Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an rechtliches Interesse einer Todeserklärung. Todeserklärung des am 15. September 1921 im Hamburg geborenen, zuletzt in Bremen wohnhaft gewesenen Günther H.

 

Leitsatz (amtlich)

Ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung kann auch aus einer Rechtsbeziehung hergeleitet werden, die erst nach dem Eintritt der Verschollenheit begründet worden ist (Abweichung von BGHZ 4, 323; 44, 83).

 

Normenkette

VerschG § 9 Abs. 1 S. 1, § 16 Abs. 2 Buchst. c)

 

Tenor

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 29. Juni 1979 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der sofortigen weiteren Beschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 10.000,00 DM.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat zur Begründung ihres Antrages auf Aufgebot und Todeserklärung sowie Feststellung der Todeszeit vorgetragen, Günther H. sei als Soldat der Deutschen Wehrmacht seit dem 4. Juli 1944 im Raum Beresino/UdSSR vermißt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Zur Glaubhaftmachung hat sie die Ablichtung eines Gutachtens des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes vom 9. November 1970 vorgelegt.

Ihr rechtliches Interesse an der Todeserklärung hat die Antragstellerin wie folgt begründet: Sie sei eine Cousine des Vermißten; nähere Verwandte seien nicht vorhanden. Die Mutter des Vermißten, die Witwe Erna H., sei am 16. Mai 1974 verstorben. Diese sei mit einer Kommanditeinlage von 400.000,00 DM an der Firma S. & Co in Bremen beteiligt gewesen. Erna H. habe ein notarielles Testament vom 9. April 1964 hinterlassen, in dem sie die Antragstellerin neben zwei weiteren Verwandten zu Vorerben der Kommanditeinlage eingesetzt und weiter bestimmt habe (§ 4 des Testaments):

Zum alleinigen Nacherben für die in den §§ 1 bis 3 bezeichneten Nachlaßwerte bestimme ich meinen in Rußland vermißten Sohn Günther H. Als Nacherbfall gilt seine Rückkehr in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Steht endgültig fest, daß er nicht mehr zurückkehren wird, fällt die Nacherbschaft weg, so daß die Vorerben zu Vollerben werden.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, sie benötige die Todeserklärung Günther H., um Klarheit zu bekommen, ob sie Vollerbin sei oder nur Vorerbin mit den sich daraus ergebenden Beschränkungen.

Der Rechtspfleger des Amtsgerichts Bremen hat den Antrag abgelehnt, da der Antragstellerin das erforderliche rechtliche Interesse an der Todeserklärung fehle. Mit derselben Begründung hat das Landgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Ihrer sofortigen weiteren Beschwerde möchte das Oberlandesgericht stattgeben, sieht sich daran aber durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehindert, auf die das Landgericht seine Entscheidung gestützt hatte. Es hat die sofortige weitere Beschwerde deshalb gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Vorlage ist zulässig.

Nach § 16 Abs. 2 Buchst. c VerschG kann das Aufgebot zum Zwecke der Todeserklärung neben dem Ehegatten und den Abkömmlingen und Eltern des Verschollenen jeder andere beantragen, der ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung hat. Diese Vorschrift hat der Bundesgerichtshof bisher in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, ein rechtliches Interesse könne nur angenommen werden, wenn schon zu Lebzeiten des Verschollenen begründete Rechtsbeziehungen des Antragstellers durch den Tod des Verschollenen gestaltet würden (BGHZ 4, 323, 326; 9, 111, 112; 44, 83, 86 m.w.N.; ebenso BayObLG MDR 1963, 924 und BayObLGZ 1958, 341, 345; KG NJW 1961, 1868, 1869; kritisch OLG Neustadt NJW 1961, 2351, 2352). Dies steht hier nicht fest, da die Rechtsbeziehung, aus der die Antragstellerin ihr rechtliches Interesse herleitet, nämlich ihr Erbrecht, erst nach dem Eintritt der Verschollenheit durch den Erbfall nach der Mutter des Verschollenen begründet worden ist. Da das Oberlandesgericht, dessen rechtliche Beurteilung insoweit für den Bundesgerichtshof verbindlich ist, ohne die durch die genannten Entscheidungen gezogene Schranke - wie die Begründung des Vorlagebeschlusses ergibt - ein rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Todeserklärung bejaht hätte, ist die zum Gegenstand der Vorlage gemachte Rechtsfrage für die Entscheidung erheblich. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG sind daher erfüllt, so daß nach Absatz 3 der Vorschrift der Bundesgerichtshof über die sofortige weitere Beschwerde zu entscheiden hat.

