzelnen Schadensersatzansprüche. Er erstreckt sich auf Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall und vermehrte Bedürfnisse. Auch die Ansprüche der mittelbar Geschädigten auf Ersatz des Unterhaltsschadens (§ 844 Abs. 2 BGB) und der Beerdigungskosten (§ 844 Abs. 1 BGB) werden erfasst (vgl. hierzu § 15 Rdn 1 ff. und § 15 Rdn 24 ff.).
Rz. 150
Die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB steht dem Forderungsübergang von Amtshaftungsansprüchen nicht im Wege. Der BGH hat (anders noch die ältere Rechtsprechung) das Beamtenprivileg im hier maßgeblichen Zusammenhang mit einer Serie von Entscheidungen im Wege restriktiver Auslegung begrenzt. So ist § 839 Abs. 1 S. 2 BGB nicht anwendbar, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hat oder wenn ein Amtsträger durch eine Verletzung der ihm als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht. Etwas anderes gilt nur, wenn vom Amtsträger in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben Sonderrechte (§ 35 StVO: z.B. Blaulicht) in Anspruch genommen wurden. Eine Ausnahme von der Einschränkung der Subsidiaritätshaftung der öffentlichen Hand gilt auch dann, wenn der Beamte, vor allem der Polizeibeamte, einen Fehler bei der Regelung des Verkehrs gemacht hat.
Rz. 151
Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung können nicht mehr als anderweitiger Ersatz im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB gewertet werden. Vom Sinn und Zweck der Regressregelung (...