Normenkette
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; AufenthG § 58 Abs. 6-10, § 106 Abs. 2 S. 1; SOG ND §§ 22-23, 25 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 4. November 2021 wird verworfen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Rz. 1
1. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 21. Juli 2015 in die Bundesrepublik ein. Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 lehnte die beteiligte Behörde seinen Asylantrag als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung gemäß § 34 AsylG an. Seit dem 15. Mai 2020 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Ein weiterer Asylantrag vom 16. April 2021 wurde mit Bescheid vom 26. April 2021 unter Hinweis auf die nach wie vor gültige und vollziehbare Abschiebungsandrohung erneut als unzulässig zurückgewiesen.
Rz. 2
Nachdem der Betroffene seiner Verpflichtung, aus der Bundesrepublik auszureisen, nicht freiwillig nachgekommen war, plante die beteiligte Behörde, ihn am 21. September 2021 nach Pakistan abzuschieben. Zur Sicherung dieser Abschiebung beantragte sie am 7. September 2021 bei dem Amtsgericht Osnabrück, die Durchsuchung und das Betreten der Wohnung des Betroffenen sowie die Durchsuchung seiner Person und ihm gehöriger Sachen anzuordnen.
Rz. 3
2. Mit Beschluss vom 8. September 2021 hat das angerufene Gericht den Rechtsweg zum Amtsgericht als "nicht eröffnet" erklärt und die Sache gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Verwaltungsgericht Osnabrück verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt, mangels abdrängender Sonderzuweisung für Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
Rz. 4
Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat die beteiligte Behörde sofortige Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 4. November 2021 als unbegründet verworfen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Rz. 5
3. Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts wendet sich die beteiligte Behörde mit ihrer Rechtsbeschwerde. Sie beantragt, den Beschluss aufzuheben und die Sache zur abschließenden Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, hilfsweise festzustellen, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei.
II.
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 7
1. Die gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassen.
Rz. 8
Das erforderliche Rechtsschutzinteresse der beteiligten Behörde an der Entscheidung besteht. Ein solches fehlt nur dann, wenn das Hauptsacheverfahren vor dem zuerst angegangenen Gericht durch eine prozessbeendende Erklärung wegfällt oder sich die Rechtsfrage aus anderen Gründen nicht mehr stellt (BVerwG, Beschluss vom 29. August 2016 - 5 B 74.15, juris Rn. 4; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 2). So liegt es hier nicht. Der Antrag im Hauptsacheverfahren ist weder zurückgenommen noch für erledigt erklärt worden. Ob das Verstreichen des anvisierten Abschiebungstermins Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten der von der beteiligten Behörde gestellten Anträge auf richterliche Anordnung hat, ist im Hauptsacheverfahren zu klären. Der Rechtsstreit ist nur in Bezug auf den Verweisungsbeschluss, nicht aber insgesamt beim Senat anhängig (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - OVG 1 L 42.16, juris Rn. 1; Schoch/Schneider/Ehlers, VwGO, 42. EL., § 17a GVG Rn. 43).
Rz. 9
2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 10
a) Für den Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen zum Zweck der Sicherung der Abschiebung ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eröffnet.
Rz. 11
aa) Bei der beantragten Wohnungsdurchsuchung zur Sicherung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art (OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - 2 Wx 178/20, juris Rn. 9; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 16. Mai 2022 - 2 W 8/22, NVwZ-RR 2022, 517 Rn. 12; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 5; Wieser, NVwZ 2022, 185; zur Rechtsnatur der Abschiebung vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 - 9 C 4.99, BVerwGE 110, 74, 76 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2022 - 1 S 1265/21, juris Rn. 37; s. auch BeckOK AuslR/Pietzsch, 33. Ed., § 34 AsylG Rn. 5; GK-AufenthG/Gutmann, 111. Lfg., § 71 Rn. 164).
Rz. 12
bb) Eine abdrängende Sonderzuweisung durch Bundesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO liegt nicht vor.
Rz. 13
(1) § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der Entscheidungen über Freiheitsentziehungen den ordentlichen Gerichten zuweist, ist nicht einschlägig. Denn bei einer Durchsuchung handelt es sich nicht um eine Freiheitsentziehung. Dies gilt selbst dann, wenn sie der Ergreifung des Betroffenen dient, um ihn unmittelbar danach abzuschieben (OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 6; s. auch VG Arnsberg, Beschluss vom 11. November 2019 - 3 I 24/19, juris Rn. 22; VG Magdeburg, Beschluss vom 16. Januar 2020 - 8 B 38/20, juris Rn. 11; VG Braunschweig, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 5 E 21/21, juris Rn. 4; Lichtenberg/Sitz, ZAR 2021, 328, 329; Schnell, NWVBl. 2020, 150; Wieser, NVwZ 2022, 185).
