Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Beschwerdefrist durch Beschlussverkündung bei nicht ordnungsgemäßer Ladung des beschwerten Beteiligten
Leitsatz (amtlich)
Durch die Verkündung eines Beschlusses (hier: in einem Verfahren über die elterliche Sorge) wird der Beginn der Beschwerdefrist nach fünf Monaten grundsätzlich dann nicht ausgelöst, wenn der beschwerte Beteiligte zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (im Anschluss an BGH Beschl. v. 29.9.1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144 und BGH v. 7.7.2004 - XII ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651, 1652). Eine darüber hinausgehende Informationspflicht des beschwerten Beteiligten, der von dem Verfahren Kenntnis erlangt hat, scheidet jedenfalls dann aus, wenn ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen hat.
Normenkette
ZPO §§ 517, 621e a.F.
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 03.07.2009; Aktenzeichen 7 UF 250/09) |
AG Nürnberg (Beschluss vom 28.03.2007; Aktenzeichen 104 F 2982/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters wird der Beschluss des 7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des OLG Nürnberg vom 3.7.2009 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die beteiligten Eltern streiten über das Sorgerecht für ihre am 23.12.2005 geborene Tochter Leila. Der Vater ist Algerier, die Mutter Deutsche.
Rz. 2
Die mittlerweile geschiedenen Eltern heirateten 2004 und lebten mit dem Kind in Großbritannien. Nachdem die Mutter im Juli 2006 die Scheidung eingereicht hatte, verließ sie im August 2006 den Vater und zog mit dem Kind nach Nürnberg zu ihren Eltern.
Rz. 3
Im September 2006 hat sie beim AG Nürnberg die Übertragung der elterlichen Sorge sowie eine einstweilige Anordnung bezogen auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragt. Die Antragsschriften wurden den von der Mutter benannten britischen Rechtsanwälten des Vaters formlos übersandt. Die vom AG erlassene einstweilige Anordnung konnte den Rechtsanwälten des Vaters nicht förmlich zugestellt werden, weil diese das Mandat niedergelegt hatten. Daraufhin hat das AG auf Antrag der Mutter die öffentliche Zustellung der einstweiligen Anordnung sowie der Antragsschrift in der Hauptsache bewilligt und zugleich einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28.3.2007 bestimmt. Die Ladung des Vaters ist wiederum öffentlich zugestellt worden. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung hat das AG einen dem Antrag der Mutter entsprechenden Beschluss verkündet und diesen dem Vater wiederum öffentlich zugestellt.
Rz. 4
Der Vater hat rund zwei Jahre später durch seine neuen Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht nehmen lassen und sodann gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Vater beruft sich darauf, dass die Beschwerdefrist mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht zu laufen begonnen habe. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen. Die Beschwerdefrist habe auch nicht fünf Monate nach der Verkündung zu laufen begonnen, weil die Ladung zum Termin nicht wirksam zugestellt worden sei.
Rz. 5
Das OLG hat die Beschwerde des Vaters wegen Versäumung der Beschwerdefrist verworfen. Dagegen richtet sich die vom Vater eingelegte Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung an das OLG beantragt.
II.
Rz. 6
1. Das OLG ist der Auffassung, die Beschwerdefrist habe gem. § 517 Halbs. 2 ZPO fünf Monate nach der Verkündung zu laufen begonnen und sei daher vor Einlegung der Beschwerde abgelaufen. Die Regelung sei hier anwendbar, weil sich die Form der Bekanntmachung nach § 329 ZPO richte und die nach mündlicher Verhandlung erlassene Entscheidung zu verkünden gewesen sei. Die Verkündung müsse im Interesse der Rechtssicherheit nicht in jeder Hinsicht mangelfrei, sondern lediglich wirksam sein. Eine von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahme von der Fünf-Monats-Regel in § 517 ZPO scheitere daran, dass der Vater jedenfalls Kenntnis von dem Verfahren und daher Anlass gehabt habe, sich um den Fortgang des Verfahrens zu kümmern. Selbst wenn die öffentliche Zustellung der Terminsladung nicht habe bewilligt werden dürfen, sei der Vater vom Verfahren jedenfalls informiert gewesen, weil er die Antragsschriften und die zugehörigen eidesstattlichen Versicherungen tatsächlich erhalten habe. Diese seien zwar in deutscher Sprache abgefasst gewesen, die der Vater nicht beherrsche. Er habe diesen jedoch entnommen, dass es sich um ein die elterliche Sorge betreffendes Verfahren handele. Er sei demnach verpflichtet gewesen, sich zeitnah beim AG Nürnberg nach dem Verfahren zu erkundigen. Damit sei auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei infolge des zwischenzeitlichen Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts gegeben, zumal der Vater auch keinen Rückführungsantrag gestellt habe. Dass die Mutter die öffentlichen Zustellungen eventuell erschlichen habe, sei nicht ausschlaggebend, weil diesbezüglich die Voraussetzungen des Restitutionsverfahrens vorrangig gelten würden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitere schließlich an der nicht gewahrten Wiedereinsetzungsfrist.
Rz. 7
2. Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2009 - XII ZR 8/08, FamRZ 2010, 192).
Rz. 9
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 621e Abs. 2, 3 ZPO a.F. i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 3, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Rz. 10
b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des OLG ist die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden und war somit bei Einlegung der Beschwerde nicht abgelaufen.
