Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersteilzeit. Mindestnettobetrag iSd. § 5 Abs. 2 TV ATZ
Orientierungssatz
Bei der Berechnung des (Netto-)Aufstockungsbetrags gemäß § 5 Abs. 2 TV ATZ ist das sog. Hätte-Entgelt zugrunde zu legen.
Normenkette
Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 (TV ATZ) i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 § 4; Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 (TV ATZ) i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 § 5 Abs. 1; Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 (TV ATZ) i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. Juli 2013 – 2 Sa 1564/12 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung von tariflichen Sonderzahlungen, die aufgrund einer Änderung der tariflichen Grundlage während der Freistellungsphase seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses nicht mehr vorgesehen sind, im Rahmen der Berechnung des Mindestnettobetrags.
Der Kläger stand in einem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land, das sich kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen bestimmte. Aufgrund des Altersteilzeitarbeitsvertrags vom 17. März 2005 iVm. der Änderung vom 28. August 2008 vereinbarten die Parteien unter Bezugnahme auf den Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 in der jeweils geltenden Fassung (TV ATZ) zuletzt für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Januar 2013 Altersteilzeit im Blockmodell mit einem Wechsel in die Freistellungsphase zum 1. Juli 2009. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der den BAT ablösende Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) vom 1. September 2009 Anwendung, der die Zahlung eines Urlaubsgelds nicht mehr und statt einer bislang zu zahlenden (jährlichen) Zuwendung iHv. ca. 82 vH die Zahlung einer Jahressonderzahlung gemäß § 20 TV-H iHv. 60 vH des Bezugsentgelts vorsieht.
Der TV ATZ idF des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 lautet auszugsweise:
(1) |
Der Arbeitnehmer erhält als Bezüge die sich für entsprechende Teilzeitkräfte bei Anwendung der tariflichen Vorschriften (z. B. § 34 BAT/BAT-O) ergebenden Beträge mit der Maßgabe, dass die Bezügebestandteile, die üblicherweise in die Berechnung des Aufschlags zur Urlaubsvergütung/Zuschlags zum Urlaubslohn einfließen, sowie Wechselschicht- und Schichtzulagen entsprechend dem Umfang der tatsächlich geleisteten Tätigkeit berücksichtigt werden. |
(2) |
Als Bezüge im Sinne des Absatzes 1 gelten auch Einmalzahlungen (z. B. Zuwendung, Urlaubsgeld, Jubiläumszuwendung) und vermögenswirksame Leistungen. |
§ 5 |
Aufstockungsleistungen |
(1) |
Die dem Arbeitnehmer nach § 4 zustehenden Bezüge zuzüglich des darauf entfallenden sozialversicherungspflichtigen Teils der vom Arbeitgeber zu tragenden Umlage zur Zusatzversorgungseinrichtung werden um 20 v. H. dieser Bezüge aufgestockt (Aufstockungsbetrag). Bei der Berechnung des Aufstockungsbetrags bleiben steuerfreie Bezügebestandteile, Entgelte für Mehrarbeits- und Überstunden, Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften sowie für Arbeitsbereitschaften (§ 18 Abs. 1 Unterabs. 2 MTArb/MTArb-O bzw. § 67 Nr. 10 BMT-G/ BMT-G-O) unberücksichtigt; diese werden, soweit sie nicht unter Absatz 2 Unterabs. 2 und 3 fallen, neben dem Aufstockungsbetrag gezahlt. |
(2) |
Der Aufstockungsbetrag muss so hoch sein, dass der Arbeitnehmer 83 v. H. des Nettobetrages des bisherigen Arbeitsentgelts erhält (Mindestnettobetrag). Als bisheriges Arbeitsentgelt ist anzusetzen das gesamte, dem Grunde nach beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 Unterabs. 2) zu beanspruchen hätte; der sozialversicherungspflichtige Teil der vom Arbeitgeber zu tragenden Umlage zur Zusatzversorgungseinrichtung bleibt unberücksichtigt. |
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… |
Protokollerklärung zu Absatz 2:
… Allgemeine Bezügeerhöhungen sind zu berücksichtigen, soweit die zugrunde liegenden Bezügebestandteile ebenfalls an allgemeinen Bezügeerhöhungen teilnehmen.”
