Entscheidungsstichwort (Thema)

Einbürgerungsanspruch bei gemeinsamem Sorgerecht. Einbürgerung. Gemeinsame elterliche Sorge. Privilegierung von Sorgeberechtigten ausländischer Staatsangehörigkeit. Staatsangehörigkeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Voraussetzung der „Sorge für die Person eines Kindes” im Sinne des § 9 Abs. 2 StAG ist erfüllt, wenn der ausländische Elternteil Inhaber des gemeinsamen Sorgerechts im Sinne des § 1626 BGB ist.

2. Die vertragliche Ausgestaltung des gemeinsamen Sorgerechts in einer Form, die zur Ausübung der wesentlichen Elemente der elterlichen Sorge nur durch den Elternteil deutscher Staatsangehörigkeit führt, stellt als Extremfall eines faktischen Ausschlusses des nur noch formal bestehenden gemeinsamen Sorgerechts die Ausnahme von dem gesetzgeberisch vorgesehenen „Soll” der Einbürgerung dar.

 

Normenkette

StAG § 9 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.03.2003)

VG Gießen (Aktenzeichen 10 E 4120/02)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 5. März 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls der Kostengläubiger nicht seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1973 in Cermik (Türkei) geborene Kläger reiste am 27. März 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und betrieb zunächst ein Asylverfahren, das nach Klagerücknahme mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 12. Oktober 1999 aufgrund des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. Mai 1992 rechtskräftig abgeschlossen wurde. Am 31. Januar 1997 schloss er die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen; seit dem 28. Februar 1997 ist er ohne Unterbrechung im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung und berufstätig. Am 12. Oktober 1997 wurde ein eheliches Kind geboren.

Unter dem 11. Februar 2000 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Einbürgerung als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen und erhielt mit Schreiben vom 10. Juli 2001 eine Einbürgerungszusicherung für den Fall des Nachweises des Verlusts der türkischen Staatsangehörigkeit sowie daneben Hinweise auf die Verpflichtung zur Mitteilung von Änderungen in seinen persönlichen Lebensumständen. Unter dem gleichen Datum erhielt das Regierungspräsidium Gießen eine Mitteilung der Stadt A-Stadt über eine am 2. Oktober 2000 vom Kläger abgegebene Erklärung über die Trennung von seiner Ehefrau und das seitherige Getrenntleben. Der Beklagte hörte den Kläger daraufhin mehrfach zur beabsichtigten Ablehnung der Einbürgerung an. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 14. März 2002 wurde die Ehe geschieden und in einem Vergleich das gemeinsame Sorgerecht für den Kläger und seine frühere Ehefrau mit der Maßgabe bestimmt, dass Betreuung und Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind der früheren Ehefrau des Klägers obliegen.

Mit Bescheid vom 23. September 2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf Einbürgerung mit der Begründung ab, dass diese weder nach § 85 AuslG noch nach § 9 StAG infrage komme. Da der Kläger sich noch nicht acht Jahre rechtmäßig in Deutschland aufhalte, könne eine Einbürgerung nur gemäß § 9 StAG erfolgen. Hierfür fehle es jedoch an den erforderlichen Voraussetzungen, denn die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen sei mittlerweile geschieden und dem Kläger nicht, wie es nach § 9 Abs. 2 StAG erforderlich sei, das alleinige Sorgerecht übertragen worden. Ein Rückgriff auf die Ermessenseinbürgerung gemäß § 8 StAG komme nicht in Betracht, da die nach den Verwaltungsvorschriften hierfür erforderliche Aufenthaltsdauer von acht Jahren nicht erreicht werde und keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 35 AuslG erteilt worden sei.

Gegen den am 25. September 2002 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 14. Oktober 2002 Klage erhoben. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, dass nach Änderung des Kindschaftsrechts bei Ehescheidung das gemeinsame Sorgerecht den Regelfall darstelle und dem sorgeberechtigten Elternteil die gleichen Pflichten auferlege wie dem allein sorgeberechtigten Elternteil. Das gemeinsame Sorgerecht erfülle demnach die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 StAG.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Aufhebung des Bescheids vom 23. September 2002 in den deutschen Staatsverband einzubürgern,

hilfsweise,

seinen Antrag auf Einbürgerung vom 11. Februar 2000 nach Auffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 5. März 2003 hat das Verwaltungsgericht Gießen die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Einbürgerung zu, da das gemeinsame Sorgerecht für das eheliche Kind nicht für eine Privilegierung im Sinne von § 9 Abs. 2 StAG...

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