Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. April 1997 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger arbeitete seit 1990 als Tischler im Möbelelementewerk der H-GmbH, die am 31. Dezember 1992 ihre Tätigkeit vollständig einstellte und über deren Vermögen am 5. Februar 1993 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 2. März 1993, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1993, Konkursausfallgeld (Kaug). Entgegen seiner Auffassung berücksichtigte sie bei der Berechnung das 13. Monatseinkommen (Sonderzahlung), das am 1. Dezember 1992 fällig geworden ist, nur zu 3/12.
Grundlage für die Sonderzahlung war der für das Arbeitsverhältnis des geltende „Tarifvertrag über die stufenweise Einführung eines 13. Monatseinkommens (Sonderzahlung) in den Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, im Land Nordrhein-Westfalen für die Landesteile Westfalen und Lippe, für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende, gültig ab 1. Januar 1989, für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie” (TV) ua mit den folgenden einschlägigen Regelungen:
„2. Arbeitnehmer, die am 1. Dezember in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen mindestens 4 Monate angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen als Teil eines 13. Monatsverdienstes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.
3. Die Sonderzahlung wird am 1. Dezember jeden Jahres fällig. Sie beträgt bei vollem Anspruch
eines durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienstes bzw einer monatlichen Ausbildungsvergütung.
4. Der durchschnittliche Brutto-Monatsverdienst wird aus dem Gesamtverdienst der Monate Januar bis September einschließlich (1. Januar bis 30. September) des laufenden Kalenderjahres berechnet.
5. Für die Berechnung des Gesamtverdienstes gelten folgende Grundsätze
- …
- …
- Dem Gesamtverdienst ist hinzuzurechnen Lohn- oder Gehaltsausfall für Fehlzeiten, die von dem Arbeitnehmer nicht zu vertreten sind; dazu gehören Kurzarbeit bis zu 15 Wochen und Ausfallzeiten, die durch Teilnahme an Schulungskursen nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags (MTV) sowie an Tarifverhandlungen entstanden sind. Bei Krankheit, die länger als 4 Monate dauert, wird Lohn- und Gehaltsausfall für dadurch bedingte weitere Fehlzeiten nicht mehr hinzugerechnet. Dies gilt nicht für durch unverschuldete Betriebsunfälle hervorgerufene Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sowie nicht für Arbeitnehmer, die länger als 10 Jahre dem Betrieb ununterbrochen angehören.
6. Der volle Anspruch auf die Sonderzahlung nach Ziffer 3 besteht jeweils für Arbeitnehmer, die am 1. Dezember des laufenden Jahres dem Betrieb mindestens 12 Monate ununterbrochen angehören.
7. …
8. Arbeitnehmer, die dem Betrieb am 1. Dezember des laufenden Jahres weniger als 12 Kalendermonate, jedoch mindestens 4 Kalendermonate angehören, erhalten für jeden Kalendermonat der Betriebszugehörigkeit, die vor dem 1. Dezember liegt, 1/12 der Sonderzahlung. Berechnungszeitraum ist die Beschäftigungszeit, die vor dem 30. September des laufenden Jahres liegt.
9. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung: ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
10. Arbeitnehmer, die vor dem 1. Dezember aufgrund einer fristgemäßen Kündigung des Arbeitgebers oder wegen Bezugs einer Rente aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten für jeden Kalendermonat der Betriebszugehörigkeit im Jahre des Ausscheidens 1/12 der Sonderzahlung. Voraussetzung ist eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 6 Monaten. Angefangene Kalendermonate werden als volle Monate gerechnet, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Monat mindestens 15 Kalendertage bestand. Arbeitnehmer, die aufgrund schuldhaften Verhaltens fristlos entlassen werden, haben keinen Anspruch.
11. …
12. Leistungen des Arbeitgebers, wie Jahresabschlußvergütungen, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Ergebnis- und/oder Umsatzbeteiligungen (keine Provisionen), Treueprämien, die im Laufe des Kalenderjahres ausgezahlt werden, können auf den tariflichen Anspruch angerechnet werden. Das gilt auch für Leistungen dieser Art, auf die der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch hat.”
Das Sozialgericht Oldenburg (SG) hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Juni 1994 abgewiesen, das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) die dagegen eingelegte Berufung mit Urteil vom 29. April 1997 zurückgewiesen: Sonderzahlungen seien zwar nach § 141b Abs 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bei der Berechnung des Kaug grundsätzlich zu berücksichtigen, jedoch nur anteilig, wenn deren Erarbeitung bestimmten Zeiträumen zugeordnet werden könne. Dies sei hier nach Ziff 10 des TV der Fall, wonach bei vorzeitigem Ausscheiden die Sonderzahlung anteilig gewährt werde. Nach dem Gesamtbild der tarifvertraglichen Regelung sei die Sonderzahlung sowohl Arbeitsentgelt als auch eine Prämie für Betriebstreue. Dagegen spreche auch nicht die vom Kläger angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 24. März 1993 – 10 AZR 487/92 –.
Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 141b AFG. Auszugleichen sei das für den Kaug-Zeitraum ausgefallene Arbeitsentgelt, wozu im Kaug-Zeitraum bedingungslos fällig gewordene Sonderzahlungen gehörten. Nach der Fälligkeit sei eine Zuordnung zu einzelnen Monaten nicht mehr möglich und nach dem maßgeblichen Arbeitsvertrag auch nicht mehr zulässig. Liege die Fälligkeit der Sonderzahlung innerhalb des Kaug-Zeitraums und sei damit der Vollanspruch entstanden, sei für eine Zwölftelung der Jahressonderzahlung kein Raum mehr. Der TV, auch nicht dessen Ziff 10, lasse eine Aufteilung nicht zu, sobald der Fälligkeitstag (1. Dezember) erreicht worden sei. Eine andere Sichtweise würde gegen die Richtlinie 80/987/EWG verstoßen. Die danach vom deutschen Gesetzgeber zu schaffenden Garantieeinrichtungen zur Befriedigung „nicht erfüllter Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitraum liegenden Zeitraum betreffen”, seien der Höhe nach nicht limitiert worden. Es widerspräche der Richtlinie, mittelbar durch die Rechtsprechung eine Zahlbetragsbegrenzung einzuführen, worauf die nur anteilige Anerkennung der Jahressonderzahlung hinauslaufe. Bei EG-konformer Auslegung des deutschen Kaug-Rechts sei die Sonderzahlung in voller Höhe zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 29. April 1997 sowie den Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 27. Juni 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. März 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1993 zu verurteilen, dem Kläger die Jahressonderzahlung für 1992 in voller Höhe (12/12) als Konkursausfallgeld anzuerkennen und die Differenz von 9/12 (DM 1.773,81 brutto) auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Niedersachsen vom 29. April 1997 zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für die Zuordnung der Sonderzahlung nach § 141b AFG auf die Fälligkeit nicht ankomme. Wenn der TV bei vorzeitigem Ausscheiden eine Zwölftelung des Anspruchs vorsehe, lasse dies erkennen, daß die Sonderzahlung jeweils monatlich erarbeitet werde und deshalb für das Kaug zu je einem Zwölftel den Monaten des Kaug-Zeitraums anzurechnen sei. Ein Verstoß gegen europarechtliche Bestimmungen sei nicht zu erkennen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Nach § 141b Abs 1 AFG hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a Konkursordnung sein können, § 141b Abs 2 AFG.
Die Jahressonderzahlung ist nur zu 3/12 in die Berechnung des Kaug einzubeziehen.
Sie ist grundsätzlich Arbeitsentgelt iS von § 141b Abs 2 AFG, denn darunter fallen alle Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis, dh alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen (vgl mwN BSG SozR 4100 § 141b Nr 26; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 1). Insoweit entspricht § 141b Abs 2 AFG in der Interpretation durch das BSG in vollem Umfange den Vorgaben des Art 2 Abs 2 und des Art 3 Abs 1 der Richtlinie 80/987/EWG vom 20. Oktober 1980 „zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers” (ABl EG Nr L 283 Nr 20.10, 1980, S 23). Denn nach Art 2 Abs 2 der Richtlinie bleibt das einzelstaatliche Recht ua bezüglich der Begriffsbestimmung „Arbeitsentgelt” unberührt. Welches Arbeitsentgelt überhaupt mittels Kaug geschützt werden soll, bestimmt sich deshalb nicht nach der Richtlinie, sondern allein nach innerstaatlichem Recht bzw der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Streit besteht allein darüber, ob die nach Ziff 3 des TV am 1. Dezember 1992 – also innerhalb des Kaug-Zeitraums – fällig gewordene Sonderzahlung als Arbeitsentgelt (in dem oben definierten weiten Sinn) allein dem Monat Dezember 1992 oder gleichmäßig verteilt dem ganzen Jahr 1992 zuzuordnen ist. Zu dieser Rechtsfrage trifft die Richtlinie 80/987/EWG weder unmittelbar noch mittelbar eine Regelung; ihr sind aber auch keine Auslegungsgrundsätze (zB im Sinne einer Meistbegünstigung) zu entnehmen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG richtet sich die Zuordnung einer im Kaug-Zeitraum fällig gewordenen