Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 11.04.2001) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. April 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 11. April 1996 erwarb die Klägerin von der Beklagten ein 15.138 qm großes Grundstück für 2 Mio. DM. § 4 Abs. 10 lautet:
„Bei der Bemessung des Kaufpreises für Grund und Boden sind die Parteien davon ausgegangen, daß für die bauliche Ausnutzung des Kaufgegenstandes eine GFZ von mindestens 0,59 gegeben ist. Sollte eine höhere oder niedrigere GFZ auf dem Grundstück objektiv erzielbar sein und der Käufer diese mit seinem Bauvorhaben ganz oder teilweise ausnutzen, so erhöht bzw. senkt sich der Kaufpreisteil für Grund und Boden gemäß Abs. 1 um DM 33.900 pro GFZ-Veränderung von 0,01, ggf. anteilig. Der Kaufpreis gemäß Abs. 1 beträgt jedoch mindestens DM 1.700.000,00.
GFZ-Veränderungen, die erst nach dem 31.12.2000 eintreten, bleiben unberücksichtigt. Über vor diesem Datum liegende GFZ-Veränderungen hat der Käufer den Verkäufer unaufgefordert unverzüglich zu unterrichten.
…”
In § 5 Abs. 2 heißt es u.a.:
„Der Verkäufer übernimmt für die Beschaffenheit und Verwendbarkeit sowie die Richtigkeit der Grundbuchangaben, für die Größe und Maße der Fläche des Kaufgegenstandes keinerlei Gewähr.”
In §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 4 wurde ein Rücktrittsrecht für Verkäufer und Käufer für den Fall vereinbart, daß auf dem Vermögensgesetz, dem Investitionsvorranggesetz oder auf Restitutionsansprüchen öffentlich-rechtlicher Körperschaften beruhende Hindernisse für den Eigentumsübergang nicht innerhalb einer bestimmten Frist beseitigt werden können.
In § 8 verpflichtete sich die Klägerin zu einer Investition von ca. 20 Mio. DM durch Errichtung von ca. 100 Wohnungen mit ca. 7.600 qm Wohnraum innerhalb von zwei bis vier Jahren nach Erteilung einer rechtskräftigen Baugenehmigung.
Zur Sicherung der Kaufpreisforderung hinterlegte die Klägerin bei dem beurkundenden Notar eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe des Kaufpreises.
Ein Bebauungsplan für das Kaufgrundstück ist noch nicht in Kraft getreten. Deshalb hat die Klägerin ihre Investitionsverpflichtung bisher nicht erfüllt.
Mit der Behauptung, das Bauvorhaben sei endgültig gescheitert, weil der von der Gemeinde bereits beschlossene Bebauungsplan wegen Einwendungen übergeordneter Behörden nicht wirksam werde, hat die Klägerin von der Beklagten verlangt, den Notar zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an die Klägerin zu ermächtigen; außerdem hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 0,75 % Zinsen aus dem Bürgschaftsbetrag seit dem 10. September 1997 beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin die Rückabwicklung des Kaufvertrags weder nach den Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage noch nach den über das Nichterreichen des vereinbarten Zwecks noch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung verlangen, weil die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Rechtsinstitute nicht gegeben seien.
Das hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
II.
1. Dem Berufungsgericht ist schon insoweit nicht zu folgen, als es zunächst eine Rückabwicklung des Kaufvertrags nach den Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage prüft. Erweisen sich, wie hier, die beiderseitigen Vorstellungen der Vertragspartner über die Durchführung eines Bauvorhabens als irrig, ist zunächst zu klären, ob dem Vertrag im Wege der ergänzenden Auslegung zu entnehmen ist, welche Regelung die Parteien getroffen haben würden, wenn sie an ein Scheitern des Bauvorhabens gedacht hätten (Senatsurt. v. 3. Oktober 1980, V ZR 100/79, WM 1981, 14, 15).
2. Soweit das Berufungsgericht das Vorhandensein einer Vertragslücke verneint, ist seine Auslegung fehlerhaft.
a) Die Auslegung einzelvertraglicher Regelungen durch das Berufungsgericht kann von dem Revisionsgericht darauf überprüft werden, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff unberücksichtigt geblieben ist (st. Rspr., s. nur Senatsurt. v. 1. Oktober 1999, V ZR 168/98, WM 1999, 2513, 2514; Senatsurt. v. 22. Juni 2001, V ZR 56/00, Umdr. S. 5 [insoweit nicht in BGH-Report 2001, 817 f abgedruckt]). Insoweit rügt die Revision allerdings ohne Erfolg einen Verstoß gegen die Denkgesetze, weil das Berufungsgericht nicht erkannt habe, daß die Ermittlung des endgültigen Kaufpreises aufgrund der in einem Bebauungsplan festgesetzten GFZ die rechtliche Möglichkeit der Bebauung voraussetze. Das Berufungsgericht hat nämlich zu Recht berücksichtigt, daß der Mindestkaufpreis von 1,7 Mio. DM von der GFZ unabhängig ist. Jedoch gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner (Senatsurt. v. 1. Oktober 1999, aaO). Dagegen hat das Berufungsgericht verstoßen. Seine Auslegung berücksichtigt weder die Interessen der Klägerin noch die der Beklagten ausreichend. Beide Parteien gingen nämlich unstreitig davon aus, daß auf dem Kaufgegenstand ca. 100 Wohnungen errichtet werden können; an einem bloßen Grundstücksgeschäft ohne Bebauungsmöglichkeit für die Klägerin waren sie dagegen nicht interessiert, ohne jedoch für diesen Fall eine Regelung getroffen zu haben.