Rz. 14
(2) Eine abdrängende Sonderzuweisung ergibt sich nicht aus § 58 Abs. 10 AufenthG.
Rz. 15
(a) Obwohl die beteiligte Behörde ihren Antrag ausdrücklich auf die "§§ 24, 25 NPOG" gestützt hat, begehrt sie in der Sache die richterliche Anordnung einer Durchsuchung gemäß § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG.
Rz. 16
Maßgebend für die Ermittlung des Begehrs ist der erklärte Wille der Behörde, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980 - 6 C 55.79, BVerwGE 60, 223, 228 f., mwN; Beschluss vom 11. Januar 2000 - 11 VR 4.99, NVwZ 2000, 553, 554). Hier hat die beteiligte Behörde in ihrem Antrag ausschließlich Angaben zum Verlauf des Asylverfahrens gemacht und dargelegt, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist. Sie hat zudem darauf hingewiesen, dass sie parallel einen Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft stellen wird. Aus der Antragsbegründung ergibt sich demnach zweifelsfrei, dass sie die Durchsuchung ausschließlich zum Zweck der Sicherung der Abschiebung und nicht mit dem Ziel der Gefahrenabwehr gemäß § 24 NPOG hat vornehmen wollen. Hierfür sehen die neu geschaffenen § 58 Abs. 6 bis 10 AufenthG spezielle Regelungen vor.
Rz. 17
(b) § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO verlangt eine ausdrückliche anderweitige Zuweisung der Streitigkeit an ein anderes Gericht. Sinn und Zweck dieser Norm ist es, Zweifel darüber, welcher Rechtsweg zu beschreiten ist, im Interesse der Rechtsuchenden auszuschließen. Nur eine als solche bezeichnete und erkennbare Sonderregelung soll die Zuständigkeit der Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ausschließen (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1972 - I C 33.70, BVerwGE 112, 113 ff.; NK-VwGO/Sodan, 5. Aufl., § 40 Rn. 486; Schoch/Schneider/Ehlers, VwGO, 42. EL., § 40 Rn. 486). § 58 Abs. 10 AufenthG hingegen ist nicht zu entnehmen, welchem Gerichtszweig die richterliche Anordnung von Durchsuchungen zugewiesen ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 7; s. auch Bergmann/Dienelt/Dollinger, AufenthG, 13. Aufl., § 58 Rn. 40; Schnell, NWVBl. 2020, 150, 151).
Rz. 18
cc) Eine abdrängende Sonderzuweisung durch Landesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift können öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden. Bei einer auf § 58 Abs. 6 AufenthG gestützten Durchsuchung handelt es sich aber nicht um eine Streitigkeit nach Landesrecht, sondern um eine auf eine bundesgesetzliche Rechtsgrundlage gestützte Maßnahme. Denn der Bundesgesetzgeber hat die Durchsuchung zum Zweck der Abschiebung und ihre Voraussetzungen im Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet normiert (OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - 2 Wx 178/20, juris Rn. 9; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 16. Mai 2022 - 2 W 8/22, NVwZ-RR 2022, 517 Rn. 15; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 8; VG Arnsberg, Beschluss vom 11. November 2019 - 3 I 24/19, juris Rn. 32; VG Braunschweig, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 5 E 21/21, juris Rn. 5; Schnell, NVWBl. 2020, 150; Wieser, NVwZ 2022, 185; vgl. auch BeckOK VwGO/Reimer, 61. Ed., § 40 Rn. 201; NK-VwGO/Sodan, 5. Aufl., § 40 Rn. 497).
Rz. 19
Aus der Kompetenz der Länder, in Ausführung von Bundesrecht als eigene Angelegenheit das zugehörige Verwaltungsverfahren zu regeln, folgt nichts Anderes (aA Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 4 O 25/20, NVwZ-RR 2020, 900 Rn. 5). Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG eröffnet eine entsprechende Kompetenz nur im Bereich des Verwaltungsverfahrens, nicht aber für die Bestimmung des Gerichtszweigs und die Ausgestaltung des Prozesses vor den Gerichten. Insoweit sind die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren berührt, die der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 16. Mai 2022 - 2 W 8/22, NVwZ-RR 2022, 517 Rn. 17; BeckOK GG/Suerbaum, 51. Ed., Art. 84 Rn. 33; vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Uhle, GG, 96. EL., Art. 74 Rn. 114, 118, 123; NK-GG/Wolff, 13. Aufl., Art. 84 Rn. 4 f.; Leibholz/Rinck/Burghart, GG, 85. Lfg., Art. 84 Rn. 37).
