Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Einstellungsanspruch bei Verletzung der Verfahrensgrundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG. Rechtsfolge bei Vereitelung des einstweiligen Rechtsschutzes durch den Arbeitgeber. Darlegungs- und Beweislast im Konkurrentenstreit. Dokumentationsgebot und Transparenz der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verletzung der aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Verfahrensgrundsätze begründet regelmäßig keinen Einstellungsanspruch, sondern lediglich einen Anspruch des nicht berücksichtigten Bewerbers auf Fortführung des ursprünglichen Auswahlverfahrens nach Maßgabe von Art. 33 Abs. 2 GG; es geht - anders als im Beamtenrecht - nicht um eine Neubescheidung, sondern um eine Wiederholung der Auswahlentscheidung. Der Bewerbungsverfahrensanspruch verdichtet sich nur dann zu einem Besetzungsanspruch, wenn das Auswahlverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen wurde und die Auswahl nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG zugunsten des Anspruchstellers ausgefallen ist oder hätte ausfallen müssen.
2. Ist die Stelle bereits besetzt, so scheidet ein Anspruch auf Einstellung grundsätzlich aus. Etwas anderes gilt aber, wenn der Arbeitgeber es vereitelt hat, dass der unterlegene Bewerber einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen konnte.
3. Die Darlegungs- und Beweislast im Konkurrentenstreit liegt grundsätzlich bei dem klagenden Bewerber. Das Dokumentationsgebot ist für die Transparenz der Auswahlentscheidung aber unverzichtbar. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Verpflichtung, so verlagert sich die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber (Anschluss an LAG Sachsen 8. Juli 2011 - 3 Sa 507/10 - Juris; Hess. LAG 23. April 2010 - 19/3 Sa 47/09 - Rn. 48 ff., Juris; LAG Baden-Württemberg 3. Juli 2009 - 9 Sa 56/08 - Rn. 46, Juris).
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; WissZeitVG § 2; BGB § 162; ZPO § 894; GG Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4; WissZeitVG § 5; DSGVO Art. 15; ZPO § 138
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 15.04.2021; Aktenzeichen 10 Ca 174/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 15. April 2021 - 10 Ca 174/20 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, mit dem Kläger ein auf fünf Jahre befristetes Arbeitsverhältnis abzuschließen, in dem die Beklagte den Kläger, entsprechend der in der Anlage K2 näher bezeichneten und zum Gegenstand des Klageantrages gemachten Stellenausschreibung mit der Referenznummer xxxx, in Vollzeit in dem ALICE (A Large Ion Collider Experiment) Department der Beklagten sowie nach den Bestimmungen des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) beschäftigt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ¼ und die Beklagte ¾ zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Auskunftsverpflichtung nach der Datenschutzgrundverordnung (kurz: DSGVO) und über die Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle im öffentlichen Dienst im Rahmen einer Konkurrentenstreitigkeit.
Die Beklagte ist eine mit öffentlichen Forschungsgeldern finanzierte Forschungseinrichtung mit dem Schwerpunkt der Schwerionenforschung mit Sitz in A. Sie ist Mitglied in der B und verfolgt satzungsgemäß langfristige Forschungs- und Bildungsziele des Staates. Ihr Zweck ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung. Sie verfolgt keine erwerbswirtschaftlichen Zwecke. Die Anteile der Beklagten gehören zu 90% der Bundesrepublik Deutschland und zu 10% den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Sie arbeitet mit Universitäten, ausländischen Partnern und Partnern aus der Wirtschaft zusammen und erhält Zuwendungen von verschiedenen Trägern, vorrangig von der Bundesrepublik Deutschland.
Der Kläger ist ausgebildeter Kernphysiker mit dem Schwerpunktbereich der Hochenergiephysik, wegen der Einzelheiten seines Werdegangs wird auf den Lebenslauf des Klägers, Bl. 23 - 26 der Akte, verwiesen. Er war bei der Beklagten in der Zeit von August 2003 bis Mai 2008 als Doktorand/wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt. In der Zeit von Februar 2010 bis Juni 2017 war er zunächst bis Juni 2013 als Postdoktorand und sodann als Projektwissenschaftler an der C - angestellt. Dort arbeitete er bei dem sog. STAR-Projekt mit, das die Erforschung kollidierender Ionen zum Inhalt hatte. Seit September 2017 war er bei der Universität D am Lehrstuhl von Frau E angestellt. Frau E ist seit 2000 Projektleiterin innerhalb des sog. ALICE-Experiments. Im Jahr 2021 ist er Vater eines sechsjährigen Sohnes.
Die Beklagte schrieb unter der Nummer xxxx eine Stelle (tenure-track-Verfahren zur Festanstellung) als Physiker in dem sog. ALICE Department aus (Bl. 27 - 29 der Akte, deutsche Übersetzung Bl. 198 f. der Akte). Bei dem Projekt ALICE, was für A Large Ion Collider Experiment steht, geht es - in groben Zügen - darum, dass Ionen im Teilchenbeschleuniger aufeinander geschossen werden. Die Vergütung sollt...