aa) Der Annahme einer Regelungslücke steht nicht entgegen, daß die Klägerin zwar nach § 8 Abs. 2 des Vertrags zur Rückübertragung des Grundstücks verpflichtet ist, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Erteilung der rechtskräftigen Baugenehmigung die vorgesehenen Baumaßnahmen durchführt, sie aber nicht zur Rückabwicklung des Vertrags im Fall der rechtlichen Undurchführbarkeit des Vorhabens berechtigt ist. Denn aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung kann nicht geschlossen werden, daß die Parteien diesen Punkt in einem bestimmten anderen Sinn geregelt haben. Eine solche Auslegung hätte zur Folge, daß es keine Vertragslücken gäbe und damit für eine ergänzende Vertragsauslegung niemals Raum wäre.
bb) Auch der in § 5 des Vertrags vereinbarte Gewährleistungsausschluß spricht nicht gegen eine Vertragslücke für den Fall der Unbebaubarkeit des Grundstücks. Zwar rügt die Revision insoweit ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe sich verfahrensfehlerhaft nicht mit dem Einwand der Klägerin befaßt, die Klausel in dem ihr vom Berufungsgericht gegebenen Sinn verstoße gegen § 3 AGBG; hierzu enthält das Berufungsurteil auf Seite 6 oben ausreichende Überlegungen. Das Berufungsgericht hat aber übersehen, daß sich der Gewährleistungsausschluß nicht auf die fehlende rechtliche Möglichkeit der Wohnbebauung erstrecken kann. Es ist nämlich weder festgestellt noch sonst ersichtlich, daß nach dem Inhalt des Vertrags die Bebaubarkeit des Grundstücks bereits in dem nach § 459 BGB a.F. maßgeblichen Zeitpunkt des Übergangs der Gefahr auf die Klägerin vorhanden sein sollte. Vielmehr haben die Parteien ihren Überlegungen eine spätere Bebaubarkeit zugrunde gelegt. In einem solchen Fall finden die Vorschriften der §§ 459 ff BGB a.F. von vornherein keine Anwendung (Senatsurt. v. 15. Oktober 1976, V ZR 245/74, WM 1977, 118). Deswegen kann sich der Gewährleistungsausschluß hinsichtlich der Verwendbarkeit des Grundstücks nur auf dessen tatsächliche Beschaffenheit beziehen.
cc) Schließlich steht der Annahme einer Regelungslücke auch nicht der Vortrag der Beklagten entgegen, daß der Kaufpreis dem für Bauerwartungsland ortsüblichen und angemessenen Preis entsprochen habe. Zwar liegt auch beim Kauf von Bauerwartungsland das Risiko einer Enttäuschung der Bauerwartung beim Käufer (Senat, BGHZ 74, 370, 375). Hier besteht aber die Besonderheit, daß nach den Vorstellungen beider Parteien das Risiko der Bebaubarkeit nicht bestand; offen war lediglich das Maß der zulässigen Bebauung. Dieser Fall ist dem Kauf von Bauerwartungsland nicht vergleichbar, denn dort setzen die Vertragspartner die künftige Bebaubarkeit des Kaufgegenstands gerade nicht als sicher voraus. Somit verbietet es sich hier, aus der Höhe des Kaufpreises auf eine Verteilung des Risikos, daß das Grundstück überhaupt bebaut werden kann, zu schließen.
b) Die Auslegung des Berufungsgerichts, aufgrund derer es eine Vertragslücke verneint, hat deshalb keinen Bestand. Weitere tatsächliche Feststellungen kommen nicht mehr in Betracht. Das Revisionsgericht ist damit zu eigener Auslegung befugt (Senatsurt. v. 1. Oktober 1999, aaO). Sie führt dazu, daß die Parteien keine Regelung für den Fall getroffen haben, daß die Bebaubarkeit des Grundstücks aus Rechtsgründen, nämlich dem Scheitern der Aufstellung eines Bebauungsplans, endgültig nicht gegeben ist.
3. Die vom Berufungsgericht unterlassene ergänzende Vertragsauslegung kann der Senat aufgrund der seiner Nachprüfung unterliegenden tatsächlichen Grundlagen (§ 561 ZPO a.F.) nachholen, weil die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen ebenfalls getroffen und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (Senatsurt. v. 12. Dezember 1997, V ZR 250/96, NJW 1998, 1219). Die ergänzende Auslegung des Kaufvertrags ergibt hier, daß er bei fehlender rechtlicher Möglichkeit der Wohnbebauung nicht durchgeführt werden soll. Das führt entsprechend den in §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 4 des Vertrags für andere Fälle des Scheiterns der Wohnbebauung aus Rechtsgründen getroffenen Vereinbarungen zu einem Rücktrittsrecht der Klägerin, dessen Ausübung in der Erhebung der Klage zu sehen ist. Da es sowohl für die Klägerin als auch die Beklagte beim Vertragsschluß entscheidend darauf ankam, daß auf dem Grundstück ca. 100 Wohnungen errichtet werden, wäre eine andere Auslegung weder interessengerecht noch mit Treu und Glauben vereinbar.
4. Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.) und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO a.F.), damit es aufklären kann, ob eine Wohnbebauung auf dem Grundstück endgültig unmöglich ist.
Unterschriften
Wenzel, Tropf, Klein, Lemke, Gaier
Fundstellen