Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung. Interessenausgleich - Anforderungen an Liste der zu entlassenden Mitarbeiter nach § 1 Abs 5 KSchG - Verhältnis der Liste zur Anhörung gem § 102 BetrVG - Weiterhin Pflicht des Arbeitgebers zur Mitteilung der Gründe der Sozialauswahl nach entsprechender Rüge
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Liste der namentlich aufgeführten und zu entlassenden Mitarbeiter entsprechend der neuen Regelung des § 1 Abs 5 KSchG ist Teil des Interessenausgleichs und als solche von den Betriebspartnern zu unterzeichnen. Eine bloße Bezugnahme auf einer Liste reicht nicht aus.
2. Die Regelung des § 1 Abs 5 KSchG gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer offensichtlich nicht aufgrund der Betriebsänderung, sondern aufgrund anderer betrieblicher Gründe gekündigt werden soll.
3. Auch nach der neuen Gesetzeslage muß der Arbeitgeber auf Rüge die Gründe der Sozialauswahl mitteilen. Tut er dies nicht, so ist die Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam.
4. Die Gespräche im Zusammenhang mit der Erstellung einer namentlichen Liste entsprechend § 1 Abs 5 KSchG ersetzen nicht die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG.
Normenkette
BetrVG § 102; KSchG § 1 Abs. 5
Tenor
1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung mit Schreiben vom 21.10.1996 aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine ordentliche Kündigung der Beklagten.
Der Kläger ist seit März 1994 bei der Beklagten, die insgesamt 139 Arbeitnehmer beschäftigt, mit einem Bruttogehalt von zuletzt 3.455,– DM als Arbeiter in der VAC (Vakuum gefertigte Produkte) tätig. Er ist 29 Jahre alt und verheiratet.
Die Beklagte stellt Schämottenprodukte für die Stahl-, Zement- und petrochemische Industrie her.
Am 15.10.1996 wurde zwischen dem Betriebsrat bei der Beklagten und der Beklagten ein Interessenausgleich anläßlich der Reduzierung von zwei auf einen Brennofen geschlossen.
Unter Ziffer 5 dieses Interessenausgleiches heißt es:
„… Die Reduzierung auf einen Einofenbetrieb (1.800 moto) bedingt eine Reduzierung der Mitarbeiter um 40. Die Mitarbeiter sind in der Anlage namentlich aufgeführt. Auswahl und Kündigung von Mitarbeitern erfolgte unter Beachtung der Rechte des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG sowie der gesetzlichen, tariflichen und einzelvertraglichen Fristen. …”
Bei der Beklagten gibt es weiterhin eine Liste die mit „geplante Personalreduzierung” überschrieben ist und auf der der Kläger namentlich bezeichnet ist.
Sie trägt vor:
Aufgrund des Rückgangs der deutschen Rohstahlerzeugung und des Preisdruckes habe einer der beiden Ofen für Schamottfertigung geschlossen werden müssen.
Die Rechte des Betriebsrates nach § 102 BetrVG seien gewahrt. Im Zusammenhang mit der Liste zu dem Interessenausgleich seien mit dem Betriebsrat fünf Gespräche geführt worden. Der Betriebsrat sei seit 20 Jahren im Betrieb tätig und kenne die Sozialdaten der Arbeitnehmer. Im Rahmen einer weiteren mündlichen Anhörung am 16.10.1996 seien dem Betriebsrat sämtliche kündigungsrelevanten Daten mitgeteilt worden (Bl. 35 d.A.).
Der Kläger sei lediglich ungelernte Hilfskraft. Die anderen Arbeitnehmer seien leistungsbereiter und in der Lage, kleinere Störungen an den Maschinen selbst zu beheben. Im Bereich VAC seien künftig überhaupt keine ungelernten Kräfte mehr tätig, sondern nur noch Fachkräfte. Die vielseitig einsetzbaren Mitarbeiter seien daher nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erst gar nicht in die Sozialauswahl mit einzubeziehen.
Nach § 1 Abs. 5 KSchG sei die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen und auch die betrieblichen Erfordernisse seien gesetzlich vermutet.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien vorgelegten Schriftsätze sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 12.12.1996 und vom 11.03.1997 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Kündigung der Beklagten ist aus mehreren Gründen rechtsunwirksam.
1. Die Kündigung ist wegen unzureichender Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam. Zumindest liegt kein ausreichender Sachvortrag von Seiten der Beklagten vor, der ohne zivilprozessual unzulässigen Ausforschungsbeweis auf eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung schließen ließe.
Trotz des ausdrücklichen Beschlusses des Gerichts vorzutragen, wann, wer, wem, welche Information gegeben hat, hat die Beklagte zunächst die Auffassung vertreten, daß der Betriebsrat im Rahmen der Verhandlung über den Interessenausgleich angehört worden sei (vgl. Bl. 29 d.A.). Dies stimmt auch mit dem Text des Interessenausgleiches überein, wo es heißt: „Auswahl und Kündigung erfolgte unter der Bachtung der Rechte des Betriebsrates …”. Die Gespräche mit dem Betriebsrat im Rahmen des Interessenausgleiches ersetzen aber nicht eine Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 KSchG. In § 1...