Mit dem Bezügenachweis für Dezember 2011 nahm das beklagte Land gegenüber dem Kläger für die Monate Juli 2010 und Juli 2011 eine Nachzahlung von Urlaubsgeld für die Jahre 2010 und 2011 und für die Monate November 2010 und November 2011 eine Nachzahlung der (jährlichen) Zuwendung für die Jahre 2010 und 2011 vor. Eine Berücksichtigung von Urlaubsgeld und (jährlicher) Zuwendung bei der Mindestnettobetragsberechnung nach § 5 Abs. 2 TV ATZ für die Monate Juli und November 2010 sowie Juli und November 2011 lehnte das beklagte Land auch nach Beanstandung durch den Kläger unter Hinweis auf einen Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. Juli 2011 ab.
Mit seiner dem beklagten Land am 29. Juni 2012 zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung eines – in der Höhe zwischen den Parteien unstreitigen – Betrags iHv. 1.324,06 Euro netto nebst Zinsen als weitere Altersteilzeitvergütung verlangt. Dazu hat der Kläger die Ansicht vertreten, in der Freistellungsphase seien Urlaubsgeld und (jährliche) Zuwendung nach der sog. Spiegelbildtheorie auch bei der Berechnung des Mindestnettobetrags nach § 5 Abs. 2 TV ATZ trotz zwischenzeitlichen Inkrafttretens des TV-H zu berücksichtigen.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 1.324,06 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, Urlaubsgeld und (jährliche) Zuwendung seien bei der Berechnung des Mindestnettobetrags nach dem klaren Wortlaut des Tarifvertrags nicht zu berücksichtigen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Nettobetrags iHv. 1.324,06 Euro aus dem Altersteilzeitarbeitsvertrag iVm. § 5 Abs. 2 TV ATZ.
I. Bei Arbeitnehmern, die Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart haben, ist zwischen der Berechnung der Bezüge nach § 4 Abs. 1 TV ATZ und der Berechnung des Mindestnettobetrags nach § 5 Abs. 2 TV ATZ zu differenzieren (vgl. BAG 4. Oktober 2005 – 9 AZR 449/04 – Rn. 21, BAGE 116, 86; 24. Juni 2003 – 9 AZR 353/02 – zu A II 1 b bb (5) der Gründe, BAGE 106, 353; Langenbrinck/Litzka/Kulok Altersteilzeit im öffentlichen Dienst für Tarifbeschäftigte 5. Aufl. § 4 TV ATZ Rn. 6). Streitgegenstand ist im vorliegenden Verfahren allein die Höhe des Mindestnettobetrags iSd. § 5 Abs. 2 TV ATZ.
II. Das beklagte Land hat der Berechnung des Mindestnettobetrags iSd. § 5 Abs. 2 TV ATZ zu Recht das sog. Hätte-Entgelt zugrunde gelegt. Gemäß § 5 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 TV ATZ muss der Aufstockungsbetrag so hoch sein, dass der Arbeitnehmer 83 vH des Nettobetrags des bisherigen Arbeitsentgelts erhält. Nach § 5 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 TV ATZ ist als bisheriges Arbeitsentgelt anzusetzen das gesamte, dem Grunde nach beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 Unterabs. 2 TV ATZ) zu beanspruchen hätte.
1. Wie nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG sowie § 6 Abs. 1 AltTZG idF vom 27. Juni 2000 (geändert durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, BGBl. I S. 2848), denen § 5 Abs. 2 TV ATZ nachgebildet wurde (zur Gesetzes- und Tarifgeschichte vgl. BAG 11. April 2006 – 9 AZR 369/05 – Rn. 47, BAGE 118, 1), ist bei der Berechnung des (Netto-)Aufstockungsbetrags das sog. Hätte-Entgelt zugrunde zu legen (BAG 4. Oktober 2005 – 9 AZR 449/04 – Rn. 21, BAGE 116, 86; 24. Juni 2003 – 9 AZR 353/02 – zu A II 1 b bb (4) der Gründe, BAGE 106, 353).
