Das OLG Koblenz weist zu Recht darauf hin, dass sich aus § 19 Abs. 1 RVG nur ergibt, welche Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören, welche Tätigkeiten also keine gesonderte Angelegenheit auslösen. Aus der Vorschrift folgt jedoch nicht, dass diese Tätigkeiten vergütungslos seien. Wird also in einer Annextätigkeit nach § 19 RVG ein Gebührentatbestand ausgelöst, der in der Hauptsache nicht schon ausgelöst ist, dann führt dies zur entsprechenden Vergütung des Anwalts.
Das OLG Koblenz geht ohne weitere Begründung davon aus, dass der Anwalt als Prozessbevollmächtigter beauftragt gewesen sei. Der Sachverhalt gibt hierzu aber nichts her. Nur dann, wenn der potentielle Beklagte seinen Anwalt bereits als Prozessbevollmächtigten bestellt hatte, war Nr. 3100 VV anwendbar.
Denkbar wäre ja auch, dass der Anwalt zunächst nur mit der Erwiderung auf den Einstellungsantrag beauftragt war. Dann läge eine Einzeltätigkeit vor, die mit einer 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3408 VV zu vergüten wäre, die im Falle eines späteren Prozessauftrags auf die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV gem. § 15 Abs. 6 RVG anzurechnen wäre.
Des Weiteren übersieht das OLG Koblenz, dass das Verfahren auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung – unabhängig davon, welche Gebühr man annimmt –, nicht mit dem vollen Wert der Hauptsache anzusetzen ist. Der Gegenstandswert berechnet sich gem. § 23 Abs. 1 S. 2 RVG i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO nach dem Interesse an der Einstellung. Regelmäßig ist hier ein Fünftel des Hauptsachewerts anzunehmen, da mit dem Verfahren nicht der Titel angegriffen, sondern lediglich ein zeitweiliger Zahlungsaufschub angestrebt wird. Das OLG München geht sogar nur von einem Zehntel des Hauptsachewerts aus.
Geht man davon aus, dass bereits ein umfassender Prozessauftrag erteilt war und geht man für den Einstellungsantrag von einem Fünftel des Hauptsachewerts aus, hätte wie folgt gerechnet werden müssen, wobei ein Streitwert in der Hauptsache von 10.000,00 EUR unterstellt werden soll:
1. |
1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
195,00 EUR |
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(Wert: 2.000,00 EUR) |
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2. |
0,8 Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 |
446,40 EUR |
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Nr. 1 VV (10.000,00 EUR) |
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die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, |
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nicht mehr als 1,3 aus 12.000,00 EUR |
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(= 785,20 EUR), wird nicht überschritten |
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3. |
Postentgeltpauschale (Nr. 7002 VV) |
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
661,40 EUR |
4. |
19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV) |
125,67 EUR |
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Gesamt |
787,07 EUR |
Die zugrunde liegende Problematik stellt sich auch in Familienstreitsachen, etwa wenn gegen eine titulierte Unterhalts- oder Zugewinnforderung ein Vollstreckungsabwehrantrag nach § 113 Abs. 2 S. 2 FamFG i.V.m. § 767 ZPO erhoben wird.
Die Vorschrift des § 767 ZPO findet in Familiensachen, aber häufiger noch in Unterhaltsabänderungsverfahren Anwendung, wenn im Rahmen der begehrten Unterhaltsabänderung vorläufig die Vollstreckung aus dem Unterhaltstitel eingestellt werden soll, da nach § 242 FamFG die Vorschrift des § 769 ZPO entsprechend anzuwenden ist. Auch hier gehört die dahingehende anwaltliche Tätigkeit mit zur Instanz.
Allzu häufig sind allerdings Anwälte und Gerichte der Auffassung, dass es sich bei dem Verfahren auf einstweilige Einstellung um eine eigene Angelegenheit handele, weil die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch einstweilige Anordnung erfolge. Dabei handelt es sich aber nicht um eine einstweilige Anordnung i.S.d. § 49 ff. FamFG, sondern um ein Annexverfahren zur Hauptsache, das keine gesonderten Gebühren auslöst.
Soweit das Gericht wegen eines Einstellungsantrags nach § 242 FamFG i.V.m. § 769 ZPO allerdings verfahrenswidrig neben dem Hauptsacheverfahren ein gesondertes Verfahren geführt hat, ist für das Verfahren über die Einstellung der Zwangsvollstreckung auch gesondert Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen und eine Vergütung zu zahlen.
Norbert Schneider
AGS, S. 390 - 391