Leitsatz (amtlich)
Neuer, unstreitiger Tatsachenvortrag ist in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen; dies gilt selbst dann, wenn dadurch eine Beweisaufnahme erforderlich wird.
Normenkette
ZPO § 529 Abs. 1, § 531 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 23. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Klage wegen eines Schadensersatzanspruchs für den Veranlagungszeitraum 1997 gegen die Beklagten zu 1) und 4i.H.v. 6.625,56 EUR abgewiesen hat; jedoch bleibt der Ausspruch zu den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) sowie 5) bis 8) bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger verlangen von den Beklagten zu 1) und 4) Ersatz von Steuernachteilen. Die Beklagten zu 1) und 4) erstellten - nur dies ist Gegenstand des Revisionsverfahrens - die Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1997. Dabei unterließen sie es, für dieses Jahr eine bestehende dauernde Last sowie die Kosten einer Haushaltshilfe steuermindernd geltend zu machen. Der Einkommensteuerbescheid ging den Klägern spätestens am 21.3.1999 zu.
Die Regressklage ist am 25.3.2002 bei Gericht eingegangen und dem Beklagten zu 1) am 6.5.2002, dem Beklagten zu 4) am 7.5.2002 zugestellt worden. Das LG hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das OLG hat dies, soweit es den Veranlagungszeitraum 1997 betrifft, bestätigt. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Revision der Kläger.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat dahingestellt sein lassen, ob die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen fehlerhafter Erstellung der Einkommensteuererklärung 1997 erfüllt sind, weil ein Ersatzanspruch gem. § 68 StBerG verjährt sei. Dazu hat es ausgeführt: Die Frist für die Primärverjährung sei mit Zugang des Einkommensteuerbescheids in Lauf gesetzt worden und (spätestens) am 21.3.2002, mithin vor Einreichung der Klage, abgelaufen. Auf eine Sekundärhaftung der Beklagten zu 1) und 4) (fortan: Die Beklagten) könnten die Kläger sich nicht mit Erfolg berufen. Der Annahme des Verjährungseintritts stehe nicht entgegen, dass der anwaltliche Vertreter der Beklagten bis zum 31.3.2002 auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Denn dieser erstmals im Berufungsrechtszug vorgebrachte, unstreitig gebliebene Sachvortrag der Kläger sei gem. § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht zuzulassen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Rechtsfrage, ob das Berufungsgericht die unstreitige neue Tatsache eines befristeten Verzichts auf die Einrede der Verjährung zu berücksichtigen hat, entscheidungserheblich.
a) Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Verjährung eines Ersatzanspruchs gegen einen Steuerberater, der steuerliche Nachteile seines Mandanten verschuldet hat, i.d.R. frühestens beginnt, sobald diesem der belastende Steuerbescheid gem. § 122 Abs. 1, § 155 Abs. 1 S. 2 AO bekannt gegeben wird; erst dann ist grundsätzlich ein Schaden infolge eines Beratungsfehlers und damit ein Ersatzanspruch des Mandanten entstanden, so dass die Verjährungsfrist des § 68 StBerG in Lauf gesetzt wird (BGH v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 [388] = MDR 1995, 1070; Urt. v. 12.2.2004 - IX ZR 246/02, BGHReport 2004, 809 = MDR 2004, 746 = WM 2004, 2034 [2037]). Dies war hier spätestens am 21.3.1999 der Fall.
b) Nach § 202 Abs. 2 BGB, der gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB auf am 1.1.2002 bestehende Ansprüche anzuwenden ist, kann die Verjährung durch Rechtsgeschäft erschwert werden. Ist die dreijährige Frist des § 68 StBerG infolge des verlängerten Verzichts erst am 31.3.2002 abgelaufen, hat die Erhebung der Klage die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 209 BGB gehemmt. Denn die Zustellung der in diesem Fall rechtzeitig eingereichten Klage ist i.S.d. hier noch anwendbaren § 270 Abs. 3 ZPO a.F. (jetzt § 167 ZPO) "demnächst" erfolgt.
Eine Klage ist demnächst zugestellt, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtumstände alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben. Dies ist nicht der Fall, wenn und soweit die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch fahrlässiges Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben; als geringfügig sind i.d.R. (vorwerfbare) Zustellungsverzögerungen bis zu 14 Tagen anzusehen (BGH, Urt. v. 9.11.1994 - VIII ZR 327/93, MDR 1995, 307 = NJW-RR 1995, 254; v. 20.4.2000 - VII ZR 116/99, MDR 2000, 897 = ZIP 2000, 1140), gemessen vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist (BGH, Urt. v. 7.4.1983 - III ZR 193/81, MDR 1984, 124 = WM 1983, 985 [986]; v. 25.11.1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347 [1348]; v. 27.5.1993 - I ZR 100/91, MDR 1994, 725 = WM 1993, 1738 [1739]; v. 7.11.2003 - V ZR 141/03, MDR 2004, 391 = BGHReport 2004, 285 = WM 2004, 894 [897]).
