Rz. 8

Der Erbe ist nicht unbekannt i.S.d. Abs. 1 S. 2, wenn nach den klaren tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Nachlasspflegers mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist.[10] Das gilt auch dann, wenn vor einem anderen Gericht Klage auf Feststellung des Erbrechts erhoben worden ist[11] oder wenn ein Erbschein noch nicht erteilt worden ist.[12] Auch wenn das Erbscheinsverfahren noch schwebt, die Person aber feststeht und die Annahme der Erbschaft konkludent durch Beantragung des Erbscheins erklärt hat, ist der Erbe bekannt.[13] Sofern ein Erbschein erteilt ist, schließt schon dessen Vermutungswirkung i.d.R. das Unbekanntsein des Erben aus.[14] Ist ein erteilter Erbschein wieder eingezogen worden, so kann der Erbe unbekannt sein.[15]

 

Rz. 9

Unbekannt ist der Erbe, wenn ungewiss ist, ob der zum Erben Berufene den Erblasser überlebt hat. Auch dann ist von einem Unbekanntsein auszugehen, wenn mehrere Personen als Erbe in Betracht kommen und der Tatrichter sich nicht ohne umfängliche Ermittlungen überzeugen kann, wer von ihnen Erbe geworden ist,[16] etwa weil Verwandte bekannt sind, aber nicht bekannt ist, ob gleich nahe oder nähere Verwandte vorhanden sind.[17] Gleiches gilt, wenn die Verwandtschaft einer Person mit dem Erblasser zweifelhaft ist, z.B. vor der Anerkennung oder gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes,[18] oder wenn im Zeitraum des Erbfalls der Erbe bereits gezeugt, jedoch noch nicht geboren ist.[19] Des Weiteren kann der Erbe unbekannt sein, wenn keine Klarheit darüber besteht, ob eine Verfügung von Todes wegen getroffen wurde. Dasselbe gilt, wenn deren Wirksamkeit ernsthaft zweifelhaft ist, so z.B., wenn mehrere sich widersprechende Testamente vorliegen und nicht eindeutig geklärt werden kann, welches gültig ist, oder weil die Testierfähigkeit des Erblassers in Frage steht[20] oder Erbunwürdigkeitsklage erhoben worden ist[21] (Erbprätendentenstreit). Bloße Zweifel an der Gültigkeit eines Testaments genügen allerdings genau so wenig wie die Möglichkeit einer Testamentsanfechtung bzw. einer Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit. Ist die Anfechtung ernsthaft angekündigt und nur wegen laufender strafrechtlicher Ermittlungen[22] oder der noch ausstehenden, aber sicheren gerichtlichen Anerkennung der Vaterschaft[23] noch nicht erhoben, so kann diese Möglichkeit der Anfechtung für ein Unbekanntsein des Erben ausreichen.

 

Rz. 10

Ein Unbekanntsein i.S.d. Abs. 1 S. 2 liegt nicht schon deshalb vor, weil allein der Aufenthalt des Erben ungewiss ist. In diesem Fall kommt die Bestellung eines Abwesenheitspflegers nach § 1911 BGB in Betracht.[24] Zu beachten ist allerdings, dass bei unbekanntem Aufenthalt des Erben i.d.R. auch eine Ungewissheit über die Erbschaftsannahme besteht und aus diesem Grunde nachlasssichernde Maßnahmen zulässig sind. Nicht unbekannt i.S.d. Abs. 1 S. 2 ist der Erbe, wenn bei Anordnung einer Nacherbschaft die als Nacherbe bestimmte Person nicht bekannt ist, der Nacherbfall jedoch noch nicht eingetreten ist.[25] Denn bis zu diesem Zeitpunkt ist der Vorerbe Rechtsnachfolger des Erblassers und hat für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen.

[10] KG Berlin v. 24.2.1998 – 1 W 364/98, ZEV 1998, 260 m.w.N.; OLG München v. 10.10.2005 – 31 Wx 068/05, Rpfleger 2006, 17; OLG Frankfurt v. 23.11.2004 – 20 W 91/04, OLGReport Frankfurt 2005, 442 ff.
[11] OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2005, 442 ff.
[12] KG Berlin ZEV 1998, 260 ff.; OLG Frankfurt FamRZ 1994, 265 f.; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2005, 442 ff.; OLG München NJW-RR 2006, 80 ff.
[13] OLG Oldenburg Rpfleger 1966, 18 f.
[14] BayObLGZ 1962, 299 ff., 307; BayObLG ZEV 2003, 202, hier zur Aufhebung einer Nachlasspflegschaft nach Erteilung des Erbscheins.
[15] BayObLGZ 1962, 299 ff., 307.
[16] BGH v. 17.7.2012 – IV ZB 23/11, ZEV 2013, 36; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2005, 442 ff.; BayObLG NJOZ 2004, 3080 ff.
[17] Siehe auch KG Berlin OLGE 42, 131 f. zur Frage, inwieweit außergerichtlicher Vergleich mehrerer Erbanwärter die Ungewissheit hinsichtlich der Erbenstellung beseitigt.
[19] Siehe Mot. V, S. 543.
[25] Vgl. OLG Oldenburg Rpfleger 1966, 18 f.

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