1. Vergleichbare Problematik bei Klagerücknahme vor Klageabweisungsantrag

a) Problem

Das hier aufgeworfene Gebührenproblem kommt gewöhnlicherweise in anderer Konstellation vor, nämlich dergestalt, dass sich ein Anwalt für den Beklagten nach Klageerhebung zunächst nur bestellt und ggf. dessen Verteidigungsbereitschaft anzeigt, ohne jedoch bereits einen Sachantrag zu stellen und dann nach Klagerücknahme für den Beklagten einen Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 ZPO stellt. Bei dieser vergleichbaren Konstellation ist umstritten, wie abzurechnen ist.

 

Beispiel

Eingeklagt sind 10.000,00 EUR. Nach Zustellung der Klageschrift und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens lässt der Beklagte durch seinen Anwalt die Verteidigungsbereitschaft anzeigen. Bevor der Beklagtenvertreter eine Klageerwiderung mit Antrag einreichen kann, wird die Klage zurückgenommen. Daraufhin beantragt der Beklagtenvertreter, dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, woraufhin das LG einen entsprechenden Kostenbeschluss erlässt.

b) Unstreitig nur ermäßige Verfahrensgebühr für Bestellung

Es ist einhellige Auffassung, dass die bloße Anzeige der Verteidigungsbereitschaft lediglich eine 0,8-Verfahrensgebühr auslöst, da sie noch keinen Sachantrag enthält (LG Stuttgart AGS 2014, 501; ebenso zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO: OLG Düsseldorf AGS 2001, 54; OLG Koblenz JurBüro 1988, 1365; MDR 1981, 507 = JurBüro 1981, 1518). Wird also nach Anzeige der Verteidigungsbereitschaft die Klage zurückgenommen, liegt hinsichtlich der Hauptsache eine vorzeitige Erledigung i.S.d. Nr. 3101 Nr. 1 VV vor.

c) Volle Verfahrensgebühr aus der Hauptsache

Das LG Frankfurt (AGS 2020, 8 = JurBüro 2020, 246) ist der Auffassung, dass durch den anschließenden Kostenantrag die 0,8-Verfahrensgebühr auf eine volle 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache erweitere, da es sich insoweit um einen Sachantrag i.S.d. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV handele, der damit einer Ermäßigung der Verfahrensgebühr entgegenstehe.

Dies ergäbe dann folgende Berechnung:

 
 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 818,20 EUR  
3. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   155,46 EUR
  Gesamt   973,66 EUR

d) Keine weitere Vergütung für Kostenantrag

Nach Auffassung des AG Nürtingen (AGS 2016, 455 = RVGreport 2016, 422) löst der Kostenantrag über die 0,8-Verfahrensgebühr aus der Hauptsache hinaus keine weitere Vergütung aus. Grund hierfür sei, dass nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG der Antrag auf Erlass einer Kostenentscheidung mit zum Rechtszug gehöre und damit durch die Verfahrensgebühr abgegolten sei.

Danach wäre wie folgt zu rechnen:

 
 
1. 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV   491,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 511,20 EUR  
3. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   97,13 EUR
  Gesamt   608,33 EUR

e) Ermäßigte Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache und volle Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert

Nach Auffassung des OLG Köln (JurBüro 1989, 491) und des OLG Düsseldorf (MDR 1983, 764 = JurBüro 1983, 1334 = AnwBl 1983, 520) ist dagegen zu differenzieren:

Hinsichtlich der Hauptsache soll es dabei bleiben, dass insoweit nur eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV anfalle, weil es an einem Sachantrag fehle.
Für den Kostenantrag soll dagegen von einer 1,3-Verfahrensgebühr auszugehen sein, da es sich hier um einen Sachantrag handele. Der Gegenstandswert der vollen Verfahrensgebühr richte sich dann aber nur nach dem Kosteninteresse (§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG i.V.m. § 43 Abs. 3 GKG).
Hiernach seien dann beide Gebühren gem. § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen auf eine Gebühr nach dem höchsten Gebührensatz aus dem Gesamtwert. Dies bedeutet, dass insgesamt maximal eine 1,3-Gebühr aus dem Wert der Hauptsache anfallen kann, da Hauptsache und Kosten gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 43 Abs. 1 GKG nicht zusammengerechnet werden dürfen.

Ausgehend hiervon müsste man also noch den Gegenstandswert der Kosten ermitteln und nach § 33 RVG festsetzen lassen. Dieser Gegenstandswert würde sich aus den bisherigen Kosten des Klägers (973,66 EUR) und des Beklagten (608,33 EUR) sowie einer 1,0-Gerichtsgebühr (266,00 EUR) berechnen und insgesamt 1.847,99 EUR betragen.

Danach wiederum ergibt sich folgende Berechnung:

 
 
1. 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV   491,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV   215,80 EUR
  (Wert: 1.847,99 EUR)    
  (die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus 10.000,00 EUR (798,20 EUR), ist nicht überschritten)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 727,00 EUR  
4. 19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   138,13 EUR
  Gesamt   865,13 EUR

f) Stellungnahme

Die Begründung des AG Nürtingen ist insoweit zutreffend, als der Kostenantrag gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG mit zum Rechtsstreit zählt und durch die dortigen Gebühren abgegolten wird. Aus dieser Vorschrift folgt aber nur...

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