Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessgebühr für gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO. Vergleichsgebühr für prozessbeendenden Vergleich
Leitsatz (amtlich)
Die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien und ihrer Vertreter vor einem Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO werden durch die Prozessgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten und lösen keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus. Münden sie in einen den Rechtsstreit beendenden Vergleich, erhält der Anwalt darüber hinaus die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO.
Normenkette
BRAGO § 31 Nr. 4; ZPO § 278 Abs. 6
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 07.11.2003) |
LG Koblenz |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 7.11.2003 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Beklagten zu tragen.
Beschwerdewert: 457,62 EUR
Gründe
I.
Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Nach Eingang der Klageerwiderung erließ die Zivilkammer des LG durch den Einzelrichter einen die mündliche Verhandlung vorbereitenden Beschluss gem. § 358a ZPO, in dem neben rechtlichen Hinweisen den Parteien ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag unterbreitet und Gelegenheit gegeben worden ist, diesem Vorschlag binnen einer Frist von drei Wochen zuzustimmen. Für den Fall der Zustimmung hat das Gericht angekündigt, dass es das Zustandekommen des Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO im schriftlichen Verfahren feststellen werde. Zugleich erließ es einen Beweisbeschluss für den Fall, dass sich eine vergleichsweise Regelung nicht erzielen ließe und bestimmte Termin zur Beweisaufnahme und mündlichen Verhandlung. Beide Parteien erklärten sich mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden. Nach dem Inhalt des Vergleichs haben der Kläger 3/4 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/4 der Kosten des Verfahrens zu tragen. Am 8.4.2003 ist der Vergleich durch gerichtlichen Beschluss festgestellt worden.
Der Rechtspfleger des LG hat die von den Parteien angesetzten Verhandlungsgebühren im Kostenfestsetzungsbeschluss v. 16.6.2003 abgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Verhandlungsgebühren seien mangels Antragstellung in einem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht entstanden. Beide Parteien haben dagegen sofortige Beschwerde mit der Maßgabe eingelegt, dass statt einer Verhandlungsgebühr eine Erörterungsgebühr anzusetzen sei. Den Beschwerden hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen und sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss v. 7.11.2003 hat das OLG die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Die Beklagten verfolgen mit der Rechtsbeschwerde weiter die Festsetzung einer Erörterungsgebühr.
II.
1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Erörterungsgebühr gem. § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO nicht dadurch ausgelöst worden sei, dass die Parteivertreter die Sach- und Rechtslage vor dem Vergleichsschluss erörterten. Wie § 31 Abs. 2 BRAGO deutlich mache, sei die Erörterungsgebühr der Verhandlungsgebühr gleichgestellt und werde deshalb nur dann verdient, wenn die Erörterung in einem gerichtlichen Termin stattfinde. Hingegen würden außerhalb eines Termins geführte Auseinandersetzungen und Verhandlungen durch die Prozessgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten. Der Anwalt erhalte darüber hinaus eine Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO, wenn die Verhandlungen in einen den Rechtsstreit beendenden Vergleich mündeten. Auch aus § 35 BRAGO lasse sich für den vorliegenden Fall nichts anderes herleiten. Es fehle zum einen eine gerichtliche Entscheidung, da lediglich ein Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO ergangen sei. Zum anderen bedürfe es zur Beschlussfassung nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO nach dem gesetzlichen Leitbild keiner mündlichen Verhandlung. Es entspreche vielmehr der Vorstellung des Gesetzgebers, von ihr abzusehen.
2. Diese Erwägungen halten einer Überprüfung stand.
a) Vergeblich machen die Beklagten geltend, die dem Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO vorausgehende fernmündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage löse eine Erörterungsgebühr in sinngemäßer Anwendung des § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus. Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdegerichts (vgl. auch OLG Koblenz JurBüro 2003, 533), dass die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien und ihrer Vertreter bereits durch die Prozessgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten werden. Münden sie in einen den Rechtsstreit beendenden Vergleich, erhält der Anwalt darüber hinaus die Vergleichsgebühr.
