Entscheidungsstichwort (Thema)
Adoptionssache
Leitsatz (amtlich)
Bei unverschuldeter Unfähigkeit der Eltern zur Pflege und Erziehung ihres Kindes kann die Einwilligung in die Adoption nicht ersetzt werden, wenn das Kind auch bei Unterbleiben der Adoption in einer Familie aufwachsen kann. Im Rahmen des § 1748 Abs. 3 BGB kommt es nicht darauf an, ob das unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigen Nachteil gereichen würde.
Normenkette
BGB § 1748 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Darmstadt |
AG Darmstadt |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 3. April 1995 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die der Beteiligten zu 3 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen, soweit darüber nicht bereits entschieden ist.
Beschwerdewert: 5.000 DM.
Gründe
I.
Die jetzt neunjährige Antragstellerin ist das nichteheliche Kind der Beteiligten zu 3. Ihr Vater ist nicht bekannt.
Mit Beschluß vom 15. März 1988 entzog das Amtsgericht der Mutter wegen einer das Kindeswohl gefährdenden chronischen schizophrenen Psychose das Sorgerecht und bestellte das Jugendamt der Stadt W. zum Vormund des Kindes. Diese Maßnahmen hatte das Gericht bereits vor der Entlassung des Kindes aus der Geburtsklinik im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig angeordnet.
Das Kind befindet sich auf Veranlassung des Vormunds seit April 1987 bei Pflegeeltern. Es ist in deren Familie, zu der auch ein 1988 geborener Adoptivsohn gehört, zwischenzeitlich eng eingebunden. Die Mutter hat dies akzeptiert, willigt aber nicht in eine Adoption durch die Pflegeeltern ein. Sie hat sich von Anfang an um ihr Kind bemüht und sucht nach wie vor die Verbindung zu ihm. Auf ihren Wunsch fanden zahlreiche Besuchskontakte statt, die wiederholt gerichtlich geregelt worden sind.
Der Vormund befürwortet eine Adoption und beantragte namens des Kindes, die Einwilligung der Mutter gemäß § 1748 Abs. 3 BGB zu ersetzen. Das Amtsgericht holte ein psychiatrisches Gutachten über den Gesundheitszustand der Mutter ein und gab dem Antrag statt. Im Beschwerdeverfahren hob das Landgericht zuletzt den Beschluß des Amtsgerichts auf und wies den Antrag zurück. Dagegen wendete sich u.a. das durch seinen Vormund vertretene Kind mit der sofortigen weiteren Beschwerde.
Soweit das Rechtsmittel auch von den Pflegeeltern und der Adoptionsvermittlungsstelle eingelegt worden war, verwarf es das Oberlandesgericht mangels Beschwerdebefugnis als unzulässig unter Auferlegung außergerichtlicher Kosten der Mutter. Das Rechtsmittel des Kindes legte es gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor.
Es hält die erste Voraussetzung des § 1748 Abs. 3 BGB, eine auf einer besonders schweren psychischen Krankheit beruhende dauernde Unfähigkeit der Mutter zur Pflege und Erziehung des Kindes, für gegeben, nicht aber die weitere Voraussetzung, daß das Kind bei Unterbleiben der Adoption nicht in einer Familie aufwachsen könnte und dadurch in seiner Entwicklung schwer gefährdet wäre. Es möchte den angefochtenen Beschluß daher bestätigen, sieht sich daran aber durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (FamRZ 1990, 94) gehindert, nach der eine Ersetzung der Einwilligung in die Adoption in einem Fall des § 1748 Abs. 3 BGB auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn das Kind bei Unterbleiben der Adoption weiterhin in einem Dauerpflegeverhältnis aufwachsen könne, das Unterbleiben aber für das Kind einen unverhältnismäßigen Nachteil bedeuten würde.
II.
1. Die Vorlage ist zulässig. Zweifelhaft könnte sein, ob dem Vorlagebeschluß, wie erforderlich (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 82, 34), zu entnehmen ist, daß das vorlegende Gericht bei Befolgung der Ansicht, von der es abweichen will, zu einer anderen Fallentscheidung gelangen würde. Dazu ist lediglich ausgeführt, bei Befolgung dieser Ansicht würde in einem Fall wie dem vorliegenden die Ersetzung der Einwilligung der Mutter „zulässig” sein. Da aber schon das Landgericht diese Ansicht abgelehnt und nicht geprüft hat, ob das Unterbleiben der Adoption für das Kind einen unverhältnismäßigen Nachteil darstellen würde, ergeben die Umstände klar, daß das vorlegende Gericht bei Befolgung dieser Auffassung die Zurückverweisung an die Vorinstanz zur weiteren Aufklärung aussprechen müßte. Da auch sonst keine formellen Bedenken bestehen, hat der Senat gemäß § 28 Abs. 3 FGG über die weitere Beschwerde des Kindes zu entscheiden.
2. Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet, weil die Voraussetzungen des § 1748 Abs. 3 BGB für eine gerichtliche Ersetzung der Einwilligung der Mutter in die Adoption ihres Kindes nicht vorliegen.
a) Das Beschwerdegericht ist in dem angefochtenen Beschluß davon ausgegangen, daß die Mutter infolge einer besonders schweren psychischen Erkrankung auf Dauer unfähig ist, ihr Kind zu pflegen und zu erziehen. Dies wird von der weiteren Beschwerde nicht angegriffen und läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
b) Nach dem Wortlaut des § 1748 Abs. 3 BGB muß zu einer solchen dauernden Erziehungsunfähigkeit hinzukommen, daß das Kind ohne Adoption nicht in einer Familie aufwachsen könnte und hierdurch in seiner Entwicklung schwer gefährdet wäre. Daß das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu einem unverhältnismäßigen Nachteil gereichen würde, ist hingegen keine tatbestandliche Voraussetzung des § 1748 Abs. 3 BGB, sondern ausschließlich eine solche des § 1748 Abs. 1 BGB, in der andere, eigenständige Ersetzungsgründe geregelt sind, die an vorwerfbares Elternverhalten anknüpfen. Danach ist also im Rahmen des objektiven Ersetzungsgrundes des § 1748 Abs. 3 BGB eine zusätzliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des unverhältnismäßigen Nachteils nicht vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (aaO) kann folglich dann, wenn das Aufwachsen des Kindes in einer Pflegefamilie gesichert ist, die Ersetzung der Einwilligung der Eltern in die Adoption nicht darauf gestützt werden, daß der Status eines angenommenen Kindes wegen der besseren Integrierung in den Familienverband erheblich günstiger sei als der eines Pflegekindes.
c) Es ist nicht gerechtfertigt, von dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes abzuweichen. Das ergibt sich zweifelsfrei aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dem mit ihr verfolgten Zweck sowie verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten:
Der objektive Ersetzungsgrund wurde als § 1747a Abs. 3 BGB durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Adoptionsrechts vom 14. August 1973 (BGBI. 1 1013) geschaffen und durch das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 (BGBl. 1 1749) als § 1748 Abs. 3 BGB übernommen. Durch das Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 (BGBl. 1 2002) ist lediglich der Begriff des „besonders schweren geistigen Gebrechens” durch die Formulierungen „besonders schwere psychische Krankheit” und „besonders schwere geistige oder seelische Behinderung” ersetzt worden.
Wie der Begründung des Regierungsentwurf 5 zur Neuregelung des Adoptionsrechts im Jahre 1973 (BT-Drucks. 7/421) zu entnehmen ist, war der Gesetzgeber bestrebt, den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 1968 zur Verfassungsmäßigkeit der Ersetzung der elterlichen Einwilligung in die Adoption nach altem Recht (BVerfGE 24, 119, 143 ff) zu entsprechen. Im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen dem durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht und der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sollte das Gesetz zwar möglichst alle Fälle erfassen, in denen eine Adoption zum Schutze des Kindes erforderlich ist, aber auf der anderen Seite einer zu starken Ausweitung der Ersetzungsmöglichkeit vorbeugen. Soweit vorwerfbares Elternverhalten als Grund für die Ersetzung der Einwilligung in Betracht kommt (Regelungsbereich des § 1748 Abs. 1 BGB), sollte das Tatbestandsmerkmal des unverhältnismäßigen Nachteils die gebotene Abwägung zwischen den Interessen der Eltern und des Kindes ermöglichen. In diesen Fällen sollte die Ersetzung der elterlichen Einwilligung in die Adoption auch dann nicht ausgeschlossen sein, wenn das Kind in einer Dauerpflegestelle gut untergebracht ist (BT-Drucks. aaO 5. 6 f, 9; s.a. Senatsbeschluß vom 5. Februar 1986 – IVb ZB 1/86 – FamRZ 1986, 460, 462).
Im Rahmen des § 1748 Abs. 3 BGB hat der Gesetzgeber demgegenüber bewußt die Grenzen für eine Ersetzung der Einwilligung enger gezogen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß es sich hier – anders als bei § 1748 Abs. 1 BGB – um Fälle schicksalhaften, nicht zurechenbaren Versagens der Eltern handelt und der mit der Adoption verbundene Verlust ihres Kindes für sie deshalb eine besondere Härte bedeutet, die ihnen nur ganz ausnahmsweise zuzumuten ist. Deshalb sollte die Ersetzung nicht zulässig sein, wenn das Kind auch ohne die Adoption nicht in einem Heim untergebracht werden muß, sondern in einer Familie aufwachsen kann, sei es bei dem anderen Elternteil oder bei Verwandten, Stief- oder Pflegeeltern (vgl. BT-Drucks. aaO S. 7, 10 f). Selbst bei drohender Heimunterbringung macht die Gesetz gewordene Fassung die Ersetzung der Einwilligung von der weiteren Voraussetzung abhängig, daß das Kind hierdurch in seiner Entwicklung schwer gefährdet würde.
d) Die enge Gestaltung des objektiven Ersetzungsgrundes begegnet im Hinblick auf die Wahrung der Interessen des Kindes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, daß ein derart weitreichender Eingriff in das Elternrecht wie die Ersetzung der Einwilligung in die Adoption unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes regelmäßig nur bei besonders schwerem Versagen der Eltern in ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind zulässig ist (BVerfGE 24 aaO 146; 60, 79, 89 ff; BVerfG FamRZ 1988, 807).
