Leitsatz (amtlich)
Die Werbung für einen nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtigen „Hypotonietee aus Besenginsterkraut” mit der unspezifizierten Indikation „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” verstößt nicht generell gegen das Werbeverbot des § 12 Abs. 1 i.V. mit Anlage A Nr. 5 c.
Normenkette
UWG § 1; HeilMWerbG § 12 Abs. 1 i.V. mit Anlage A Nr. 5 Buchst. c
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Aktenzeichen 4 U 67/96) |
LG Waldshut-Tiengen (Aktenzeichen 3 HO 56/95) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 4. Zivilsenat in Freiburg – vom 19. Dezember 1996 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 4. März 1996 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen wird.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte warb in der Illustrierten „…”, Heft Nr. 14, vom 30. März 1995 für einen von ihr hergestellten und vertriebenen, nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtigen „Hypotonietee aus Besenginsterkraut” in der nachstehend wiedergegebenen Weise:
Der klagende Wettbewerbsverein, der es sich nach seiner Satzung zur Aufgabe gemacht hat, die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs zu überwachen, hat beanstandet, daß die Beklagte ihren Hypotonietee uneingeschränkt mit dem Anwendungsgebiet „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” bewerbe. Da niedriger Blutdruck im Einzelfall auch die Auswirkung einer organischen Gefäßerkrankung sein könne, verstoße die Beklagte gegen § 12 Abs. 1 HWG i.V. mit Anlage A Nr. 5 c, wonach sich die Werbung für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise nicht auf die Erkennung, Verhütung, Beseitigung oder Linderung organischer Krankheiten des Herzens und der Gefäße beziehen dürfe.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr außerhalb der Fachkreise für Arzneimittel, insbesondere für das Mittel „S. Hypotonietee”, mit dem Anwendungsgebiet zu werben: „niedriger Blutdruck (Hypotonie)”.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat die Prozeßführungsbefugnis des Klägers in Abrede gestellt und geltend gemacht, niedriger Blutdruck habe als konstitutionsbedingte Erscheinung in der Regel keinen Krankheitswert. Nur im Ausnahmefall könne er als Folge schwerster organischer Erkrankungen des Herzens und der Gefäße auftreten. Für derartige Erkrankungen habe sie den Tee aber nicht beworben.
Das Landgericht hat die Klagebefugnis des Klägers verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (OLG Karlsruhe PharmaR 1997, 300).
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat den Kläger als prozeßführungsbefugt angesehen. In der Sache hat es angenommen, daß die beanstandete Werbung gegen § 1 UWG i.V. mit § 12 Abs. 1 HWG und Anlage A Nr. 5 c zu dieser Bestimmung verstoße. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:
Die Vorschrift des § 12 HWG solle Gesundheitsgefahren entgegenwirken, die sich daraus ergeben könnten, daß sich der medizinische Laie in Unkenntnis der Ursachen seiner Erkrankung mit Hilfe von öffentlich beworbenen Arzneimitteln bei ernsthaften Erkrankungen selbst behandele. Im Rahmen des § 12 Abs. 1 HWG sei daher die werbemäßige Verwendung von Globalindikationen schon dann als unzulässig anzusehen, wenn diese vom angesprochenen Publikum jedenfalls auch auf Katalogkrankheiten aus der Anlage zu § 12 HWG bezogen werden könnten. Unklarheiten gingen zu Lasten des Werbenden, dem es obliege, dem Laienpublikum durch eindeutige und klare Indikationsangaben den Bestimmungszweck des beworbenen Mittels zu verdeutlichen. Von diesen strengen Grundsätzen könne zwar dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn es sich um nach äußerem Erscheinungsbild und üblichem Verlauf jedermann geläufige Alltagsbeschwerden, wie beispielsweise Husten, handele, deren Bekämpfung herkömmlich immer noch – vielfach mit Hausmitteln – zunächst im Wege der Selbstmedikation erfolge, auch wenn sich hinter diesen gelegentlich schwere Erkrankungen verbergen könnten. Zu solchen Alltagsbeschwerden zählten aber die – einem äußerlichen Befund ohnehin nur schwer zugänglichen – Kreislaufstörungen nicht. Aus diesem Grund sei die Werbung mit der globalen Indikation „Kreislaufbeschwerden”, „Durchblutungsstörungen” oder „hoher Blutdruck” als Verstoß gegen § 12 Abs. 1 HWG i.V. mit Nr. 5 c der Anlage angesehen worden.
