Eberhard Rott, Dr. Michael Stephan Kornau
Rz. 9
Nach der Auffassung des BGH hängt die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang der Arzt nach dem Tod des Patienten zum Schweigen verpflichtet ist, in erster Linie von dem Willen des Patienten ab. Hat dieser sich hierüber zu Lebzeiten geäußert (bspw. im Rahmen einer Patientenverfügung, Schweigepflichtsentbindungserklärung etc.), sei es gegenüber dem Arzt oder gegenüber Dritten, dann ist dieser Wille grundsätzlich maßgebend. Lässt sich eine positive Willensäußerung des Verstorbenen nicht feststellen, dann muss der mutmaßliche Wille des Patienten erforscht, also geprüft werden, ob er die konkrete Offenlegung durch den Arzt mutmaßlich gebilligt oder missbilligt haben würde. Von der erkennbar gewordenen oder zu vermutenden Willensrichtung des Patienten nicht gedeckte Gründe, die Aussage als Arzt zu machen, sind sachfremd und daher unbeachtlich.
Rz. 10
In einem zivilgerichtlichen Verfahren gilt folgende Darlegungslast: Der auf Aufdeckung von Umständen in Anspruch genommene Arzt darf sich nicht darauf beschränken, die Offenlegung "aus grundsätzlichen Erwägungen" zu verweigern. Vielmehr erwartet man von dem Arzt in einer solchen Lage die gewissenhafte Erfüllung strenger, ins einzelne gehender Prüfungspflichten und auch die Darlegung, auf welche Belange des Verstorbenen sich die Weigerung des Arztes stützt. Ohne eine derartige Prüfung und Darlegung wäre die dem Arzt eingeräumte weitgehende eigene Entscheidungsbefugnis nach Auffassung des BGH nicht tragbar.
Rz. 11
Allgemeine Ausführungen des Arztes, die insbesondere nicht erkennen lassen, dass der Erblasser sich über die Geheimhaltung seines Zustandes auch nach seinem Tode geäußert hätte, sind demgemäß nicht ausreichend. Aus den Angaben des Arztes muss ersichtlich sein, dass der Wille des Erblassers mutmaßlich dahin gegangen wäre, seinen Zustand auch im Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht zu verbergen. Davon kann allerdings im Regelfall nicht ausgegangen werden. Vielmehr geht das Interesse eines Erblassers im Allgemeinen dahin, aufkommende Zweifel über seine Testierfähigkeit nach Möglichkeit auszuräumen. Das liegt für den testierfähigen Erblasser auf der Hand, gilt aber auch für den Testierunfähigen. Sein wohlverstandenes Interesse ist nicht darauf gerichtet zu verbergen, dass er testierunfähig ist; vielmehr würden damit umgekehrt die seinem Schutz dienenden Vorschriften über die Testierfähigkeit in vielen Fällen gerade unterlaufen.
Das OLG Frankfurt folgt dieser Auffassung. Auch nach dieser Entscheidung besteht die Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Notaren und Rechtsanwälten nach dem Tod des Befreiungsberechtigten grundsätzlich fort. Nach allgemeiner Meinung dürfe jedoch in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Aufklärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im wohlverstandenen Interesse des Erblassers liegt, der ein Testament errichtet hat. Hinsichtlich solcher Tatsachen, welche die Willensbildung des Erblassers und das Zustandekommen einer letztwilligen Verfügung betreffen, ist daher grundsätzlich keine Verschwiegenheitspflicht anzunehmen. Der Arzt wird daher als aussagepflichtig über die Testierfähigkeit seines verstorbenen Patienten angesehen, soweit er keine Belege für dessen gegenteiligen Willen vorbringen kann.