Das Gesetz hält sich im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Wertung, wenn es in den Fällen des § 1748 Abs. 3 BGB angesichts eines nicht zurechenbaren, schicksalhaften Elternversagens die Grenzen für eine Ersetzung der Einwilligung besonders eng zieht. Auch wenn die Adoption gegen den Willen der Eltern nach dieser Vorschrift nur noch zur Vermeidung einer die Entwicklung des Kindes schwer gefährdenden Heimunterbringung möglich ist, wird das Kind durch andere gesetzliche Regelungen so weit geschützt, daß seine verfassungsmäßigen Rechte bei der gebotenen Abwägung hinreichend gewahrt bleiben.
Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern es der Pflegeperson wegnehmen, kann gemäß § 1632 Abs. 4 BGB das Vormundschaftsgericht den Verbleib von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen (vgl. dazu auch BVerfGE 75, 201). Steht wie hier die Personensorge einem Vormund zu, gilt dieser Schutz auch ihm gegenüber (§ 1800 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 1991, 1080, 1082). Gefährdungen des Kindes durch das Umgangsrecht der Eltern können durch gerichtliche Regelungen nach § 1634 Abs. 2 BGB abgewendet werden.
Die Integration des Kindes in die Pflegefamilie kann etwa durch Namensänderung gefördert werden. So bestimmt Nr. 42 der Verwaltungsvorschrift zum Namensänderungsgesetz (NamÄndVwV – Bundesanzeiger Nr. 78 vom 25. April 1986), daß dem Antrag eines Pflegekindes auf Änderung seines Familiennamens in den Familiennamen der Pflegeeltern entsprochen werden kann, wenn die Namensänderung dem Wohl des Kindes förderlich ist, das Pflegeverhältnis auf Dauer besteht und eine Annahme als Kind nicht oder noch nicht in Frage kommt.
Auch ist die eine Ersetzung ablehnende Entscheidung insoweit nicht unabänderlich, als ein neuer Antrag gestellt werden kann, wenn sich die Verhältnisse etwa dahin verändern, daß das Aufwachsen des Kindes in einer Familie ohne Adoption nicht mehr möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf DAVorm 1976, 157, 159; Keidel/Amelung, FGG 13. Aufl. § 18 Rdn. 2).
e) Der hier vertretene Standpunkt entspricht nicht nur der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts, sondern auch des überwiegenden Teils der Rechtsprechung und Literatur (Staudinger/Frank, BGB 12. Aufl. § 1748 Rdn. 56; RGRKBGB/Dickescheid, 12. Aufl. § 1748 Rdn. 20; Erman/Holzhauer, BGB 9. Aufl. § 1748 Rdn. 21; Finger FuR 1990, 183, 191; Baer/Gross, Adoption und Adoptionsvermittlung, 2. Aufl. 1981 5. 44 f; OLG Hamm DAVorm 1978, 364, 378 f; BayObLG Rpfleger 1977, 303, 304; AG Melsungen FamRZ 1996, 53, 55).
Die gegenteilige Ansicht (OLG Karlsruhe aaO m. zust. Anm. Gawlitta FamRZ 1990, 96 f; OLG Hamm Jugendwohl 1994, 284, 289 ff; Soergel/Liermann, BGB, Nachtrag zur 12. Aufl. § 1748 Rdn. 23 unter Einschränkung der dazu in der 12. Auflage vertretenen Ansicht) verkennt die durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gezogenen Grenzen bei unverschuldeter Erziehungsunfähigkeit der Eltern und vermengt die Voraussetzungen von Absatz 1 und Absatz 3 des § 1748 BGB.
f) Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Verbleib des Kindes in der gegenwärtigen Pflegefamilie auch bei Unterbleiben der Adoption gesichert ist. Das läßt keinen Rechtsverstoß erkennen. Die weitere Beschwerde macht im wesentlichen geltend, daß das Wohl des Kindes aus anderen Gründen die Ersetzung der Einwilligung der Mutter in die Adoption erfordere. Der eng umgrenzte Ersetzungsgrund des § 1748 Abs. 3 BGB läßt jedoch die Berücksichtigung der insoweit ins Feld geführten Umstände nicht zu.
g) Die Einwilligung der Mutter kann – wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat – auch nicht gemäß § 1748 Abs. 1 BGB ersetzt werden, da ihr ein Elternversagen im Sinne dieser Bestimmung offensichtlich nicht vorgeworfen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 609864 |
BGHZ, 384 |
NJW 1997, 585 |
FPR 2005, 264 |
MDR 1997, 163 |