tarifvertraglich vereinbarten Sonderzahlung danach, ob aus dem TV zu entnehmen ist, daß sich die Sonderzahlung den Monaten des gesamten Jahres oder dem Monat zuordnen läßt, in dem die Zahlung fällig wurde (BSG SozR 4100 § 141b Nrn 8, 40, 42; SozR 3-4100 § 141b Nr 1). Läßt sich eine Zuordnung zu den einzelnen Monaten des Jahres nicht vornehmen, und wird die Sonderzahlung im Kaug-Zeitraum fällig, ist sie beim Kaug in voller Höhe zu berücksichtigen. Umgekehrt wirkt sich die Sonderzahlung nicht erhöhend aus, wenn bei dieser Variante der Fälligkeitszeitpunkt außerhalb des Kaug-Zeitraums liegt. Läßt sich dem TV dagegen entnehmen, daß die Jahressonderzahlung Entgelt für die das ganze Jahr über geleistete Arbeitsleistung ist (zB wenn die Sonderzahlung bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anteilig geleistet wird), dann ist die Sonderzahlung anteilig (dh zu einem Zwölftel je Monat bei Jahressonderzahlungen, für den Kaug-Zeitraum von drei Monaten also zu 3/12) bei der Festsetzung des Kaug zu berücksichtigen, unabhängig davon, wann nach dem TV die Jahressonderzahlung fällig wurde. Bei dieser Variante ist die Sonderzahlung beim Kaug auch dann (anteilig) zu berücksichtigen, wenn das Insolvenzereignis weit vor dem Fälligkeitszeitpunkt eintritt; umgekehrt erfolgt nur eine Anrechnung zu 3/12, wenn der Fälligkeitszeitpunkt in dem Kaug-Zeitraum liegt. Beide Varianten sind, vorausgesetzt sie werden nicht vermengt, mit Blick auf die Finanzierung durch Umlagen kostenneutral. Die Tarifvertragsparteien haben es in der Hand, sich für die eine oder andere Variante zu entscheiden.
Das LSG ist in zutreffender Auslegung des TV zu dem Ergebnis gelangt, daß im vorliegenden Fall die Jahressonderzahlung Entgelt für die das ganze Jahr über erbrachte Arbeitsleistung ist und den einzelnen Monaten zugeordnet werden kann. Dies ergibt sich aus Ziff 2 (Mindestbetriebszugehörigkeit 4 Monate), Ziff 4 (Berechnung aus dem Durchschnittsverdienst Januar bis September), Ziff 6 (voller Anspruch bei mindestens 12 Monaten ununterbrochener Betriebszugehörigkeit), Ziff 8 (anteiliger Anspruch bei Betriebszugehörigkeit von 4-12 Monaten), Ziff 9 (Ausschluß bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses jedoch nur anteilig, wenn das Arbeitsverhältnis während des Kalenderjahres nur anteilig ruht), Ziff 10 (anteilige Leistung, wenn der Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber oder den Bezug einer Rente beendet wurde) und Ziff 12 (nur fakultative Anrechnung von Leistungen, die typischerweise kein Arbeitsentgelt sind, wie Gratifikationen, Treueprämien etc) des TV. Bei einer Gesamtschau dieser Einzelregelungen ist der Schluß gerechtfertigt, daß die Jahressonderzahlung im Geltungsbereich des TV monatlich erarbeitet wird und deshalb dem Lohn des Monats hinzuzurechnen ist, für den sie bestimmt ist. Auf die letzten drei Monate vor dem Konkursereignis entfallen damit 3/12 der Jahressonderzahlung und sind bei der Berechnung des Kaug zu berücksichtigen. Der restliche Teil der Jahressonderzahlung findet dagegen keinen Eingang in die Berechnung.
Die Rechtsprechung des BAG zur Auslegung des TV, insbesondere das Urteil vom 24. März 1993 – 10 AZR 487/92 – (NZA 1993, 1042 f) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. In diesem Verfahren ging es darum, ob der TV nach der Ausnahmeregelung der Ziff 5 Buchst c Satz 3 des TV (bei mehr als zehnjähriger Betriebszugehörigkeit) auch ohne vorangegangene Arbeitsleistung (im Gegensatz zur Regelung der Ziff 5 Buchst c Satz 2 des TV) einen Anspruch auf die Sonderzahlung eröffnet. Dies hat das BAG bejaht und für diesen Kreis der Arbeitnehmer als Grund für die Sonderzahlung nicht die Vergütung der Arbeit, sondern die Honorierung der Betriebstreue in den Vordergrund gestellt. Die Ausnahme der Ziff 5 Buchst c Satz 3 des TV bestätigt aber nur die Regel, daß der TV (jedenfalls vorwiegend) von einer auf Monate aufteilbaren Vergütung für die das ganze Jahr über erbrachte Arbeitsleistung ausgeht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
KTS 1998, 504 |
ZIP 1998, 481 |