Gabriele Ey
Eigentlich wollte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spätestens zum Ende der Sommerpause drei große familienrechtliche Gesetzentwürfe vorlegen, wie er noch im August 2024 angekündigt hat. Nachdem er zunächst für das Unterhaltsrecht im August 2023 und dann für Abstammungs- und Kindschaftsrecht im Januar 2024 sog. Eckpunktepapiere vorgestellt hatte, herrschte lange Rätselraten um das Schicksal der Gesetzgebungsvorhaben.
Nun scheint Bewegung in die Dinge gekommen zu sein. Das BMJ hat inzwischen Gesetzentwürfe erarbeitet, die bisher innerhalb der Bundesregierung noch nicht abschließend abgestimmt und bis Redaktionsschluss dieses Heftes der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich gemacht worden sind. Die Entwürfe sind Anfang Oktober den Ländern zugeleitet worden zusammen mit einer Einladung an die Justizverwaltungen zu einer Besprechung in Berlin am 25.10.2024. Dadurch soll der Gesetzgebungsprozess beschleunigt werden. Der Deutsche Anwaltverein begrüßt durch seine Vorsitzende Eva Becker die Vorlage der längst überfälligen Gesetzentwürfe (DAV, Statement v. 7.10.2024).
Im Abstammungsrecht ist die Möglichkeit der abstammungsrechtlichen Zuordnung eines Kindes zu zwei Müttern sowie von rechtssicheren Vereinbarungen über die zweite Elternstelle vor der Zeugung eines Kindes vorgesehen. Bei der Vaterschaftsanfechtung soll das Familiengericht prüfen, ob bei Bestehen einer schutzwürdigen sozial-familiären Beziehung zum bisherigen rechtlichen Vater das Interesse an der Anfechtung der Vaterschaft das Interesse an dem Fortbestand der Vaterschaft überwiegt. Bei nicht miteinander verheirateten Eltern soll das gemeinsame Sorgerecht automatische Folge einer Vaterschaftsanerkennung sein, wenn nicht ein Elternteil der gemeinsamen Sorge innerhalb eines Monats widerspricht. Den verschiedenen Betreuungsmodellen sollen neue Regelungen im Umgangsrecht Rechnung tragen. Die Möglichkeit von Elternvereinbarungen zum Sorge- und Umgangsrecht soll erweitert werden. Gestärkt werden soll die Rechtsposition von Kindern. Im Unterhaltsrecht soll abweichend vom bisherigen Eckpunktepapier entsprechend der hierzu vorgetragenen Kritik nicht mehr nur das asymmetrische Wechselmodell (Betreuung von mehr als 29 % bis unter 50 %), sondern neben dem Residenzmodell auch das symmetrische Wechselmodell (hälftige Betreuung) gesetzlich geregelt werden.
Ob die von Buschmann erhoffte Dynamik im Gesetzgebungsprozess eintritt, wird auch von der Entwicklung der allgemeinen politischen Lage abhängen. Die Zeit für ein sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren innerhalb der verbleibenden Legislatur dürfte knapp werden. Es gibt an vielen Stellen noch erheblichen Diskussionsbedarf. Gelingt es nicht, die für diese umfassende Reform notwendige Abstimmung zu erreichen, müssten zumindest die verfassungsrechtlich notwendigen gesetzgeberischen Schritte zeitnah getan werden.
Ein weiterer Schwerpunkt auf der Agenda des BMJ ist die Beschleunigung der Digitalisierung in der Justiz, die auch Bedeutung für das familiengerichtliche Verfahren hat. Da nach einer vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie der Rückgang der Zivilverfahren auch auf eine unzulängliche digitale Ausstattung der Justiz und eine fehlende digitale Kompetenz bei den Gerichten zurückzuführen ist, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz v. 16.7.2024 (BGBl 2024 I Nr. 234) praktisch wichtige Änderungen im Verfahrensrecht vorgesehen. Das Gesetz ermöglicht die (notwendige) Hybridaktenführung und sieht eine Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen vor, die in elektronisch bei Gericht eingereichten Schriftsätzen enthalten sind, die Einführung der Textform für die anwaltliche Vergütungsberechnung und Ausnahmen von der elektronischen Aktenübermittlung bei umfänglichen Akten. Mit dem Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten v.15.7.2024 (BGBl 2024 I Nr. 237) werden die Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik auch im familiengerichtlichen Verfahren erweitert. Der notwendige Digitalisierungsprozess in der Justiz wird von einer breit angelegten Digitalisierungsinitiative von Bund und Ländern begleitet und hat damit auch für das familiengerichtliche Verfahren Fahrt aufgenommen.
Autor: Gabriele Ey
Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am OLG a.D., Bonn
FF 11/2024, S. 425