Den hier eingetretenen Zeitablauf haben die Kläger im Wesentlichen nicht zu vertreten: Sie waren nicht verpflichtet, den Gerichtskostenvorschuss nach § 65 Abs. 1 S. 1 GKG (nunmehr § 12 Abs. 1 S. 1 GKG) einzuzahlen, bevor sie dazu vom Gericht aufgefordert worden waren (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347 [1348]; v. 29.6.1993 - X ZR 6/93, MDR 1993, 1009 = NJW 1993, 2811 [2812]; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 167 Rz. 15; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd. § 167 Rz. 9). Den mit Schreiben v. 25.3.2002 angeforderten Gerichtskostenvorschuss haben die Kläger am 9.4.2002 und damit rechtzeitig entrichtet (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347 [1348]; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd. § 167 Rz. 9). Allerdings war der Klageschrift entgegen § 253 Abs. 5 ZPO nicht die für ihre Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften beigefügt. Die hierdurch verursachte schuldhafte Verzögerung der Klagezustellung (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1974 - III ZR 105/72, VersR 1974, 1106 [1107]; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 167 Rz. 9) hat jedoch nur einen Aufschub der Zustellung von zwei Tagen bewirkt. Denn die Kläger haben die von der Geschäftsstelle des LG mit Faxschreiben v. 24.4.2002 angeforderten sieben beglaubigten Abschriften nebst Anlagen bereits mit bei Gericht am 26.4.2002 eingegangenem Schriftsatz nachgereicht.
2. Unstreitige Tatsachen, die erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen werden, sind stets zu berücksichtigen. § 531 Abs. 2 ZPO steht dem nicht entgegen, auch wenn - wie hier - keiner der in dieser Vorschrift genannten Zulassungsgründe gegeben ist.
a) Allerdings ist die Rechtsfrage umstritten; der BGH hat sie bisher offen gelassen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.1.2004 - V ZR 187/03, BGHReport 2004, 614 = MDR 2004, 700 = WM 2004, 1499 [1500]; Urt. v. 7.7.2004 - IV ZR 135/03, BGHReport 2004, 1625 = MDR 2004, 1423 = FamRZ 2004, 1562, [1563, 1565]). Mehrere OLG lassen neuen Sachvortrag, auch wenn er unstreitig bleibt, nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu (OLG Oldenburg v. 4.9.2002 - 2 U 149/02, MDR 2003, 48 = OLGReport Oldenburg 2002, 271 = NJW 2002, 3556 [3557]; OLG Celle v. 8.5.2003 - 6 U 208/02, OLGReport Celle 2003, 303 [306 ff.]; OLG Nürnberg v. 16.10.2002 - 4 U 1404/02, OLGReport Nürnberg 2003, 377; OLG Koblenz v. 20.11.2003 - 7 U 599/03, OLGReport Koblenz 2004, 354 [356]). Nach einer anderen Ansicht sind neue, unstreitige Tatsachen unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen auch unabhängig vom Vorliegen der in § 531 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsgründe zu berücksichtigen (OLG Hamm v. 10.2.2003 - 18 U 93/02, MDR 2003, 650 = NJW 2003, 2325; OLG Nürnberg v. 7.5.2003 - 13 U 615/03, OLGReport Nürnberg 2003, 351 = MDR 2003, 1133; OLG Köln v. 22.12.2003 - 5 U 127/03, MDR 2004, 833 = OLGReport Köln 2004, 124; OLG Karlsruhe v. 13.1.2004 - 17 U 71/03, OLGReport Karlsruhe 2004, 200 = MDR 2004, 1020; Crückeberg, MDR 2003, 10 [11]). Nach einer dritten Auffassung können unstreitige neue Tatsachen unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO in das Berufungsverfahren eingeführt werden (Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 531 ZPO Rz. 8; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd. § 531 Rz. 14, 33; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 531 Rz. 10, 25; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 531 Rz. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 531 Rz. 3; Gehrlein, MDR 2003, 421 [428]; Schneider, NJW 2003, 1434; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 137 Rz. 50; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 475).
b) Die letztgenannte Ansicht trifft zu.
