Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, durch die ihm Eilrechtsschutz für die Feststellung, dass er für seine beruflichen Tätigkeiten keinen Meisterbrief und keine Eintragung in die Handwerksrolle benötige, verwehrt wurde.
1. Der Beschwerdeführer ist seit 1996 ausgebildeter Zimmermann. Er meldete im Januar 2000 bei der Samtgemeinde B.… ein selbstständiges Gewerbe mit dem Gegenstand “Innenausbau, Handel, Montage und Demontage vorgefertigter Bauelemente” an. Im Mai 2001 trat der Beschwerdeführer die Ausübung dieses Gewerbes an.
Im Juni 2002 verlangten Vertreter von Landkreis und Handwerkskammer Einsichtnahme in seine Unterlagen, um abzuklären, ob der Beschwerdeführer einen Handwerksbetrieb führe. Der Beschwerdeführer verweigerte die Einsichtnahme. Mit Schreiben vom 16. Juli 2002 kündigte der Landkreis dem Beschwerdeführer daraufhin die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen Verweigerung von Auskünften über Art und Umfang des Betriebs gemäß § 17 der Handwerksordnung (im Folgenden: HwO) an.
Schon wenige Tage zuvor hatte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht gegen die Bezirksregierung (der Antragsgegnerin zu 1. des Ausgangsverfahrens) und zusätzlich gegen den Landkreis (den Antragsgegner zu 2. des Ausgangsverfahrens) Feststellungsklage erhoben und zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Im Rahmen des Eilverfahrens beantragte er die vorläufige Feststellung, seine beruflichen Tätigkeiten (Montage von Gipskarton, Holzdeckenvertäfelung, Ausbesserung von Balkonen, Errichtung von Dachstühlen, Einbau von Dachfenstern, Ausbau von Spitzböden und Verlegung von Trockenestrich sowie die Ausführung von Hilfsarbeiten bei der Durchführung von Sollplatten-Fertigung, Fundament-Errichtung und der Errichtung von Betonverschalungen) ohne Meisterbrief und ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausüben zu dürfen. In der Hauptsache ist bislang noch nicht entschieden worden.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lägen nicht vor. Gegenüber der Bezirksregierung fehle es am Feststellungsinteresse, weil der Beschwerdeführer zu der Regierung bislang in keinerlei rechtliche Beziehung getreten sei. Allein aus deren Zuständigkeit für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO ergebe sich das Feststellungsinteresse nicht, zumal der Beschwerdeführer der Ansicht sei, keiner Ausnahmebewilligung zu bedürfen, so dass es auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehle. Gegenüber dem Landkreis bleibe der Beschwerdeführer ebenfalls erfolglos, weil er insoweit eine Vorwegnahme der Hauptsache begehre, ohne dass ihm unzumutbare Nachteile drohten. Es sei ihm nämlich zuzumuten, seine Rechte gegenüber dem Landkreis im angekündigten Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Einlegung der für dieses Verfahren vorgesehenen Rechtsmittel wahrzunehmen. Mit der Beschwerde hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg; das Oberverwaltungsgericht folgte der Auffassung, der Beschwerdeführer könne zur Klärung seiner Berechtigung auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren verwiesen werden.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer neben der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Art. 19 Abs. 4 GG sei schon deshalb verletzt, weil ein Zuwarten auf das angekündigte Ordnungswidrigkeitenverfahren – entgegen der Ansicht beider Gerichte – unzumutbar sei. Ein Handwerker müsse die Frage der Zulässigkeit seiner Tätigkeit ohne entsprechenden Meisterbrief im Vorfeld eines Bußgeldverfahrens gerichtlich klären lassen können, da er anderenfalls mit Repressalien rechnen müsse, die erheblich und existenzvernichtend sein könnten. Für die beantragte Feststellung sei neben dem Landkreis auch die Bezirksregierung die richtige Antragsgegnerin. Sie entscheide, ob eine Ausnahmebewilligung zu erteilen sei, und habe daher auch die Entscheidungskompetenz darüber, welche Tätigkeiten im Handwerk meisterpflichtig seien und welche nicht.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesverwaltungsgericht und die Bezirksregierung Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 BVerfGG liegen vor. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zum effektiven Rechtsschutz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 84, 34 ≪49≫; 94, 166 ≪213≫; 101, 106 ≪122 f.≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt.
a) Der Rechtsschutz, den Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen im Hinblick auf die Wahrung oder Durchsetzung seiner subjektiven öffentlichen Rechte gewährt, verlangt eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Die Gewährleistung schließt einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ein (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪266≫; 101, 106 ≪122 f.≫). Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert damit nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern gewährleistet darüber hinaus auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401 f.≫).
b) Die angegriffenen Entscheidungen halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung anhand dieses Maßstabs nicht stand. Die Gerichte haben dem Beschwerdeführer keinen effektiven Rechtsschutz gewährt.
Durch die beiden angegriffenen Entscheidungen wurde dem Beschwerdeführer einstweiliger Rechtsschutz vollständig verwehrt, indem er auf die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel im angekündigten Bußgeldverfahren verwiesen wurde. Einen im dargelegten Sinne verfassungsrechtlich ausreichenden effektiven Rechtsschutz stellt jedoch in einem Falle wie dem vorliegenden das Bußgeldverfahren nicht dar. Wirkungsvoller Rechtsschutz ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur gewährleistet, wenn der Rechtsweg nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Die Effektivität der Rechtsschutzgewährung durch den Weg zu den Gerichten ist daher (auch) anhand der Frage der Zumutbarkeit für den Einzelnen zu beurteilen (vgl. BVerfGE 10, 264 ≪268≫; 77, 275 ≪284≫, 88, 118 ≪124≫). Dem folgend ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einem Betroffenen nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen auf der Anklagebank erleben zu müssen. Der Betroffene hat vielmehr ein schutzwürdig anzuerkennendes Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als “fachspezifischere” Rechtsschutzform einzuschlagen, insbesondere wenn dem Betroffenen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren droht (vgl. BVerwG, Buchholz 310, § 43 VwGO Nr. 31; BVerwGE 39, 247 ≪248 f.≫).
Diesen Maßstab haben die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen verfehlt, obwohl eine fachgerichtliche Kontrolle bei unbestimmten Rechtsbegriffen in besonderem Maße angezeigt ist. Die Handwerksordnung definiert den Meisterzwang lediglich anhand von Berufs-Oberbegriffen. Welche Tätigkeiten diesen Begriffen und den durch sie beschriebenen Berufsfeldern zuzuordnen sind, ist gesetzlich nicht geregelt und damit der Auslegung durch Behörden und die sie kontrollierenden Verwaltungsgerichte überlassen. Es wäre für Berufstätige mit erheblichen Nachteilen verbunden, müssten sie erst im Bußgeldverfahren klären, ob die ausgeübte berufliche Tätigkeit ohne Eintragung in die Handwerksrolle vorgenommen werden darf. Ihnen stünde der Rechtsweg nur im Zusammenhang mit möglicherweise erheblichen Sanktionen offen. Von einer wirksamen und zumutbaren gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer beruflichen Tätigkeit könnte dann nicht mehr die Rede sein. Sind die Gerichte zur Sachprüfung verpflichtet, können sie sich auch einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren insoweit nicht entziehen.
3. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG rügt, erübrigen sich Ausführungen deshalb, weil hierzu eine gerichtliche Entscheidung in der Sache noch fehlt.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts ergibt sich aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 ≪366 f.≫).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 952195 |
NJW 2003, 2601 |
NVwZ 2003, 856 |
DVBl. 2003, 1344 |