III.

Die sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, das sich dabei auf Stimmen im Schrifttum stützt (besonders Soergel/Schultze v. Lasaulx BGB 11. Aufl. § 16 VerschG Rdn. 7), reicht es zur Annahme eines rechtlichen Interesses an der Todeserklärung aus, wenn durch sie ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis derart beeinflußt wird, daß dem Antragsteller die Klärung der Frage, ob der Verschollene als tot oder lebendig zu behandeln ist, billigerweise nicht versagt werden kann. Maßgebend sei dafür das Gewicht des geltend gemachten Interesses im Verhältnis zur Schwere des Eingriffs, den die Todeserklärung angesichts ihrer umfassenden Vermutungswirkung darstelle. Im vorliegenden Fall gehe es für die Antragstellerin um einen wirtschaftlich erheblichen Vermögenswert, über den sie nur als Vollerbin uneingeschränkt verfügen könne. Aus einer Auslegung von § 4 des Testaments ergebe sich ihre Vollerbenstellung heute noch nicht mit hinreichender Klarheit; eine Klärung könne sie daher nur durch die beantragte Todeserklärung erreichen. Diese stelle keinen erheblichen Eingriff (mehr) dar, weil ein Überleben des Verschollenen in hohem Maße unwahrscheinlich sei. Da nähere Angehörige, auf die Rücksicht genommen werden müßte, nicht mehr vorhanden seien, löse die Todeserklärung auch keine besonders weitreichenden familien- und erbrechtlichen Rechtsfolgen aus. Soweit im Testament der Wille der Erblasserin zum Ausdruck komme, ihrem Sohn die Nacherbenstellung über einen längeren Zeitraum zu erhalten, habe diese kein gegenüber den Belangen der Antragstellerin schutzwürdiges Interesse daran, bestimmte Erben über Jahre hinweg in Ungewißheit über den Umfang ihrer Erbenstellung zu lassen.

2.

Der Senat hat die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß sie nicht in allen Fällen ausreichen, ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung im Sinne des § 16 Abs. 2 Buchst. c VerschG von sonstigen Interessenlagen abzugrenzen, die ein Antragsrecht nicht begründen. Für diese veränderte Beurteilung ist der seither eingetretene Zeitablauf von Bedeutung. Der in BGHZ 4, 323 veröffentlichte Beschluß, durch den die Rechtsprechung begründet worden ist, daß das rechtliche Interesse eine schon zu Lebzeiten des Verschollenen begründete Rechtsbeziehung voraussetze, datiert vom 22. Januar 1952. Damals lagen die Fälle der Kriegsverschollenheit, die nach wie vor den weitaus größten Teil der Verschollenheitsfälle ausmachen, erst wenige Jahre zurück. Im Zeitpunkt der Entscheidung BGHZ 44, 83 (14. Mai 1965) war der zeitliche Abstand zwar auf 20 Jahre und mehr angewachsen, aber noch nicht so groß, daß die generelle Eignung des gewählten Kriteriums hätte zweifelhaft sein müssen. Andererseits konnte die seit Kriegsende verstrichene Zeit erwarten lassen, der schutzwürdige Rechtsverkehr werde sich im Einzelfall darauf einstellen, daß ein Kriegsverschollener voraussichtlich nicht zurückkehre, und im allgemeinen keine Rechtsbeziehungen mehr begründen, auf die es von Einfluß ist, ob und wann ein Verschollener verstorben ist. Wie der hier zu beurteilende Sachverhalt erweist, läßt sich eine solche Erwartung nicht in der Weise verallgemeinern, daß eine auf sie gegründete Rechtsmeinung zu einer befriedigenden Entscheidung aller denkbaren Fallgestaltungen führt. Vielmehr erscheint es angezeigt, unter näher zu bestimmenden Voraussetzungen ein rechtliches Interesse an einer Todeserklärung ausnahmsweise auch dann anzuerkennen, wenn die Rechtsbeziehung, aus der es hergeleitet wird, erst nach dem Eintritt der Verschollenheit begründet worden ist.