aa) § 531 Abs. 2 ZPO ist auf solche Tatsachen, die erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen und unstreitig werden, nicht anwendbar. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen sind. Die Vorschriften über die Behandlung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel betreffen jedoch nur streitiges und daher beweisbedürftiges Vorbringen. Unstreitig gewordener Sachvortrag fällt nicht unter diese Bestimmungen. Das war für die Präklusionsbestimmung des § 528 Abs. 3 ZPO a.F., die bereits auf das Erfordernis einer Verzögerung verzichtet hatte, anerkannt (BVerfG v. 7.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72 [87 f., 95] = MDR 1981, 290; BGH v. 31.1.1980 - VII ZR 96/79, BGHZ 76, 133, 137 [141] = MDR 1980, 393) und gilt nunmehr für § 531 ZPO (OLG Nürnberg v. 7.5.2003 - 13 U 615/03, OLGReport Nürnberg 2003, 351 = MDR 2003, 1133; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 137 Rz. 62; Schneider, NJW 2003, 1434). Denn der Gesetzgeber des Zivilprozessreformgesetzes hat an dieser Begriffsbestimmung nichts geändert (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 14/4722, 101 f.;Meyer- Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 531 ZPO Rz. 8). Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ist daher nach dem bisherigen Recht auszulegen (BGH, Urt. v. 8.6.2004 - VI ZR 199/03, BGHReport 2004, 1378 = MDR 2004, 1184 = NJW 2004, 2825 [2827]) und erfasst folglich unstreitiges Vorbringen nicht.
bb) Eine analoge Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO kommt im Blick auf den strengen Ausnahmecharakter von Präklusionsvorschriften und ihren einschneidenden Folgen für die säumige Partei nicht in Betracht (vgl. BVerfG v. 9.2.1982 - 1 BvR 799/78, BVerfGE 59, 330 [334] = MDR 1982, 545; v. 5.5.1987 - 1 BvR 903/85, BVerfGE 75, 302 [312] = MDR 1987, 904; BGH, Urt. v. 12.2.1981 - VII ZR 112/80, MDR 1981, 664; v. 12.2.1981 - VII ZR 208/80, MDR 1981, 838 = NJW 1981, 1217 f. [1218]). Die mit einer Zurückweisung unstreitiger neuer Tatsachen verbundene Einschränkung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist daher nicht zu rechtfertigen (vgl. auch Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 531 ZPO Rz. 8).
cc) Auch nach In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes bleibt es sachlich gerechtfertigt, in zweiter Instanz neu vorgetragene, unstreitige Tatsachen nicht unter den Begriff der Angriffs- und Verteidigungsmittel zu subsumieren: Der Zweck des Zivilprozesses besteht in der Feststellung und Verwirklichung subjektiver Rechte (BGHZ 10, 333 [336]; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 1 Rz. 7). Dem widerspricht eine Auslegung des § 531 Abs. 2 ZPO, nach der das Gericht sehenden Auges auf einer falschen, von keiner Partei vorgetragenen tatsächlichen Grundlage entscheiden müsste (vgl. Debusmann, Berichte A zum 65. Deutschen Juristentag A 43 f.). In dem Gesetzgebungsverfahren, das zum Erlass des Zivilprozessreformgesetzes geführt hat, ist das Interesse an einer zutreffenden Tatsachenfeststellung und damit einer materiell gerechten Entscheidung wiederholt hervorgehoben worden (vgl. etwa Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 118, 124). Aufgabe des Berufungsgerichts ist daher nach der Rechtsprechung des BGH in erster Linie die richtige, d.h. die sachgerechte Entscheidung des Einzelfalls (BGH, Urt. v. 14.7.2004 - VIII ZR 164/03, MDR 2004, 1434 = BGHReport 2004, 1366 [1369] m.w.N.).
dd) Der Zivilprozess wird auch nach In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes von der Verhandlungsmaxime bestimmt (vgl. etwa BT-Drucks. 14/4722, 77). Danach bestimmen die Parteien über den der gerichtlichen Entscheidung zu Grunde zu legenden Prozess-Stoff (Gehrlein, MDR 2003, 421 [428]). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, Parteien, die übereinstimmend die erstinstanzlichen Feststellungen im Interesse einer materiell richtigen Entscheidung des Berufungsgerichts ergänzen, daran zu hindern, neuen unstreitigen Sachvortrag in zweiter Instanz in den Rechtsstreit einzuführen. Schützenswerte Interessen des Berufungsbeklagten werden dadurch nicht beeinträchtigt (vgl. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 531 Rz. 14). Der Reformgesetzgeber hat das Interesse der Parteien, mit Hilfe der Berufung eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überzeugende Entscheidung ihres Falles zu erlangen, als legitim anerkannt (BGH, Urt. v. 14.7.2004 - VIII ZR 164/03, MDR 2004, 1434 = BGHReport 2004, 1366 [1369] m.w.N.).