Rz. 20
dd) Über § 58 Abs. 10 AufenthG kann nicht auf § 25 Abs. 1 Satz 2 NPOG zurückgegriffen werden, der die Zuständigkeit der Amtsgerichte für richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchungen nach § 24 NPOG vorsieht.
Rz. 21
(1) Gemäß § 58 Abs. 10 AufenthG bleiben nur weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, unberührt. Existieren landesrechtliche Vorschriften in diesem Sinne, welche die Zuständigkeit der Amtsgerichte begründen, kann im Einzelfall für Anträge auf richterliche Anordnung von Wohnungsdurchsuchungen zum Zweck der Abschiebung sowohl der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten als auch der zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sein:
Rz. 22
(a) Weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus der Systematik des Gesetzes lassen sich Rückschlüsse auf die Anwendbarkeit landesrechtlicher Rechtswegzuweisungen ziehen. Der Wortlaut des § 58 Abs. 10 AufenthG beschränkt den Geltungsbereich der Klausel nicht auf materiellrechtliche Befugnisse, sondern schließt grundsätzlich auch prozessuale Regelungen ein (OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 10; VG Arnsberg, Beschluss vom 11. November 2019 - 3 I 24/19, juris Rn. 43).
Rz. 23
(b) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG bundeseinheitlich ein Mindestmaß für Betretensrechte bei Abschiebungen normiert werden. Regelungen der Länder, die weitergehende Befugnisse vorsehen, sollten ohne Weiteres fortbestehen (BT-Drucks. 19/10706 S. 14; Lichtenberg/Sitz, ZAR 2021, 328, 329). Vorgaben zu dem zu beschreitenden Rechtsweg sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Das Schweigen des Gesetzes und der Materialien lässt aber wegen der allgemeinen Zuständigkeitsregelung des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine Schlussfolgerungen dahin zu, der Gesetzgeber habe anders als in § 56a Abs. 9 AufenthG und § 4 VereinsG von der ausdrücklichen Bestimmung des Rechtsweges abgesehen, weshalb zwingend auf landesrechtliche Regelungen zurückgegriffen werden müsse (s. OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - I-2 Wx 178/20, juris Rn. 14; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 16. Mai 2022 - 2 W 8/22, NVwZ-RR 2022, 517 Rn. 18; Bergmann/Dienelt/Döllinger, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 58 AufenthG Rn. 40; aA Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 4 O 25/20, NVwZ-RR 2020, 900 Rn. 10 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 16).
Rz. 24
(c) Aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt zwar, dass auf landesrechtliche Sonderzuweisungen nach wie vor zurückgegriffen werden kann. Dies gilt aber nur dann, wenn sich aus dem Landesrecht über die § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG hinausgehende Befugnisse für Wohnungsdurchsuchungen ergeben (s. Schnell, NVWBl. 2020, 150, 151; vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 30. September 2019 - 2 S 262/19, NVwZ-RR 2020, 324 Rn. 9 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - 2 Wx 178/20, juris Rn. 13 f.; aA Wieser, NVwZ 2022, 185 f.). Der Gesetzgeber wollte eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage schaffen, weil es in der Praxis einiger Bundesländer keine eindeutige Rechtsgrundlage für entsprechende Durchsuchungsmaßnahmen gab (BT-Drucks. 19/10706 S. 14). Mit Absatz 10 sollte nur klargestellt werden, dass er darüber hinaus in über die bundesrechtlichen Mindestvorgaben hinausgehendes Landesrecht, welches materielle und daran anknüpfende prozessuale Regelungen über Wohnungsdurchsuchungen zur Sicherung der Abschiebung vorsieht, nicht eingreifen wollte (s. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21, juris Rn. 15; aA OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - 2 Wx 178/20, juris Rn. 14; Lichtenberg/Sitz, ZAR 2021, 328, 329). Da der Gesetzgeber insoweit aber ausdrücklich nur auf "weitergehende Befugnisse" und nicht pauschal auf anderweitige landesrechtliche Regelungen abstellt, verbleibt es bei der allgemeinen Rechtswegbestimmung des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, soweit sich landes- und bundesrechtliche Normen inhaltlich decken oder die landesrechtlichen Eingriffsermächtigungen hinter den Regelungen des § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG zurückbleiben.
