Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag eines Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes auf Untersagung eines Streiks im Güter- und Personalverkehr
Leitsatz (redaktionell)
Aus § 62 Abs. 2 ArbGG lässt sich entnehmen, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung auch im Bereich des Arbeitskampfs in Betracht zu ziehen ist. Dass eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, einer Befriedigungsverfügung gleichkommt. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Die Untersagung einer Streikmaßnahme kann im einstweiligen Verfügungsverfahren lediglich dann erfolgen, wenn sie rechtswidrig ist und dies glaubhaft gemacht ist. Die beantragte Untersagungsverfügung hat zum Schutz des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile geboten und erforderlich zu sein.
Normenkette
TVG § 4a Abs. 2 S. 2; ArbGG § 62 Abs. 2; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.03.2024; Aktenzeichen 12 Ga 37/24) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. März 2024 - 12 Ga 37/24 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Untersagung eines Streiks, der bezogen auf den Güterverkehr ab 12. März 2024 um 18 Uhr und bezogen auf den Personenverkehr ab 13. März 2024 um 2:00 Uhr stattfinden soll, im Wege einer einstweiligen Verfügung.
Bei der klagenden Partei handelt es sich um den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der A, im Folgenden Verfügungsklägerin), dem eine Vielzahl von Unternehmen des B-Konzerns, darunter alle im Antrag genannten B-Unternehmen, als Mitglieder angehören. Sie schließt seit vielen Jahren die Tarifverträge für diese B-Unternehmen ab.
Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich um die C, die auch schon in der Vergangenheit Tarifverträge mit der Verfügungsklägerin abgeschlossen hat. Sie organisiert einen Teil der bei den Bahnunternehmen tätigen Lokomotivführer und des weiteren Zugpersonals sowie nunmehr auch einen geringen Teil anderer Arbeitnehmer.
Die Verfügungsbeklagte kündigte die weitaus überwiegende Anzahl der mit der Verfügungsklägerin für die Unternehmen des B-Konzerns geschlossenen Tarifverträge. Die Kündigungen erfolgten zum 31. Oktober 2023.
Nicht gekündigt wurde der Tarifvertrag über persönliche Fahrvergünstigungen für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des B-Konzerns (kurz: KonzernFahrvergTV), der bestimmte Regelungen zu der Sachmaterie von Fahrvergünstigungen zu Gunsten der Arbeitnehmer enthält.
Die Vergütungsbeklagte hat mit Schreiben vom 29. September 2023 35 Forderungen für die Tarifrunde 2023/2024 erhoben. Unter Nr. 10 war die Forderung nach einem vom Arbeitgeber finanzierten Deutschland-Ticket erhoben worden. Unter Nr. 20 war die Forderung nach dem Abschluss eines "Tarifvertrags über ein Sonderkündigungsrecht (KündigungsTV GDL AGV MOVE)" erhoben worden. Dieses Kündigungsrecht sollte von der C mit sofortiger Wirkung im Hinblick auf alle mit der Verfügungsklägerin abgeschlossenen Tarifverträge dann ausgeübt werden können, wenn sich ein Arbeitgeber unter Berufung auf § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG weigerte, die Tarifverträge in seinem Betrieb auf die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Wegen der Einzelheiten des Forderungsschreibens wird auf die Anl. Ast3 verwiesen. Später kam noch eine weitere Forderung, die mit gesondertem Schreiben erhoben worden ist, hinzu.
Am 14. November 2023 fasste die Tarifkommission der Verfügungsbeklagten einen Streikbeschluss. Diesen übermittelte sie mit Schreiben vom gleichen Tag ("Streikmitteilung"). Dieses Schreiben enthielt auch die Streikforderung nach einer Inflationsausgleichsprämie, die anderen zuvor erhobenen Forderungen in Bezug auf die Abbedingung des Grundsatzes der Tarifeinheit und nach einem deutschlandweiten Ticket finden sich dort nicht mehr wieder. Es enthielt ferner den Zusatz, dass vorstehend nicht genannte Forderungen oder Teilforderungen aus dem Schreiben vom 29. September 2023 und 8. November 2023 mit diesem Arbeitskampf nicht verfolgt würden (Anl. Ast8).
Im Vorfeld kam es zu Warnstreiks am 15. und 16. November 2023, ferner am 7. und 8. Dezember 2023.
Anlässlich der Verhandlungen am 23./24. November 2023 fragte Herr D, Hauptgeschäftsführer der Verfügungsklägerin, den Geschäftsführer der Tarifabteilung der Verfügungsbeklagten, Herr E, ob die Verhandlungen sich nun auf alle 36 Forderungen erstreckten oder auf Basis der verbliebenen acht Forderung. Herr F, stellvertretender Bundesvorsitzende der Verfügungsbeklagten, erwiderte, dass die Verhandlungen auf Grundlage aller 36 Forderungen weitergeführt würden. Auf eine Nachfrage von Herrn D, ob der Antragsteller die Streikmitteilung vom 4. November 2023 dahin interpretieren könne, dass der Tarifkonflikt weiterhin alle 36 Forderung umfasse, reagierte Herr F nicht. An diesem...