ee) Die in der Rechtsprechung verschiedentlich vorgenommene Einschränkung, neues unstreitiges Vorbringen sei in der Berufungsinstanz nur zu berücksichtigen, wenn eine Zurückweisung zu einer "evident" unrichtigen Entscheidung führe (OLG Köln v. 22.12.2003 - 5 U 127/03, MDR 2004, 833 = OLGReport Köln 2004, 124; OLG Karlsruhe v. 13.1.2004 - 17 U 71/03, OLGReport Karlsruhe 2004, 200 = MDR 2004, 1020; OLG Hamm v. 10.2.2003 - 18 U 93/02, MDR 2003, 650 = NJW 2003, 232), sieht das Gesetz nicht vor. Es gibt daher keine rechtliche Grundlage für eine Unterscheidung zwischen "evident" und "einfach" unrichtigen Entscheidungen. Die von verschiedenen OLG vertretene Einschränkung führt vielmehr zu schwer wiegenden Abgrenzungsschwierigkeiten, weil sich die Grenze zwischen einer "evident" unrichtigen Entscheidung und einer lediglich "schlicht" falschen Entscheidung im Einzelfall nur schwer bestimmen lässt.
Die neu gefassten Vorschriften über die Berufung sollen unter (lediglich) grundsätzlicher Bindung an die in erster Instanz getroffenen Tatsachenfeststellungen in erster Linie eine Fehlerprüfung gewährleisten (BT-Drucks. 14/4722, 94). Funktion der Berufung ist es nach dem Willen des Reformgesetzgebers, das erstinstanzliche Urteil auf die korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen hin zu überprüfen und etwaige Fehler zu beseitigen (BT-Drucks. 14/4722, 64). Ob das erstinstanzliche Urteil objektiv fehlerhaft ist, muss nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts beurteilt werden (BGH, Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHReport 2004, 1110 = MDR 2004, 1077 = WM 2004, 1147 [1151]).
ff) Neuer unstreitiger Tatsachenvortrag ist selbst dann zu berücksichtigen, wenn dies dazu führt, dass vor einer Sachentscheidung eine Beweisaufnahme notwendig wird. Im Gegensatz zu § 528 Abs. 1 und 2 ZPO a.F. stellt das Gesetz in § 531 Abs. 2 ZPO n.F. nicht mehr darauf ab, ob der Rechtsstreit durch die Berücksichtigung des neuen Vortrags verzögert wird. Die Verfahrensbeschleunigung ist nicht mehr unmittelbares Ziel der Präklusionsregeln (BGH, Beschl. v. 22.1.2004 - V ZR 187/03, BGHReport 2004, 614 = MDR 2004, 700 = WM 2004, 1499 [1501]). Verfahrensverzögerungen kann das Berufungsgericht nach der gem. § 530 ZPO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 296 Abs. 1 und 4 ZPO angemessen entgegentreten. Es ist zudem systematisch verfehlt, im Rahmen des § 531 Abs. 2 ZPO zu prüfen, ob neuer unstreitiger Vortrag eine Beweisaufnahme erforderlich macht. Denn schon bisher war in der Rechtsprechung anerkannt, dass im Berufungsrechtszug unstreitig gewordene Tatsachen, die in erster Instanz bestritten und zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden waren, nicht ausgeschlossen sind, unabhängig davon, ob dies zur Erhebung von Folgebeweisen nötigt (BGH v. 31.1.1980 - VII ZR 96/79, BGHZ 76, 133 [141] = MDR 1980, 393, zu § 528 Abs. 3 ZPO a.F.).
3. Das Berufungsgericht war daher gem. § 529 Abs. 1 ZPO gehalten, seiner Entscheidung die unstreitige Tatsache eines bis zum 31.3.2002 befristeten Verzichts der Beklagten auf die Einrede der Verjährung zu Grunde zu legen. Der neue unstreitige Sachvortrag gehört zu dem in der Berufungsinstanz angefallenen Prozess-Stoff, nicht anders, als dies etwa bei nur dem Berufungsgericht bekannten gerichtskundigen Tatsachen der Fall ist (BT-Drucks. 14/4722, 100). § 529 Abs. 1 ZPO selbst ist keine Präklusionsvorschrift (BT-Drucks. 14/4722, 160).
Somit ist die Klage rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist beim LG eingegangen; sie hat, da sie demnächst zugestellt worden ist, die Verjährung gehemmt. Das Berufungsgericht durfte die Schadensersatzklage, soweit sie den Veranlagungszeitraum 1997 betrifft, nicht wegen Verjährung abweisen.
III.
Das OLG wird nunmehr die von ihm offen gelassene Frage, ob und ggf. in welcher Höhe den Klägern hinsichtlich der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1997 ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zusteht, zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1283911 |
BGHZ 2005, 138 |
BB 2005, 575 |
NJW 2005, 291 |
BGHR 2005, 318 |
FamRZ 2005, 268 |
IBR 2005, 180 |
WM 2005, 99 |
WuB 2005, 261 |
JA 2005, 326 |
MDR 2005, 527 |
MDR 2006, 555 |
BrBp 2005, 212 |
Info M 2005, 106 |
Mitt. 2005, 136 |
ProzRB 2005, 93 |