Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsklage. Auswärtiges Handeln der Europäischen Union. Festlegung des Standpunkts, der im Namen der Union in einem durch eine internationale Übereinkunft eingesetzten Gremium zu vertreten ist. Revisionsausschuss der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF). Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und seiner Anhänge. Zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit. Außenkompetenz der Union in einem Bereich, in dem sie noch keine gemeinsamen Regeln erlassen hat. Gültigkeit des Beschlusses 2014/699/EU. Begründungspflicht. Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit
Normenkette
AEUV Art. 216 Abs. 1, Art. 218 Abs. 9
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Rat der Europäischen Union |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
3. Die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 22. Dezember 2014,
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
Klägerin,
unterstützt durch
Französische Republik, vertreten zunächst durch D. Colas, G. de Bergues und M. Hours, dann durch D. Colas und M.-L. Kitamura als Bevollmächtigte,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch C. Brodie, M. Holt und D. Robertson als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, QC,
Streithelfer,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch E. Finnegan, Z. Kupčová und J.-P. Hix als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Europäische Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, W. Mölls und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça, J. Malenovský und C. Vajda (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und M. Vilaras,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2016,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. April 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage begehrt die Bundesrepublik Deutschland die teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses 2014/699/EU des Rates vom 24. Juni 2014 zur Festlegung des im Namen der Europäischen Union anlässlich der 25. Sitzung des OTIF-Revisionsausschusses zu bestimmten Änderungen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und seiner Anhänge zu vertretenden Standpunkts (ABl. 2014, L 293, S. 26, im Folgenden: angefochtener Beschluss).
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
COTIF
Rz. 2
Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9. Mai 1980 in der Fassung des Änderungsprotokolls von Vilnius vom 3. Juni 1999 (im Folgenden: COTIF) trat am 1. Juli 2006 in Kraft. Die 49 Staaten, die Parteien des COTIF sind und zu denen alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme der Republik Zypern und der Republik Malta gehören, bilden die Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF).
Rz. 3
Nach Art. 2 § 1 COTIF ist es Ziel der OTIF, den internationalen Eisenbahnverkehr in jeder Hinsicht zu fördern, zu verbessern und zu erleichtern, indem sie insbesondere einheitliche Rechtsordnungen für verschiedene den internationalen Eisenbahnverkehr betreffende Rechtsbereiche aufstellt.
Rz. 4
In Art. 6 „Einheitliche Rechtsvorschriften”) COTIF heißt es:
„§ 1
Sofern keine Erklärungen oder Vorbehalte gemäß Artikel 42 § 1 Satz 1 abgegeben oder eingelegt worden sind, finden im internationalen Eisenbahnverkehr und bei der technischen Zulassung von Eisenbahnmaterial zur Verwendung im internationalen Verkehr Anwendung:
…
b) die ‚Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM)’, Anhang B zum [COTIF],
…
d) die ‚Einheitlichen Rechtsvorschriften für Verträge über die Verwendung von Wagen im internationalen Eisenbahnverkehr (CUV)’, Anhang D zum [COTIF],
e) die ‚Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr (CUI)’, Anhang E zum [COTIF],
…
§ 2
Die in § 1 genannten Einheitlichen Rechtsvorschriften und Rechtsordnungen sind mit ihren Anlagen Bestandteil des [COTIF].”
Rz. 5
Art. 12 § 5 COTIF lautet:
„Eisenbahnfahrzeuge können in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem der Halter seinen Sitz hat, nur auf Grund einer Entscheidung der Gerichte dieses Staates mit Arrest belegt oder gepfändet werden. Der Ausdruck ‚Halter’ bezeichnet denjenigen, der als Eigentümer oder sonst Ve...