Dabei ist nach wie vor dem Bedürfnis Rechnung zu tragen, den Kreis der antragsberechtigten anderen Personen einzugrenzen, um die Belange der Angehörigen des Verschollenen zu wahren und Mißbräuchen vorzubeugen. Daher hat das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall zu Recht darauf abgehoben, daß keine näheren Angehörigen des Verschollenen vorhanden sind als die Antragstellerin und daß die mit der Nachlaßregelung verfolgten Ziele der Erblasserin, soweit sie überhaupt mit einer Todeserklärung nicht zu vereinbaren wären, mit der langen Dauer der Verschollenheit an Gewicht verloren haben. Schließlich kann auch die Art der Rechtsbeziehung, auf die sich das Interesse der Antragstellerin an der Todeserklärung gründet, nicht außer Betracht bleiben. Ungeachtet der nur aus dem persönlichen Erleben der Erblasserin zu erklärenden Besonderheit, daß sie ihren bei Testamentserrichtung seit 20 Jahren kriegsverschollenen Sohn zum Nacherben bestimmt und daran bis zu ihrem Tode festgehalten hat, hält sich eine derartige, zugunsten naher Verwandter getroffene Verfügung von Todes wegen im Rahmen der Vorsorgemaßnahmen, die beim Vorhandensein von Vermögen getroffen zu werden pflegen. Ohne daß die Voraussetzungen, unter denen eine nach dem Eintritt der Verschollenheit geschaffene Rechtsbeziehung ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung zu begründen vermag, damit abschließend umschrieben würden, ist der Senat daher der Auffassung, daß im vorliegenden Fall ein solches Interesse der Antragstellerin nicht von vornherein verneint werden kann.

3.

Auch bei dieser Betrachtung kann ein rechtliches Interesse der Antragstellerin an der Todeserklärung aber abschließend nur bejaht werden, wenn diese erforderlich, zumindest aber geeignet ist, ihre erbrechtliche Stellung zu klären.

Die Todeserklärung begründet lediglich die Vermutung, daß der Verschollene zu dem dabei festgestellten Zeitpunkt gestorben ist (§ 9 Abs. 1 Satz 1 VerschG). Sie kann in einem Fall des § 1 Abs. 1 VerschÄndG, wie er hier vorliegt, ausgesprochen werden, wenn die Umstände der Verschollenheit "ernstliche Zweifel" an dem Fortleben des Verschollenen begründen. Demgegenüber soll nach § 4 des Testaments die Nacherbschaft erst wegfallen, wenn "endgültig feststeht", daß der Verschollene nicht mehr zurückkehrt. Es ist daher zweifelhaft und durch - bisher nicht geschehene - tatrichterliche Auslegung des Testaments zu klären, ob eine Todeserklärung, noch dazu auf den 31. Dezember 1945 (§ 2 Abs. 3 Satz 1 VerschÄndG), also einen bei Testamentserrichtung weit zurückliegenden Zeitpunkt, zum Wegfall der Nacherbschaft führt.

Andererseits ist vor einer tatrichterlichen Würdigung nicht von vornherein auszuschließen, daß es im Hinblick auf die Befugnisse des von der Erblasserin in § 7 des Testaments eingesetzten Testamentsvollstreckers einer Todeserklärung des Verschollenen nicht bedarf, um die von der Antragstellerin erstrebte Klärung herbeizuführen. Obwohl der Testamentsvollstrecker nach dem Wortlaut der Bestimmung neben der Abwicklung der Erbschaft auf die Entscheidung von "Meinungsverschiedenheiten zwischen den Erben" beschränkt ist, könnte er u.U. auch berufen sein, die Feststellung gemäß § 4 Satz 3 des Testaments zu treffen, daß der Verschollene nicht mehr zurückkehren wird.

Die Sache war daher an das Landgericht zurückzuverweisen, damit dieses die zur abschließenden Beurteilung des rechtlichen Interesses der Antragstellerin erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen trifft.

 

Unterschriften

Dr. Grell

Portmann

Lohmann

Dr. Seidl

Krohn

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456281

NJW 1982, 443

JZ 1982, 68

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