Rz. 11
aa) Da der angefochtene Beschluss verkündet worden ist, gilt nach § 621e Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F. die Vorschrift des § 517 Halbs. 2 ZPO entsprechend. Danach beginnt mangels wirksamer Zustellung des Beschlusses die einmonatige Beschwerdefrist fünf Monate nach dessen Verkündung zu laufen. Die Verkündung des Beschlusses war zulässig. Nach § 621a Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. gelten für die Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses die Vorschriften der Zivilprozessordnung, mithin auch § 329 ZPO. Für die in § 329 ZPO vorgesehene Verkündung genügt es in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dass eine fakultative mündliche Verhandlung stattgefunden hat (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 28. Aufl., § 329 Rz. 12). Danach war die Verkündung des Beschlusses zulässig, nachdem das Familiengericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und durchgeführt hatte (vgl. Keidel/Schmidt Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl., § 16 Rz. 75 f.).
Rz. 12
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Beschluss verkündet worden. In dem Sitzungsprotokoll ist niedergelegt, dass "folgender Beschluss" ergehe, daran anschließend ist der Beschlusstenor wiedergegeben. Dem ist auch ohne Verwendung des Begriffs eine Verkündung hinreichend deutlich zu entnehmen.
Rz. 13
bb) Wie das OLG bei seiner weiteren Beurteilung nicht verkannt hat, unterliegt die Anwendung des § 517 ZPO jedoch Einschränkungen, die sich aus dem Grundgedanken der Regelung ergeben.
Rz. 14
Der Vorschrift des § 517 ZPO (vormals § 516 ZPO) liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und dass es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen ist (BGH Beschl. v. 29.9.1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; BGH v. 7.7.2004 - XII ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651, 1652). Eine Erkundigungspflicht scheidet demnach aus, wenn die beschwerte Partei im anberaumten Termin nicht vertreten und auch nicht ordnungsgemäß geladen worden war (BGH Beschl. v. 29.9.1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; BGH v. 7.7.2004 - XII ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651, 1652).
Rz. 15
Das OLG hat es offen gelassen, ob die vom AG angeordneten öffentlichen Zustellungen unzulässig waren. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist demnach jedenfalls zu unterstellen, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung jeweils nicht vorlagen, so dass es an einer ordnungsgemäßen Ladung des Vaters zum vom AG anberaumten Termin fehlt.
Rz. 16
cc) Ob darüber hinausgehend die beschwerte Partei bereits dann eine Erkundigungspflicht trifft, wenn sie nur von der Existenz des Verfahrens Kenntnis erhalten hat, hat der BGH in der vom OLG herangezogenen Entscheidung (vgl. BGH Beschl. v. 1.3.1994 - XI ZB 23/93, NJW-RR 1994, 1022) offen gelassen und sich im Übrigen für die weitere Voraussetzung der Unkenntnis vom Rechtsstreit auf Rimmelspacher (in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 517 Rz. 1, 18) bezogen. Dieser befürwortet indessen eine auch bei fehlender Ladung eingreifende Informationslast eines Beklagten nur dann, wenn diesem die Klageschrift zugestellt wurde oder er sich auf das Verfahren eingelassen hat.
Rz. 17
Auch nach dieser Auffassung würde demnach § 517 Halbs. 2 ZPO im vorliegenden Fall nicht eingreifen, weil es an einer wirksamen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks fehlt. Dem Vater als Verfahrensbeteiligten ist das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt worden. Mangels einer ordnungsgemäßen Zustellung musste der Vater sich aber auf das Verfahren nicht einlassen. Das entspricht der Rechtslage bei der Anerkennung ausländischer Titel gem. § 16a Nr. 2 FGG a.F. (ebenso § 328 Nr. 2 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), welche ausscheidet, wenn einem Beteiligten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er sich zur Hauptsache nicht geäußert hat.
Rz. 18
Der vom OLG vertretenen weitergehenden Auffassung, dass auch die ohne Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlangte Kenntnis eine Informationslast begründe, kann daher nicht gefolgt werden. Denn diese würde die oben genannte Befugnis des Beteiligten, sich auf das Verfahren nicht einzulassen, in ihr Gegenteil verkehren. Hinzu kommt, dass die Schriftstücke dem Vater auf Deutsch übermittelt wurden und dass bei Übersendung der Antragsabschriften auch eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO noch nicht bestanden haben dürfte. In Anbetracht des fehlenden Einverständnisses des Vaters dürfte durch den Umzug der Mutter mit dem Kind und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in Deutschland zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Vaters von dem Verfahren ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland noch nicht ohne Weiteres begründet gewesen sein. Auch wenn die internationale Zuständigkeit inzwischen begründet sein dürfte, ist dieser Umstand jedenfalls nicht geeignet, noch nachträglich die vom OLG angenommene Informationslast zu begründen.
Rz. 19
dd) Dass der Vater sich mit seinem Rechtsmittel nunmehr auf das Verfahren eingelassen hat, hat schließlich ebenfalls keine Auswirkungen, weil die Beschwerde jedenfalls rechtzeitig eingelegt und begründet worden ist. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es demnach nicht.
Rz. 20
3. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung und -begründung auf die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Anträge vom 13.9.2006 sowie der Terminsladung an den Vater ankommt.
Fundstellen
Haufe-Index 2379691 |
FamRZ 2010, 1646 |
FuR 2010, 644 |
NJW-RR 2011, 5 |
MDR 2010, 1141 |
FF 2011, 44 |
FamFR 2010, 443 |
FamRB 2010, 366 |