Isabelle Losch, Walter Krug
Rz. 94
Im Zivilprozess kann und muss das Gericht von Amts wegen gem. §§ 144, 287, 372, 403 ZPO ein Sachverständigengutachten einholen, sogar schon vor der mündlichen Verhandlung gem. § 358 ZPO, wenn seine eigene Sachkunde hierfür nicht ausreicht. Der Antritt des Sachverständigenbeweises ist lediglich eine Anregung an das Gericht. Gem. § 442 ZPO gilt dies auch für den Schriftvergleich.
Rz. 95
Das Sachverständigengutachten setzt grundsätzlich voraus, dass der zu begutachtende Sachverhalt, die sogenannten Anknüpfungs- oder Anschlusstatsachen, gem. § 404a Abs. 3 ZPO seitens des Gerichts selbst ermittelt werden, es hat den Sachverständigen somit zu leiten. Das Gericht hat die Anknüpfungstatsachen selbst festzustellen und dem Sachverständigen als Grundlage seiner gutachterlichen Äußerung vorzugeben. Der Gutachter sollte gegebenenfalls darauf hinweisen, dass seine Beurteilung auf genau diesen übermittelten Anknüpfungstatsachen beruht und bei Übermittlung neuer Anknüpfungstatsachen sich diese Beurteilung auch ändern kann.
Rz. 96
Gem. § 411a ZPO kann die schriftliche Begutachtung auch durch Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Es besteht jedoch keine zivilprozessuale Bindung an dieses Gutachten. Den Parteien muss das Gutachten jedoch, falls ihnen dieses nicht aus dem früheren Verfahren bekannt ist, in Kopie zur Verfügung gestellt und zum Inhalt des Gutachtens rechtliches Gehör gewährt werden.
Rz. 97
Das BayObLG beanstandet es nicht, wenn das Sachverständigengutachten eine bestimmte Diagnose offenlässt. Zu klären ist aber, ob die freie Willensbestimmung des Erblassers durch die – wie auch immer geartete Krankheit – aufgehoben war. Der Erblasser muss noch zu vernünftigen Erwägungen in der Lage gewesen sein.
Rz. 98
Die postume Begutachtung des Testators ist allein durch den psychiatrischen Sachverständigen möglich. Als Gutachter sollen Fachärzte für Psychiatrie oder Nervenheilkunde bestellt werden. Diese müssen sich regelmäßig, um sich ein Bild von der allgemeinen Verfassung des Erblassers machen zu können, auf die Zeugenaussagen, die in der Regel von medizinischen Laien bzw. nicht psychiatrischen Fachärzten sind, verlassen. Weiter können sie Schriftstücke und das Testament heranziehen, um das Schriftbild und den auffälligen Text innerhalb des Testamentes zu sichten und zu begutachten. Letzteres kann Rückschlüsse auf den Geisteszustand des Erblassers zulassen, insbesondere bei grammatischen Fehlern bzw. Satzbaufehlern. Daneben können weitere Krankenunterlagen herangezogen werden. Die durch die Aussagen gewonnenen Erkenntnisse müssen sich insoweit auf Tatsachen beziehen, so dass eine rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes möglich ist. Allein Vermutungen oder Wahrscheinlichkeitsurteile für ein mögliches Krankheitsbild ohne Begründung reichen nicht aus.
Rz. 99
Die benannten Zeugen sollten möglichst im Beisein des psychiatrischen Sachverständigen vernommen werden, damit dieser bei Bedarf Nachfragen stellen kann und nicht nur die Aussage dem Protokoll entnehmen muss
Rz. 100
Daneben stehen dem Sachverständigen lediglich medizinische und private Unterlagen des Erblassers zur Verfügung. Wichtige Unterlagen und Beweismittel für die Gutachtenerstellung sind, soweit diese vorhanden sind:
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Eigene Angaben des Erblassers u.a. in Kalendernotizen, Briefen oder Tagebucheinträgen, oder in persönlichen wie auch geschäftlichen Korrespondenzen |
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Das Testament selbst, wobei sich die eigentliche Urheberschaft selbst bei einem notariellen Testament kaum ermitteln lässt |
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Aussagen vor Zeugen bezüglich seines letzten Willens |
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Angaben durch Parteien und Zeugen über den Gesundheitszustand des Erblassers vor oder nach dem fraglichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung |
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Sämtliche ärztliche Unterlagen (Arztbriefe, Krankenunterlagen, Krankenhausentlassungsberichte, Befundberichte, Atteste, Patientenakten) in den Jahren vor und nach dem fraglichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung |
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MDK-Gutachten zur Festlegung der Pflegestufe (inkludiert einen standardisierten Befundkatalog sowie häufig Angaben der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen) |
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Pflegedokumentationen ambulanter Pflegedienste oder Alten- und Pflegeheime |
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Betreuungsakte, insb. Betreuungsgutachten und Protokoll der richterlichen Anhörung, spätere Berichte des Betreuers |
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Weitere psychiatrische oder psychologische Gutachten, insbesondere aus Schwerbehinderten-, Renten-, Sozialgerichts- und Strafgerichtsverfahren oder Gutachten der psychologisch-medizinischen Untersuchungsstellen (PMU) |
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Antragsschrift und Antragserwiderung bzw. Klageschrift und Klageerwiderung im hiesigen Verfahren |
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Beteiligte und Prozessparteien |
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Zeugen aus dem Umfeld des Erblassers |
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Protokoll der gerichtlichen Einvernahme der Zeugen. |
Rz. 101
Ärztliche, auch fachärztliche Befunde sowie Beschreibungen konkreter Verhaltensweisen des Testierenden von psychiatrisc...