Leitsatz
War der Anwalt bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren für den Kläger tätig, so ist die Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren nur aus dem ermäßigten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV erstattungsfähig. Eine analoge Anwendung des § 15a Abs. 2 RVG kommt nicht in Betracht.
SG Stuttgart, Beschl. v. 10.1.2011 – S 24 SF 9117/09 E, S 24 SB 6379/07
1 I. Der Fall
Der Anwalt war für den Kläger bereits im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren tätig. Anschließend wurde er im gerichtlichen Verfahren vor dem SG beauftragt. Die Klage hatte Erfolg, die Kosten des Verfahrens wurden der Behörde auferlegt. Daraufhin beantragte der Kläger die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV aus dem vollen Rahmen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte lediglich die Verfahrensgebühr aus dem ermäßigten Rahmen der Nr. 3103 VV fest, da der Anwalt bereits im Verwaltungsverfahren vorbefasst gewesen sei. Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Im gerichtlichen Verfahren entsteht Verfahrensgebühr nur aus geringerem Rahmen
Wird der Anwalt im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren vor dem SG tätig, erhält er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV. Da bei den sozialrechtlichen Gebühren erster Instanz – im Gegensatz zu den Wertgebühren (Vorbem. 3 Abs. 4 VV) – keine Anrechnung vorgesehen ist, werden die Vorbefassung und die damit verbundene Arbeitsersparnis durch den Gebührenrahmen selbst erfasst. Der Anwalt erhält nach Nr. 3103 VV die Verfahrensgebühr lediglich aus einem geringeren Gebührenrahmen, wenn er vorbefasst war.
Geringerer Rahmen ist auch bei der Kostenfestsetzung zu beachten
Dies ist auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten. Zu erstatten sind nur die Gebühren, die tatsächlich entstanden sind. Fiktive Gebühren sind nicht erstattungsfähig. Daher kann bei einer Vorbefassung nur die Verfahrensgebühr aus dem geringeren Rahmen der Nr. 3103 VV erstattet werden.
Daran ändert auch die zum 5.8.2009 eingeführte Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG nichts. Diese führt zwar bei Wertgebühren dazu, dass die Vorbefassung im Rahmen der Kostenerstattung keine Rolle spielt, sodass sich ein Erstattungsschuldner nicht auf die Anrechnung berufen kann. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung auf die sozialrechtlichen Gebühren kommt aber nicht in Betracht. Während bei den Wertgebühren zunächst einmal die volle Verfahrensgebühr entsteht (§ 15a Abs. 1 RVG) und erst im zweiten Schritt eine Anrechnung erfolgt, ist dies bei den sozialrechtlichen Gebühren anders. Hier entsteht von Vornherein nur die ermäßigte Verfahrensgebühr in der geringeren Höhe. Dies ist auch im Rahmen der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen. Es kann nicht eine Gebühr erstattet werden, die gar nicht entstanden ist.
3 III. Der Praxistipp
Entscheidung entspricht der bisherigen Rspr.
Die Entscheidung des SG ist zutreffend und entspricht der bisherigen Praxis und Rechtsprechung (SG Berlin AGS 2010, 433; ebenso SG Chemnitz, Beschl. v. 6.1.2011 – S 3 AS 5094/10 – zu Nr. 2401 VV). Die vom Kläger begehrte Festsetzung würde letztlich darauf hinauslaufen, dass ein Teil der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr erstattet würde, worauf jedoch grundsätzlich kein Anspruch besteht. Dass hier im Ergebnis eine Ungleichbehandlung gegenüber der Abrechnung nach Wertgebühren vorliegt, ist offensichtlich.
Da das von der Anrechnung abweichende Gebührensystem in sozialrechtlichen Verfahren auch an anderen Stellen zu verfassungswidrigen Ungleichbehandlungen führt, nämlich bei der Anrechnung der Beratungshilfegeschäftsgebühr, und der Gesetzgeber hierzu ohnehin bereits eine Neuregelung plant, sollte überlegt werden, sich in Sozialsachen von dem Ermäßigungssystem zu lösen und auch hier die bewährte Gebührenanrechnung einzuführen.