Bei der beanstandeten Indikation „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” gelte nichts anderes. Niedriger Blutdruck habe als konstitutionsbedingte Erscheinung zwar meist keinen Krankheitswert. Er könne jedoch Symptom schwerster organischer Erkrankungen des Herzens und der Gefäße sein wie insbesondere Herzinsuffizienz, Herzinfarkt oder Aortenstenose, die Nr. 5 c der Anlage zu § 12 HWG unterfielen.
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung der Revision bestehen gegen die Klagebefugnis des Klägers aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG im Streitfall keine Bedenken.
Der Senat hat den Kläger in einer Reihe von Entscheidungen aus jüngster Zeit als befugt angesehen, Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz geltend zu machen (BGH, Urt. v. 19.3.1998 - I ZR 173/95, GRUR 1998, 959 = WRP 1998, 983 - Neurotrat forte, m.w.N.). Der vorliegende Fall gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß. Der Kläger verfügt nach den in anderen Verfahren getroffenen Feststellungen über eine erhebliche Zahl von Mitgliedern, die dem Pharmabereich zuzurechnen sind und Waren gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt wie die Beklagte vertreiben (vgl. BGH GRUR 1998, 959 - Neurotrat forte). Davon ist auch im Streitfall auszugehen.
Abweichend von der Ansicht der Revision sind bei der Beurteilung der Prozeßführungsbefugnis nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG nicht nur solche Mitgliedsunternehmen zu berücksichtigen, die Mittel gegen niedrigen Blutdruck herstellen und vertreiben oder niedrigen Blutdruck behandeln. Einzubeziehen sind vielmehr auch solche Mitgliedsunternehmen, bei denen eine nicht gänzlich unbedeutende (potentielle) Beeinträchtigung durch die beanstandete Werbemaßnahme mit einer gewissen – sei es auch nur geringen – Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.1997 - I ZR 53/95, GRUR 1998, 498, 499 = WRP 1998, 177 - Fachliche Empfehlung III, m.w.N.). Danach sind im Streitfall alle dem Pharmabereich zuzuordnenden Mitgliedsunternehmen des Klägers zu berücksichtigen.
2. In der Sache hält die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne von der Beklagten nach § 1 UWG, § 12 Abs. 1 HWG i.V. mit der Anlage A Nr. 5 c verlangen, es zu unterlassen, außerhalb der Fachkreise für den in Rede stehenden Hypotonietee mit dem Anwendungsgebiet „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” zu werben, der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 12 Abs. 1 HWG i.V. mit Anlage A Nr. 5 c darf außerhalb der Fachkreise nicht für Arzneimittel geworben werden, die sich auf die Erkennung, Verhütung, Beseitigung oder Linderung von organischen Krankheiten des Herzens und der Gefäße, ausgenommen allgemeine Arteriosklerose, Varikose und Frostbeulen, beziehen.
Niedriger Blutdruck gehört als solcher nicht zu den in Nr. 5 c der Anlage A zu § 12 Abs. 1 HWG genannten Krankheiten des Herzens und der Gefäße; er hat – wie das Berufungsgericht festgestellt hat –, soweit er eine konstitutionsbedingte Erscheinung ist, meist keinen Krankheitswert. Er kann aber auch – wie das Berufungsgericht dargelegt hat – ein Symptom sein, das auf eine Erkrankung des Herzens und der Gefäße hindeutet.
