Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückweisungsantrag vor Zustellung der Berufungsbegründung. Verfahrensgebühren. Sachantrag
Leitsatz (amtlich)
Wird der Zurückweisungsantrag vor Zustellung der Berufungsbegründung gestellt, fällt grundsätzlich nur eine 1,1 - Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 Nr. 1 RVG-VV an.
Normenkette
RVG VV Nr. 3201 Abs. 1, Nr. 3200
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Schleswig in Schleswig vom 23.2.2006 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 305,08 EUR
Gründe
I.
[1] Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 6.6.2005 gegen das Urteil des LG Berufung eingelegt. Am 21.6.2005 bestellte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und kündigte den Antrag an, die Berufung zurückzuweisen. Nach Eingang der Berufungsbegründung am 24.8.2005 hat das OLG gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Daraufhin hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen.
[2] Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat beantragt, die Kosten gem. § 104 ZPO mit einer 1,6 - Verfahrensgebühr der Nr. 3200 RVG-VV festzusetzen. Das LG hat nur eine 1,1 - Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV anerkannt, weil der Antrag auf Zurückweisung der Berufung vor Begründung der Berufung nicht notwendig i.S.d. § 91 ZPO gewesen sei. Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss hat das OLG mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
[3] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin stehe nur eine 1,1 - Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 Nr. 1 RVG-VV zu. Er habe zwar mit Schriftsatz vom 21.5.2005 einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten angekündigt. Dieser vor Eingang der Berufungsbegründung gestellte Sachantrag sei jedoch weder sachdienlich noch notwendig gewesen. Ein vor Zustellung der Berufungsbegründung gestellter Zurückweisungsantrag sei nicht geeignet, das Verfahren zu fördern. Ein solcher Sachantrag könne auch nicht allein durch den späteren Eingang der Berufungsbegründung die volle Gebühr Nr. 3200 RVG-VV auslösen.
[4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und zulässig, insb. form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 567 Abs. 2, 575 ZPO). Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
[5] Bei der Zuerkennung einer 1,1 - Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV sind die Instanzgerichte davon ausgegangen, dass die Klägerin nach Einlegung der Berufung durch die Beklagte ihrerseits anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen konnte und nach Rücknahme der Berufung grundsätzlich Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten beanspruchen kann. Das entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 9/02, MDR 2003, 530 = BGHReport 2003, 412 = NJW 2003, 756 f. und - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324; v. 3.6.2003 - VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = NJW 2003, 2992).
[6] Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist aber die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf, insb. ob die erst bei Stellung eines Sachantrags nach Nr. 3200, 3201 RVG-VV anfallende volle Verfahrensgebühr auch dann in dieser Höhe erstattungsfähig ist, wenn der Antrag gestellt wird, bevor feststeht, dass das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt wird. Dies ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu verneinen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324 f.; v. 3.6.2003 - VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = NJW 2003, 2992, 2993; v. 9.10.2003 - VII ZB 17/03, BGHReport 2004, 69 = MDR 2004, 115 = NJW 2004, 73; BAG, Beschl. v. 16.7.2003 - 2 AZB 50/02, BAGReport 2004, 28 = NJW 2003, 3796 f.).
[7] Zwar kommt es für die Entstehung einer Gebühr nicht darauf an, ob die den gesetzlichen Gebührentatbestand ausfüllenden Maßnahmen erforderlich waren. Die Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO ist jedoch grundsätzlich von der Notwendigkeit der Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung abhängig. Die Erstattung der aufgewandten Kosten kann eine Partei nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Insoweit stellt die oben zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung, der sich der entscheidende Senat anschließt, darauf ab, dass im Normalfall kein Anlass für den Berufungsgegner besteht, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen. Der Berufungsbeklagte kann sich nämlich erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausgehen könnte, solange mangels einer Berufungsbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 3.7.2003 - VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 -, a.a.O.; BAG, Beschl. v. 16.7.2003 - 2 AZB 50/02, BAGReport 2004, 28 -, a.a.O.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Berufung ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht (BAG, a.a.O., 3797).
[8] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1796266 |
NJW 2007, 3723 |
BGHR 2007, 1108 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 1735 |
JurBüro 2008, 35 |
ZAP 2007, 1262 |
MDR 2007, 1397 |
Rpfleger 2007, 683 |
VersR 2007, 1579 |
AGS 2007, 537 |
NJW-Spezial 2008, 124 |
RVGreport 2007, 427 |
SVR 2008, 110 |
BRAK-Mitt. 2007, 229 |
RVG prof. 2007, 181 |