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen auf den klaren Wortlaut der Tarifvorschrift abgestellt. Darüber hinaus gebietet auch der Sinn und Zweck des Mindestnettobetrags die Ermittlung des fiktiven Entgelts, das dem Arbeitnehmer im fraglichen Monat der Freistellungsphase zugestanden hätte, wenn er mit seiner bisherigen Arbeitszeit, die mit ihm vor dem Übergang in die Altersteilzeitarbeit vereinbart war, tatsächlich gearbeitet hätte. Die Aufstockung auf den Mindestnettobetrag stellt keine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung dar (BAG 19. Oktober 2004 – 9 AZR 647/03 – zu II 4 der Gründe, BAGE 112, 214). Die Aufstockungsleistungen haben zum Ziel, den Lebensstandard des Arbeitnehmers auch in der Altersteilzeit zu sichern (BAG 4. Oktober 2005 – 9 AZR 449/04 – Rn. 21, BAGE 116, 86). Würde sich der Mindestnettobetrag an den – regelmäßig – bereits einige Jahre alten tariflichen Regelungen während der Aktivphase orientieren, so wäre nicht gewährleistet, dass der Lebensstandard auch unter den geänderten Lebensbedingungen in der Freistellungsphase aufrechterhalten werden kann. Dies wird vielmehr durch die Anwendung der dann aktuellen Tarifregelungen gesichert, was in der Regel zu einem höheren Mindestnettobetrag führt als die spiegelbildliche Betrachtung der Vergütung im Referenzmonat der Aktivphase. Dafür, dass diese Dynamik dem Willen der Tarifvertragsparteien entspricht, streitet auch die Protokollnotiz zu § 5 Abs. 2 TV ATZ, nach der allgemeine Bezügeerhöhungen zu berücksichtigen sind, soweit die zugrunde liegenden Bezügebestandteile ebenfalls an allgemeinen Bezügeerhöhungen teilnehmen. Dies lässt sich mit der Auffassung des Klägers, bei der Ermittlung des Mindestnettobetrags sei die Tarifsituation im entsprechenden Monat der Aktivphase zugrunde zu legen, nicht in Einklang bringen.
2. Der Senat hat auch mit seiner Entscheidung vom 11. April 2006 (– 9 AZR 69/05 – BAGE 118, 1) die Maßgeblichkeit des sog. Hätte-Entgelts im Rahmen des § 5 Abs. 2 TV ATZ nicht zugunsten einer Geltung des Spiegelbildprinzips aufgegeben. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung ausgeführt, die Aufstockungsleistungen seien gleichfalls „spiegelbildlich” nach dem Entgelt zu bemessen, das der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase zu beanspruchen hatte (BAG 11. April 2006 – 9 AZR 369/05 – Rn. 52, aaO). Diese Erwägung ist jedoch im Zusammenhang der gesamten Entscheidungsgründe zu sehen. Nur der sog. Zeitfaktor ist vergangenheitsbezogen. Für das – vorliegend streitgegenständliche – Arbeitsentgelt (sog. Geldfaktor) hat der Senat an der Gegenwartsbezogenheit ausdrücklich festgehalten (BAG 11. April 2006 – 9 AZR 369/05 – Rn. 44, aaO).
Ebenso wenig ergibt sich aus dem Urteil des Senats vom 16. November 2010 ein anderes Ergebnis. Streitgegenstand war in jener Entscheidung allein die Auszahlung des während der Aktivphase nicht ausgezahlten Teils der tariflichen Einmalzahlung, nicht die Berechnung des Mindestnettobetrags iSd. § 5 Abs. 2 TV ATZ (BAG 16. November 2010 – 9 AZR 597/09 – Rn. 28 ff.).
3. Zur Ermittlung des Mindestnettobetrags hat mithin auch bei Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit eine (fiktive) Überleitung in den TV-H zu erfolgen (vgl. zur Überleitung in den TVöD/TV-L Langenbrinck/Litzka/Kulok Altersteilzeit im öffentlichen Dienst für Tarifbeschäftigte 5. Aufl. § 5 TV ATZ Rn. 58; siehe auch TdL-Hinweise zur Anwendung des TV ATZ im Geltungsbereich des TV-L, zu III 4.2, abgedruckt bei Sponer/Steinherr TVöD/TV-L Ergänzende Vorschriften Ordner 1 TV ATZ Anhang Nr. 2.2). Danach hätte der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung des tariflichen Urlaubsgelds und anstelle der früher gezahlten (jährlichen) Zuwendung nur noch Anspruch auf eine Jahresson- derzahlung gemäß § 20 TV-H. Urlaubsgeld und (jährliche) Zuwendung waren daher bei der Berechnung des Mindestnettobetrags nicht zu berücksichtigen. Nach einem Vergleich des Aufstockungsbetrags nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TV ATZ mit dem Mindestnettobetrag nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ ist dem Arbeitnehmer der höhere Betrag zu zahlen. Das war hier der Fall.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Brühler, Suckow, Klose, Die Amtszeit der ehrenamtlichen Richterin Neumann ist abgelaufen. Brühler, Ropertz
Fundstellen
BB 2016, 52 |
FA 2016, 62 |
NZA 2016, 576 |
ZTR 2016, 91 |
AP 2016 |
EzA-SD 2015, 15 |
EzA 2016 |
RiA 2016, 257 |
öAT 2016, 37 |
AUR 2016, 80 |
NJOZ 2016, 499 |