Das Verhalten eines Aufsichtsratsmitglieds kann auch dann einen wichtigen Grund für die Abberufung darstellen, wenn es nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dessen Aufsichtsratstätigkeit steht.
Überblick
Aufsichtsratsmitglieder können auch dann aus wichtigem Grund abberufen werden, wenn das ihnen vorgeworfene Fehlverhalten nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Aufsichtsratstätigkeit steht. Diesen Grundsatz hat das OLG Karlsruhe in seinem Beschluss vom 1.3.2022 anschaulich bestätigt und über den entschiedenen Fall hinaus geltende, praxisrelevante Maßstäbe für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern aus wichtigem Grund formuliert.
Sachverhalt
In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall begehrte der Aufsichtsrat einer großen SE die gerichtliche Abberufung eines seiner Mitglieder aus wichtigem Grund. Das betreffende Aufsichtsratsmitglied, das bei der Gesellschaft auch als Arbeitnehmer beschäftigt war, war seit dem Jahr 2019 als Gewerkschaftsvertreter Mitglied des Überwachungsorgans. Gleichzeitig war das Aufsichtsratsmitglied Vorsitzender des Betriebsrats der Gesellschaft.
Gegen einen Arbeits- und Betriebsratskollegen des Aufsichtsratsmitglieds war im Wege einer "Whistleblower"-Meldung der Verdacht geäußert worden, dass dieser bei der Arbeit über Jahre hinweg häufiger der Arbeit fernblieb, ohne hierfür Urlaub beantragt zu haben. Im Laufe der zur Klärung dieses Verdachts eingeleiteten internen Untersuchung manipulierte das abzuberufende Aufsichtsratsmitglied E-Mails und Dateien, mit denen der beschuldigte Arbeitskollege seine Teilnahme an Betriebsratssitzungen (vermeintlich) mit der Begründung "Urlaub" abgesagt hatte. Das Aufsichtsratsmitglied gab dieses Verhalten später gegenüber dem Aufsichtsrat zu und begründete die Manipulationen damit, dass er seinem Arbeitskollegen habe helfen wollen.
Das Arbeitsverhältnis des Aufsichtsratsmitglieds wurde daraufhin außerordentlich gekündigt. Zudem beantragte der Aufsichtsrat beim Registergericht die gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund gem. Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO, § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG. Das Registergericht gab dem Antrag des Aufsichtsrats statt und berief das Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund ab. Hiergegen wendete sich das Aufsichtsratsmitglied mit seiner Beschwerde zum OLG Karlsruhe.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Entscheidung des Registergerichts bestätigt und das Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des Aufsichtsratsmitglieds bejaht.
Ein wichtiger Grund in der Person des Aufsichtsratsmitglieds sei gegeben, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls und bei Durchführung einer Interessenabwägung ein Verbleib des Aufsichtsratsmitglieds bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist. Ein weiterer Verbleib sei insbesondere dann unzumutbar, wenn die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats nicht unerheblich beeinträchtigt werde oder er eine sonstige Schädigung der Gesellschaft zu erwarten sei. Zu fragen sei vor allem, welche Bedeutung der für die Abberufung herangezogene Grund im konkreten Einzelfall für das Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat habe. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass das Aufsichtsratsmandat im Unternehmensinteresse ausgeübt werde und deshalb die Interessen des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber den Unternehmensinteressen grundsätzlich zurückstehen müssten.
Ein wichtiger Grund liege zudem nicht nur dann vor, wenn das Aufsichtsratsmitglied seine originären Organpflichten verletze. Für die Abberufung aus wichtigem Grund reiche es – unabhängig davon, ob das Verhalten in Ausübung des Organtätigkeit oder außerhalb hiervon stattfinde – aus, wenn und soweit das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds konkret nachteilige Folgen für
(i) den Geschäftsgang oder
(ii) das Ansehen der Gesellschaft habe oder
(iii) die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat gefährde.
Dies gelte daher auch für rein privates Fehlverhalten. Für einen verhaltensbedingten wichtigen Grund sei nur erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit erkennbar ist. Für den Zusammenhang zwischen der Aufsichtsratstätigkeit und dem Verhalten, das einen wichtigen Grund darstellt, reiche es aus, wenn sich das Verhalten auf die Gesellschaft auswirke. Dafür könne es zum Beispiel genügen, wenn der Gesellschaft Reputationsschäden drohen. Ausreichend sei auch, wenn die Verfehlungen einen Rückschluss auf die mangelnde Eignung als Aufsichtsratsmitglied zulassen und/oder zumindest ein tatsächlicher Bezug zwischen den Verfehlungen und der Tätigkeit als Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht.
Auch eine Pflichtenkollision (das Aufsichtsratsmitglied war zugleich Betriebsratsvorsitzender) beseitige weder die Pflichtwidrigkeit als solche noch lasse es diese weniger schwerwiegend und damit nicht mehr als wichtigen Grund erscheinen. Eine Spaltung der Verhaltensweisen einer Person sei nicht möglich.
Gemessen an diesem Maßstab habe das Aufsichtsratsmitglied das Vertrauen der G...