Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Berufung. Zulässigkeit. Beurteilung der Berufungsbegründungsfrist nach altem Recht. Neues Zivilprozessrecht. Verfahrensgrundsätze
Leitsatz (redaktionell)
Wurden bei der Beurteilung der Berufungsbegründungsfrist in der Anfangsphase der Geltung neuen Zivilprozessrechts fälschlicherweise die alten Rechtsvorschriften zugrundegelegt, und durch diese offenkundige Mißachtung der zu beachtenden Übergangsvorschriften dem Beklagten das von ihm form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Rechtsmittel abgeschnitten, erfordert dies eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
Normenkette
EGZPO § 26 Nr. 5; ZPO § 519; ZPO a.F. § 519 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Beschluss vom 25.03.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 9. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 25. März 2002 aufgehoben.
Gerichtskosten für das Verfahren der Rechtsbeschwerde werden nicht erhoben (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 391.990,44 EUR.
Tatbestand
I.
Auf mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2002 verurteilte das Landgericht den Beklagten durch Urkunds-Vorbehaltsurteil vom gleichen Tage zur Zahlung von 766.666,68 DM nebst Zinsen.
Gegen dieses ihm am 18. Februar 2002 zugestellte Urteil legte der Beklagte am 20. Februar 2002 Berufung ein, die er inzwischen mit am 17. April 2002 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung mit Beschluß vom 25. März 2002 als unzulässig mit der Begründung, das Rechtsmittel sei innerhalb der „am 20.3.2002 abgelaufenen Frist des § 519 ZPO” nicht begründet worden.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Nichtbeachtung des § 26 Nr. 5 EGZPO rügt.
Entscheidungsgründe
II.
Die nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Zwar ist auch die Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Berufung (§ 522 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zulässig (vgl. Senatsbeschluß vom 19. März 2003 – XII ZB 191/02 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), denn der Gesetzgeber hat § 547 ZPO a.F. bewußt nicht in das neue Recht übernommen, sondern fehlerhafte Entscheidungen der Berufungsgerichte zur Zulässigkeit der Berufung fehlerhaften Sachentscheidungen gleichgestellt (vgl. Wenzel NJW 2002, 3353, 3357 m.N.).
Diese Voraussetzungen sind aber gegeben, da im vorliegenden Fall eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist:
Das Berufungsgericht hat die Frist zur Berufungsbegründung nach § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. beurteilt und die Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 5 Satz 1 EGZPO mißachtet, derzufolge die am 31. Dezember 2001 geltenden Vorschriften nur dann weitergelten, wenn die mündliche Verhandlung, auf die das anzufechtende Urteil ergeht, vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist. Für die Berufung gegen das hier auf mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2002 ergangene Urteil des Landgerichts gilt § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F., demzufolge die zweimonatige Frist zur Begründung der Berufung mit der Zustellung des Urteils (hier: 18. Februar 2002) begann und bei Eingang der Berufungsbegründung am 17. April 2002 noch nicht abgelaufen war.
Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch dann, wenn ein Fehler in der Anwendung revisiblen Rechts über die Entscheidung des Einzelfalls hinaus nachhaltig die Interessen der Allgemeinheit berührt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn das Berufungsgericht Verfahrensgrundsätze verletzt hat, namentlich die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, auf wirkungsvollen Rechtsschutz, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, und auf ein objektiv willkürfreies Verfahren, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, wenn dieser Verstoß im Einzelfall klar zutage tritt, also offenkundig ist, und die mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Entscheidung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02 – ZIP 2002, 1826 ff., für BGHZ vorgesehen).
Das ist hier der Fall, weil die offenkundige Mißachtung der in der Anfangsphase der Geltung neuen Zivilprozeßrechts mit besonderer Aufmerksamkeit zu beachtenden Übergangsvorschriften dazu geführt hat, daß dem Beklagten das von ihm form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Rechtsmittel abgeschnitten wurde und Art und Gewicht dieses Rechtsfehlers geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung im ganzen zu beschädigen (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 aaO S. 1828).
Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses über das eingelegte Rechtsmittel in der Sache entscheidet.
Unterschriften
Gerber, Sprick, Weber-Monecke, Fuchs, Vézina
Fundstellen
Haufe-Index 934561 |
BGHR 2003, 901 |
FamRZ 2003, 1093 |
EzFamR aktuell 2003, 263 |