b) Der Gebührentatbestand des § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO setzt grundsätzlich die Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin voraus (einhellige Auffassung: vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1984, 1046, m. w. N.; Hansens, BRAGO-Report 2002, 98 [99]; wohl auch Enders, JurBüro 2003, 1 [3], unter Praxistip; Siemon, MDR 2003, 61 [62]). Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel. Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-Reformgesetz) v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) hat sich daran entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts geändert. Zwar besteht seitdem die Möglichkeit nach § 278 Abs. 6 ZPO einen gerichtlichen Vergleich in der Weise zu schließen, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen und das Gericht das Zustandekommen und den Inhalt eines solchen Vergleichs durch Beschluss feststellt. Dieses Verfahren ist jedoch nicht vergleichbar mit dem Fall, dass die Parteien nach einer die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO auslösenden Erörterung der Sache im gerichtlichen Termin den Prozess durch einen Vergleich beenden, ohne dass eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
c) Eine Ausdehnung des Kostentatbestandes in § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO auf den Vergleichsschluss ohne Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin widerspricht nicht nur dem auch von den Parteivertretern zu wahrenden Interesse der Parteien, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Sie ist auch sonst nicht gerechtfertigt. So ist der mit der Erörterung im Gerichtssaal verbundene Arbeitsaufwand der Prozessvertreter nicht vergleichbar mit einem Telefongespräch, das ohne räumliche und zeitliche Bindung und dem mit dem Weg zum Gericht verbundenen Zeitaufwand geführt werden kann (anderer Ansicht Siemon, MDR 2003, 61 [62]). Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass für die in § 128a ZPO vorgesehene Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung eine Verhandlungsgebühr verlangt werden kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 128a Rz. 8; Enders, JurBüro 2003, 1 [61]), obwohl die Prozessbeteiligten nicht gemeinsam in einem Gerichtssaal körperlich anwesend sind. Durch § 128a ZPO wird zwar das Erfordernis der körperlichen Präsenz bei einer mündlichen Verhandlung gelockert, doch werden dadurch nicht Gerichtsverhandlungen partiell in den Privatbereich oder in Büros verlegt. Vielmehr ist auch im Falle des § 128a ZPO das Erscheinen der Prozessbeteiligten am Übertragungsort zu der zur Verhandlung bestimmten Zeit erforderlich (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 128a Rz. 1 [2]; a. A. wohl Siemon, MDR 2003, 61 [62]).
Für die Partei wäre bei einem Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO außerdem kaum absehbar, wann eine Erörterungsgebühr, deren Anfall an eher zufällige Arbeitsweisen im Einzelfall anknüpft, entsteht. Denn ob das Verfahren schriftlich betrieben oder der Streitstoff telefonisch erörtert wird, hängt von den Prozessvertretern ab und ist durch die Parteien schwerlich zu beeinflussen. Der in der Regel aufwendigere Schriftverkehr ist aber mit der Prozessgebühr abgegolten.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber es versäumt habe, § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO im Hinblick auf das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO insoweit anzugleichen, dass auch in Fällen, in denen die Parteivertreter nicht vor Gericht auftreten, die Erörterungsgebühr bei telefonischer Erörterung entsteht. Das inzwischen verabschiedete Gesetz zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts sieht keinen weiteren Vergütungstatbestand vor. Beim Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO soll neben der Einigungsgebühr (Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. 15/2487, 92) die Verfahrensgebühr (Nummer 3101 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. 15/2487, 97), nicht jedoch die Terminsgebühr (Nummer 3104 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. 15/2487, 98) entstehen (vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 278 Rz. 27). Auch nach derzeitigem Rechtszustand erhält der Prozessvertreter für das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und eine Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO. Erfolglos beruft sich die Rechtsbeschwerde deshalb auf § 2 BRAGO, wonach in Fällen, in denen Gebühren für eine Berufstätigkeit des Rechtsanwalts nicht bestimmt sind, die Gebühren in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des Gesetzes zu bemessen sind.
e) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch die Voraussetzungen des § 35 BRAGO im vorliegenden Fall verneint, weil es zur Beschlussfassung nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO nach dem gesetzlichen Leitbild gerade keiner mündlichen Verhandlung bedarf und es sich hierbei auch nicht um eine gerichtliche Entscheidung handelt (vgl. OLG München JurBüro 2003, 248 f.; OLG Schleswig JurBüro 2003, 301; OLG Koblenz JurBüro 2003, 467; a. A. Enders, JurBüro 2003, 1; Buchmüller, AnwBl. 2004, 88). Hiergegen spricht nicht, dass in jeder Lage des Verfahrens nach Möglichkeiten einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits zu suchen und deshalb nicht ausgeschlossen ist, dass auch noch nach einem gerichtlichen Termin und einer mündlichen Verhandlung ein Vergleich auf Vorschlag des Gerichts festgestellt wird (vgl. Buchmüller, AnwBl. 2004, 88).
3. Nach allem ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1159876 |
NJW 2004, 2311 |
BGHR 2004, 1131 |
FamRZ 2004, 1195 |
JurBüro 2004, 481 |
AnwBl 2004, 593 |
MDR 2004, 965 |
Rpfleger 2004, 524 |
VersR 2004, 1433 |
AGS 2004, 231 |
PA 2005, 4 |
RVG-B 2004, 105 |
RVGreport 2004, 311 |
RVG-Letter 2004, 100 |
RVG-Letter 2004, 76 |