Dr. iur. Andrea Wassermeyer, Nicolai Lasaroff
Rz. 41
Zu beachten ist, dass die Einigungsgebühr im gerichtlichen Verfahren in I. Instanz 1,0 gem. Nr. 1003 VV RVG beträgt, während sich nach dem Gebührentatbestand Nr. 1004 VV RVG die Einigungsgebühr im Fall einer vergleichsweisen Einigung im Berufungs- oder Revisionsverfahren, einem Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung eines dieser Rechtsmittel auf 1,3 erhöht.
Ständiger Streitpunkt war die Frage, ob eine Einigungsgebühr entsteht, wenn das Arbeitsverhältnis nach "Rücknahme" der Kündigung fortgesetzt wird und ob dieses Vorgehen einen Vergleich i.S.d. § 779 BGB darstellt. Das BAG hat diese Frage ebenfalls in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 entschieden:
Rz. 42
Nimmt der Arbeitgeber die von ihm ausgesprochene Kündigung zurück und verständigen sich die Parteien auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und Rücknahme der Kündigungsschutzklage, entsteht eine Einigungsgebühr (BAG v. 29.3.2006 – 3 AZB 69/05, ArbRB 2006, 203). Soweit nicht ausdrücklich ein Anerkenntnis oder ein Verzicht entsprechend §§ 306, 307 ZPO vorliegt, sondern eine sonstige Vereinbarung, durch die der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, ist der Tatbestand des Vergleiches, mithin der Einigungsgebühr, erfüllt. Mit dieser Entscheidung ist ein jahrelanger Streit erledigt, vgl. insb. auch die wechselhafte Rechtsprechungsgeschichte des LAG Düsseldorf, z.B. LAG Düsseldorf v. 15.8.2005 – 16 Ta 433/05.
Rz. 43
Das BAG liegt hiermit auf der gleichen Linie wie der BGH (v. 28.9.2005, NJW-RR 2006, 644 = RVGreport 2006, 22). Diese Entscheidung erging ebenfalls im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einer Rechtsschutzversicherung zur Frage des notwendigen Inhalts eines Prozessvergleiches, als sich die Parteien auf die Aufhebung eines bestehenden Widerspruchsbescheides einigten und somit die Bescheidung des Rechtsstreites durch Urteil vermieden. Gegenseitiges Nachgeben i.S.v. § 779 BGB liegt schon dann vor, wenn die Parteien, um zur Einigung zu gelangen, überhaupt Zugeständnisse machen. Geringes Nachgeben auch im kleinsten Streitpunkt reicht insoweit aus. Insbesondere kann genügen, dass eine Partei ihr prozessuales Ziel, eine der Rechtskraft fähige Entscheidung zu erhalten, aufgibt.
Endet ein mit Rechtsschutz geführter Rechtsstreit durch Vergleich, hat der Versicherer dessen Kosten in Höhe der Misserfolgsquote des Versicherungsnehmers auch insoweit zu tragen, also in den Vergleich weitere, bisher nicht streitige Gegenstände einbezogen worden sind, wenn der Versicherer auch für sie Rechtsschutz zu gewähren hat und sie rechtlich mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits zusammenhängen (so der BGH v. 14.9.05 – IV ZR 145/04, MDR 2006, 392 zum Mehrvergleich). Das LG Bremen hat sich der Rspr. des BGH in einem Fall angeschlossen, in dem im Vergleich nicht strittige Positionen wie Zeugnis, Boni, Freistellung und Outplacement einbezogen wurden. Diese Positionen sind bei der Bemessung der zu erstattenden Geschäftsgebühr nicht zu erstatten, wohl aber bei Bemessung der Einigungsgebühr wegen eines überschießenden Vergleichs (LG Bremen r&s 2014, 234).
Die Rechtsschutzversicherung hat den Versicherungsnehmer von den Kosten eines Vergleichsmehrwerts hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Erteilung eines guten Endzeugnisses freizustellen, wenn dieser dem Arbeitgeber insoweit Vertragsverletzungen vorhält. Dafür ist die bloße Behauptung eines Pflichtverstoßs durch den Versicherungsnehmer unabhängig von der Berechtigung, Erweislichkeit, Schlüssigkeit, Substantiiertheit oder Entscheidungserheblichkeit ausreichend (LG München I v. 8.11.2017 – 25 S 17964/16, ArbRB 2018, 14).
Dem Vorschlag im Streitwertkatalog, dass ein Vergleichsmehrwert nur vorliegt, wenn zwischen den Parteien ein Streit und/oder eine Ungewissheit bestanden hat, kann nicht gefolgt werden.
Ein Vergleichsmehrwert liegt vielmehr auch vor, wenn ein bisher nicht streitiger Anspruch unter Veränderung oder Gestaltung seines Inhalts einbezogen wird. Maßgeblich sind die Gegenstände, auf die sich der Vergleich erstreckt, ohne dass es auf die Motive der Parteien ankommt (LAG München v. 8.2.2018 – 7 Ta 55/17). Das LAG München wendet sich somit gegen den Streitwertkatalog. Für einen Vergleichsmehrwert reicht es aus, wenn ein bisher unstreitiger oder gewisser Anspruch unter Veränderung oder Gestaltung seines Inhalts in den Vergleich einbezogen wird.
In arbeitsgerichtlichen Vergleichen findet sich häufig die Formulierung, dass Urlaubs- und Freizeitansprüche "in natura" gewährt worden sind. Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Beschl. v. 26.8.2020 – 26 Ta (Kost) 6067/20 darauf hingewiesen, dass eine solche Regelung u.U. einen Vergleichsmehrwert auslösen kann. Dies kommt z.B. in Betracht, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt sei und sodann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestanden hat, ob eine solche Freistellung habe wirksam erfolgen können. Denn in einer solchen Konstell...