Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständige Einstellung anwaltlicher Tätigkeit als Voraussetzung eines satzungsrechtlichen Anspruchs auf anwaltliche Berufsunfähigkeitsrente
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; VwGO § 133 Abs. 3 S. 3; BRAO §§ 48, 53 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 12.11.2020; Aktenzeichen 8 LB 97/19) |
VG Osnabrück (Entscheidung vom 15.05.2019; Aktenzeichen 6 A 1/19) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. November 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 91 815,36 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Der Kläger beantragte bei dem beklagten Rechtsanwaltsversorgungswerk die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. März 2018. Dieses lehnte den Antrag ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger habe seine berufliche Tätigkeit nicht eingestellt. Das sei aber nach § 14 Abs. 1 Satz 1 der Satzung des Beklagten vom 18. Dezember 2014 - RVS - Voraussetzung für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente.
Rz. 2
Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts gerichtete, allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
Rz. 3
1. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen,
ob es mit der Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist, die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente für Rechtsanwälte von einer Einstellung seiner beruflichen Tätigkeit in dem Sinne abhängig zu machen, dass eine derartige Einstellung nur dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt auch in eigenen Angelegenheiten nicht vor Gericht oder außergerichtlich unter seiner Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" auftritt,
und
ob es mit Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente für Rechtsanwälte von einer Einstellung der beruflichen Tätigkeit in dem Sinne abhängig zu machen, dass eine derartige Einstellung nur dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt auch in eigenen Angelegenheiten nicht vor Gericht oder außergerichtlich unter seiner Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" auftritt,
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Das Berufungsgericht hat seine entscheidungstragende Annahme, der Kläger könne keine Berufsunfähigkeitsrente für den beantragten Zeitraum beanspruchen, auf § 14 Abs. 1 Satz 1 RVS gestützt. Die Richtigkeit der Auslegung dieser irrevisiblen Vorschrift kann nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Rz. 4
Anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger mit seiner Grundsatzrüge geltend macht, die berufungsgerichtliche Auslegung der Satzungsbestimmung stehe mit Art. 12 und 14 GG nicht im Einklang. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung und Anwendung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Mai 2020 - 8 B 61.19 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 200 Rn. 6, vom 16. September 2020 - 8 B 22.20 - ZKF 2021, 89 Rn. 12 und vom 14. April 2021 - 8 B 65.20 - juris Rn. 5). Das leistet die Beschwerdebegründung nicht. Sie zeigt auch nicht auf, dass die Auslegung der einschlägigen Grundsätze des Bundesrechts durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht oder nicht hinreichend ausdifferenziert und entwickelt ist, um einen Maßstab für das Landesrecht abzugeben (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschlüsse vom 30. Mai 2017 - 10 BN 4.16 - juris Rn. 8 und vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - ZfGW 2019, 262 Rn. 6, jeweils m.w.N.). Die Kritik, die berufungsgerichtliche Auslegung der Satzungsbestimmung verletze Art. 12 und 14 GG, genügt dazu nicht.
Rz. 5
Darüber hinaus waren die aufgeworfenen Rechtsfragen für das angegriffene Berufungsurteil nicht entscheidungserheblich und würden sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Berufungsgericht hat das irrevisible Satzungsrecht des Beklagten dahin ausgelegt, dass die für einen Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente erforderliche Einstellung der beruflichen Tätigkeit vorliegt, wenn die Ausübung der Tätigkeit als Rechtsanwalt im Rentenzeitraum vollständig und in nach außen manifestierter Weise aufgegeben wird. Es ist zwar davon ausgegangen, dass die Einstellung jegliche berufliche Tätigkeit betreffen muss und hat auch in der Selbstvertretung, soweit sie unter Hinweis auf die Eigenschaft als Rechtsanwalt erfolgt, eine Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gesehen. Es hat eine Einstellung anwaltlicher Tätigkeit jedoch - unabhängig davon - schon wegen Tätigkeiten - auch - zur Fremdvertretung verneint. Die Tätigkeit des Klägers im Verfahren - 4 BN 46.15 - vor dem Bundesverwaltungsgericht hat es nicht nur als Selbstvertretung, sondern zugleich auch als Fremdvertretung im Interesse der vom Kläger vertretenen Eigentümergemeinschaft gewertet. Auch seine Tätigkeit für die A. GbR hat das Berufungsgericht als Ausübung des Rechtsanwaltsberufs nicht für sich selbst, sondern zugunsten der von Familienangehörigen des Klägers gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingeordnet.
Rz. 6
2. Die weitere Frage,
ob die Bestellung eines Vertreters nach § 53 Abs. 1 und 2 BRAO auch dann erforderlich ist, wenn ein Rechtsanwalt, der keine fremden Mandate eingeworben hat und deswegen keine fremden Mandate betreut, für einen längeren Zeitraum erkrankt,
ist in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie war für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich. Der Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente besteht nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVS in der für das Revisionsgericht bindenden Auslegung dieser irrevisiblen Vorschrift durch das Berufungsgericht nur, wenn der Anspruchsteller die Einstellung des Rechtsanwaltsberufs nach außen manifestiert hat. Eine Bestellung eines Vertreters gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO - hat es dazu nicht unbedingt, sondern nur im Regelfall für erforderlich erklärt. Alternativ hat es auch andere Möglichkeiten, die Einstellung der anwaltlichen Tätigkeit nach außen zu dokumentieren - wie etwa den Verzicht auf die Anwaltszulassung -, genügen lassen. Darüber hinaus hat es unabhängig von diesen Anforderungen auf die selbstständig tragende Erwägung abgestellt, der Kläger habe im maßgeblichen Zeitraum zum Rechtsanwaltsberuf gehörende Tätigkeiten verrichtet, die anwaltliche Tätigkeit also gerade nicht eingestellt.
Rz. 7
Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist außerdem ohne Weiteres mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 ≪270≫) bejahend zu beantworten. Schon der Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO legt nahe, dass die Bestellung eines Vertreters auch dann erforderlich ist, wenn der für längere Zeit erkrankte Rechtsanwalt keine fremden Mandate betreut, sondern nur in eigenen Angelegenheiten als Rechtsanwalt auftritt. Die Vorschrift knüpft die Verpflichtung zur Vertreterbestellung nicht an das Vorliegen eines konkreten Risikos, dass der Rechtsanwalt in Verfahren, in denen er auftritt, angesprochen und von ihm ein Tätigwerden verlangt wird, sondern allgemein daran, dass er gehindert ist, seinen Beruf auszuüben. Dieses Ergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 3/120 S. 80) und den Zweck der Vorschrift bestätigt. Sie soll die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dadurch sichern, dass die Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO) für Mandanten, Behörden und Gerichte stets ansprechbar sind. Ist ein Rechtsanwalt krankheitsbedingt länger als eine Woche daran gehindert, muss ein Vertreter die Ansprechbarkeit sicherstellen. Auf die Frage, ob der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt seiner Erkrankung fremde Mandate betreut, kommt es schließlich auch deswegen nicht an, weil ihm solche, solange seine Zulassung besteht, stets zugeteilt werden können (vgl. § 48 BRAO), mithin jederzeit Ansprachebedarf entstehen kann.
Rz. 8
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15159733 |