Rz. 25
(2) Die gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen zur Wohnungsdurchsuchung in Niedersachsen enthalten keine weitergehenden Eingriffsbefugnisse (VG Braunschweig, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 5 E 21/21, juris Rn. 9; s. zu vergleichbaren landesrechtlichen Vorschriften VG Gießen, Beschluss vom 26. November 2019 - 6 N 4595/19, juris Rn. 2; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - 2 Wx 178/20, juris Rn. 13; s. auch OVG Bremen, Beschluss vom 30. September 2019 - 2 S 262/19, NVwZ-RR 2020, 324 Rn. 9 ff.). Die §§ 24, 25 NPOG sehen für die niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehörden keine Kompetenzen für die Durchsuchung von Wohnungen zum Zweck des Auffindens eines der Abschiebung zuzuführenden Ausländers vor, die nicht bereits in § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG enthalten sind (vgl. auch § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3 NPOG; s. hierzu BeckOK NPOG/Ullrich, 23. Ed., § 3 Rn. 2). Zwar lässt § 24 Abs. 5 Nr. 2 NPOG ein Betreten der Wohnung zur Verhütung erheblicher Gefahren auch zur Nachtzeit zu, wenn sich Personen darin aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, während das Aufenthaltsgesetz eine Wohnungsdurchsuchung gemäß § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zur Nachtzeit nur ermöglicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen wird. § 24 Abs. 5 Nr. 2 NPOG erfasst aber bereits nach seinem Wortlaut lediglich das Betreten, nicht aber die Durchsuchung der Wohnung. Er dient der Durchführung von Kontrollen und nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht (s. BeckOK NPOG/Neuhäuser, 23. Ed., § 24 Rn. 58; Böhrenz/Siefken, Nds. SOG, 9. aktualisierte Aufl., § 24 Rn. 11; vgl. zur Abgrenzung der Durchsuchung vom Betreten VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2022 - 1 S 1265/21, juris Rn. 90 ff.; Franke/Kerkemeyer, NVwZ 2020, 760; Zeitler, ZAR 2014, 365, 369; Zschieschack, NJW 2005, 3318). Das bloße Betreten der Wohnung ist zudem von der abdrängenden Rechtswegzuweisung in § 25 Abs. 1 Satz 2 NPOG nicht erfasst.
Rz. 26
b) Bei den Anträgen auf richterliche Anordnung der Durchsuchung der Person und ihrer zugehörigen Sachen handelt es sich ebenfalls um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO, für die mangels einer anderweitigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
Rz. 27
Die beteiligte Behörde begehrt vorliegend eine Maßnahme auf dem Gebiet des Gefahrenabwehrrechts, das zum Kernbestand des öffentlichen Rechts gehört (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 2011 - 6 B 1.11, NVwZ-RR 2011, 710 Rn. 5; BeckOK VwGO/Reimer, 61. Ed., § 40 Rn. 66; Schoch/Schneider/Ehlers, VwGO, 42. EL., § 40 Rn. 606). Sie hat zwar weder in ihrer Antrags- noch in ihren Rechtsmittelschriften dargelegt, welcher Zweck mit diesen Durchsuchungen verfolgt werden soll. Nach dem Gesamtzusammenhang der Antragsbegründung kommen als Rechtsgrundlagen aber allein die §§ 22, 23 NPOG in Betracht. Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 NPOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Person durchsuchen, wenn sie nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten werden kann. § 23 Abs. 1 Nr. 1 NPOG ermächtigt sie, eine Sache zu durchsuchen, wenn sie von einer Person mitgeführt wird, die nach § 22 NPOG durchsucht werden darf. Das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz enthält für diese Gefahrenabwehrmaßnahmen keine speziellen Regelungen über die Bestimmung des Gerichtszweigs. Ob es insoweit überhaupt einer richterlichen Anordnung bedarf, ist eine Frage der Begründetheit und nicht im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren zu klären.
III.
Rz. 28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.
Rz. 29
Von der Festsetzung des Gegenstandswerts von Amts wegen wird abgesehen. Gemäß § 33 Abs. 1 RVG wird der Wert für die anwaltliche Tätigkeit nur auf Antrag festgesetzt, wenn es an einem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert fehlt.
Schäfer |
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Paul |
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Berg |
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Anstötz |
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Kreicker |
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Fundstellen
Haufe-Index 15498458 |
NStZ-RR 2022, 386 |