b) Das Werbeverbot des § 12 Abs. 1 HWG greift jedoch nicht nur dann ein, wenn eine bestimmte Krankheit konkret benannt wird. Es kann vielmehr ausreichend sein, wenn eine in der Anlage zu dieser Vorschrift genannte Krankheit in anderer Weise als Anwendungsbereich benannt wird, da das Verbot andernfalls unterlaufen werden könnte. Nach dem Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 HWG ist das Verbot immer dann anwendbar, wenn der Gefahr vorgebeugt werden muß, daß die von der Werbung angesprochenen und durch die angedeutete Krankheit gefährdeten Verbraucher zu dem beworbenen Arzneimittel greifen, weil sie es für ein ausreichendes und erfolgversprechendes Mittel zur Selbstbehandlung ihrer Krankheit ansehen (vgl. dazu auch - zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG - BGH, Urt. v. 4.12.1997 - I ZR 125/95, GRUR 1998, 493, 494 = WRP 1998, 505 - Gelenk-Nahrung; vgl. weiter Doepner, HWG, § 12 Rdn. 42 ff.; Beuthien/Schmölz, PharmaR 1998, 118, 119). Wird in der Werbung ein Symptom genannt, das auch Anzeichen für eine Krankheit i.S. von Nr. 5 c der Anlage A zu § 12 Abs. 1 HWG sein kann, begründet dies unter Umständen die Erwartung, daß das Mittel auch gegen diese Krankheiten hilft. Dies kann aber nur dann angenommen werden, wenn ein relevanter Teil des Verkehrs gerade wegen der Angabe des Symptoms davon ausgeht, daß das Arzneimittel dazu bestimmt und geeignet ist, eine der in Nr. 5 c der Anlage A genannten Krankheiten zu erkennen, zu verhüten, zu beseitigen oder zu lindern. Symptome oder Beschwerden, die ohne Krankheitswert konstitutionsbedingt häufig vorkommen, wird der Verkehr nicht ohne weiteres auf seltener auftretende, in der Anlage genannte Krankheiten beziehen, wenn die Werbung nicht zusätzliche Anhaltspunkte enthält, die bei dem Verbraucher eine derartige Assoziation auslösen (vgl. Doepner aaO § 12 Rdn. 43).
c) Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, daß ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs wegen der Angabe des Anwendungsbereichs „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” in der Werbung der Beklagten annimmt, der beworbene Hypotonietee könne auch dazu geeignet sein, organische Erkrankungen des Herzens und der Gefäße zu behandeln. Es hat bei seiner Beurteilung wesentliche Gesichtspunkte außer acht gelassen, insbesondere nicht hinreichend berücksichtigt, daß sich die konkrete Werbung nicht nur darauf beschränkt, den Tee als „Hypotonietee” zu bezeichnen, sondern auch eine Reihe von Angaben zu dessen Anwendungsbereich enthält.
Nach dem Gesamtinhalt der angegriffenen Werbung ist es vielmehr erfahrungswidrig anzunehmen, die angespochenen Verkehrskreise könnten aus dieser den Eindruck gewinnen, der beworbene Hypotonietee werde zur Behandlung organischer Erkrankungen des Herzens und des darauf beruhenden niedrigen Blutdrucks empfohlen und sei dafür geeignet. Die Werbung spricht in ihrer Gesamtheit im Gegenteil dafür, daß der beworbene Hypotonietee lediglich zur Beeinflussung des konstitutionsbedingten niedrigen Blutdrucks bestimmt ist. Denn in der Anzeige heißt es, daß die Verwendung des Hypotonietees für „engagierte Frauen die gesunde Art” sei, „mit Elan in den Tag zu gehen”; überdies soll – wie in der Überschrift herausgestellt wird – Besenginster „fortschrittliche Frauen” wecken. Den angesprochenen Verkehrskreisen ist dabei nach der allgemeinen Lebenserfahrung bekannt, daß niedriger Blutdruck häufig eine rein konstitutionsbedingte, nicht auf organischer Krankheit beruhende Erscheinung ist.
Die Werbung wendet sich nicht – auch nicht verdeckt – an Personen, die unter organischen Herz- und/oder Gefäßerkrankungen leiden. Einen Bezug zwischen der unspezifizierten Indikation „niedriger Blutdruck (Hypotonie)” und organischen Herz- und Gefäßkrankheiten könnten nur diejenigen Verkehrskreise herstellen, die wissen, daß niedriger Blutdruck auch Symptom derartiger Krankheiten sein kann. Den davon betroffenen Personen ist aber nach der Lebenserfahrung in aller Regel bekannt, daß Erkrankungen des Herzens und der Gefäße, wie Herzinfarkt, Herzinsuffzienz und Aortenstenose, eine besondere ärztliche Behandlung erfordern und nicht mit einem Hypotonietee therapiert werden können.
III. Danach war auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Klage statt als unzulässig als unbegründet abgewiesen wird. Das Verbot einer reformatio in peius steht dieser Entscheidung nicht entgegen (vgl. BGHZ 23, 36, 50; 46, 281, 283 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
v. Ungern-Sternberg, Mees, Starck, Bornkamm, Pokrant
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.03.1999 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538576 |
NJW-RR 1999, 1417 |
GRUR 1999, 936 |
Nachschlagewerk BGH |
MedR 2000, 368 |
WRP 1999, 918 |
ApoR 1999, 132 |
LMuR 1999, 141 |
LMuR 1999, 171 |