Zu Recht hat das LG die Kostenrechnung auf die Erinnerung der Klägerin aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die Entstehung der mit der angegriffenen Kostenrechnung in Rechnung gestellten Gerichtsgebühr gem. Nrn. 1210, 1211 GKG-KostVerz. nicht vorgelegen haben.
1. Gem. § 6 Abs. 1 GKG wird die Verfahrensgebühr gem. Nr. 1210 GKG-KostVerz. mit der Einreichung der Klageschrift, nicht aber erst mit der Zustellung an die gegnerische Partei fällig (OLG Celle AGS 2009, 341). Klageschrift im vorgenannten Sinn ist aber jedes Schriftstück, in dem die Absicht der Klageerhebung zum Ausdruck kommt (vgl. Senat a.a.O., Musielak/Foerste, ZPO, 9. Aufl., § 253 Rn 6).
Dafür spricht auch der sachliche Gehalt der Vorgängerregelungen zu § 6 Abs. 1 GKG. § 74 und später § 106 GKG knüpfte die Fälligkeit der Gebühr an das Stellen eines Antrages an. Antrag war dabei nicht im Sinne eines Sach- oder Klageantrages zu verstehen. Unter Antrag war dasjenige Begehren, das Verfahren stattfinden zu lassen (vgl. Senat a.a.O.; Rittmann-Wenz, GKG, 16. Aufl. 1936, § 74 Rn 3) bzw. diejenige Parteihandlung zu verstehen, "die nötig und dazu bestimmt ist, das betreffende Verfahren in Fluss zu bringen, die es "bedingt" (vgl. Friedlaender/Friedlaender, GKG, 1928, § 74 Rn 3)."
Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 GKG entsteht die Verfahrensgebühr mithin in dem Moment, in dem ein Schriftstück im vorgenannten Sinn bei Gericht postalisch oder per Fax eingeht (vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Stand: Oktober 2008, Nr. 1210 KV Rn 49).
a) Die Absicht zur Klageerhebung kam mit der am 9.5.2012 um ca. 10:30 Uhr bei LG eingegangenen Klage nicht mehr zum Ausdruck, weil bereits um 8:43 Uhr am gleichen Tage das Fax der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 9.5.2012 mit der Bitte vorlag, die Klage nicht einzutragen.
Nach std. höchstrichterlicher Rspr. sind auch Prozesshandlungen nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen (BGH NJW-RR 1994, 568; BGH NJW 1995, 1183). Dabei ist zugunsten einer Prozesspartei stets davon auszugehen, dass sie im Zweifel mit ihrer Prozesshandlung das bezweckt, was nach Maßgabe der Prozessordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH MDR 1993, 469).
Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien kann der Klageschrift zum Zeitpunkt ihres Eingangs bei Gericht nicht mehr die erforderliche Absicht zur Klageerhebung beigemessen werden. Die vorzunehmende Auslegung konnte nicht nur ausschließlich anhand der Klageschrift erfolgen, sondern hatte den Inhalt des zeitlich vorgehenden Faxes vom gleichen Tage miteinzubeziehen. Unter Berücksichtigung beider Schriftsätze ergibt sich eindeutig, dass eine Klageerhebung nicht mehr gewollt war, weil die Klage mittlerweile bereits bei dem zuständigen Gericht eingereicht worden war und die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausdrücklich darum baten, die Klageschrift nicht einzutragen.
b) Nach alledem kommt es nicht einmal entscheidend darauf an, dass sich dieses Ergebnis auch aus dem Rechtsgedanken des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt.
Die Klageeinreichung ist eine Prozesshandlung. Prozesshandlungen sind keine Rechtsgeschäfte (vgl. hierzu Palandt/Ellenberger, 71. Aufl., Überbl. vor § 104 Rn 37). Ihre Voraussetzungen und Wirkungen regelt das Prozessrecht (Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, Einl. III, MüKo ZPO/Lücke, Einl. Rn 270). Sofern das Prozessrecht keine eigenen Regelungen trifft, sind die Vorschriften des BGB entsprechend anwendbar. Dies gilt z.B. für die Auslegung der Prozesshandlungen; hier ist § 133 BGB entsprechend anwendbar (Beschl. d. BFH v. 28.10.1988 – III B 184/86, BStBl II 1989, 107). Auch der Rechtsgedanke des § 140 BGB ist anwendbar (BGH NJW 1987, 1204).
Für den Widerruf von Prozesshandlungen gilt grundsätzlich § 130 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechend (Niedersächsisches FG EFG 2004, 1239, Rn 28; Zöller, ZPO, vor § 128 Rn 18).
Die dagegen vorgebrachten Bedenken der gegenteiligen Literaturansichten (Palandt/Ellenberger 71. Aufl., § 130 Rn 3; MüKo/Einsele, 6. Aufl., § 130 Rn 44 und Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 130 Rn 4) überzeugen gerade im vorliegenden Fall nicht. Sie begründen die Nichtanwendbarkeit mit der grundsätzlich zutreffenden Ansicht, dass für die Wirksamkeit prozessualer Erklärungen nicht die Entgegennahme durch einen zuständigen Bediensteten erforderlich sei (MüKo a.a.O.) bzw. dass der Begriff des Zugangs i.S.d. ZPO die Besitzerlangung des Adressaten erfordere (Soergel a.a.O.).
Darauf kommt es aber für die entsprechende Anwendbarkeit des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nicht an. Der Begriff des Zugangs ist in § 130 Abs. 1 S. 1 BGB und in S. 2 der genannten Vorschrift identisch geregelt. Daher können im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 130 BGB die im Vergleich zum BGB in der ZPO differenzierenden Zugangskriterien gleichförmig angewandt werden. Die Nichtanwendung des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB gebietet diese Differenzierung nicht. Im Gegenteil geht der Senat ebenfalls davon aus, dass für die Wirksamkeit der Klageerhebung nicht die Entgegennahme durch einen zuständigen Bediensteten erf...