Entscheidungsstichwort (Thema)
Ortsvorsteher. Beschäftigung. Sozialversicherungspflicht. Ehrenamtliche Tätigkeit. Aufwandsentschädigung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Ehrenbeamter steht nur dann in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, wenn er über Repräsentationsaufgaben hinaus weisungsabhängig Verwaltungsaufgaben wahrnimmt und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende Vergütung erhält. Die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben muss die Tätigkeit prägen. Gemessen hieran übt ein Ortsvorsteher nach dem hessischen Kommunalverfassungsrecht keine Beschäftigung aus.
Normenkette
SGB IV § 5 Abs. 2 S. 1, § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 2 S. 1; SGB V § 7 Abs. 2; HGO §§ 27, 82
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. April 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit der Ortsvorsteher der Klägerin in Höhe von 2.622,94 DM (1.341,08 €).
Die Klägerin ist eine kommunale Gebietskörperschaft. Bei ihr fand vom 21. bis 24. Februar 2000 eine Betriebsprüfung statt mit dem Ergebnis, dass die Beklagte eine Nachberechnung der Sozialversicherungsbeiträge für die Ortsvorsteher der einzelnen Ortsbezirke für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 1999 vornahm. Mit Bescheid vom 2. Juni 2000 forderte die Beklagte 4.777,01 DM nach. Hierin enthalten waren Sozialversicherungsbeiträge (2.622,94 DM) für 12 Ortsvorsteher, die Beamte im Ruhestand, Rentner oder Ortsvorsteher im Nebenberuf waren. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass die Ortsvorsteher in der Regel ehrenamtlich tätig seien, jedoch seien zu ihren Aufgaben auch Verwaltungsaufgaben zu rechnen. Die Aufwandsentschädigung oberhalb der steuerlichen Freigrenze sei deshalb sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt. Die den steuerlichen Freibetrag von 175,00 DM übersteigenden Aufwandsentschädigungen seien auch ordnungsgemäß versteuert worden. Da der übersteigende Betrag die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteige, liege bis zum 31. März 1999 Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung vor. Für die Zeit ab 1. April 1999, nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, müssten allerdings Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, da nach ihrer Ansicht keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse vorlägen. Sie verwies auf Urteile des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Februar 1995 (S 10 KR 539/93) und vom 24. Juni 1996 (S 10 KR 539/93). Die Mitglieder des Ortsbeirates - hier Ortsvorsteher - erhielten nur eine Entschädigung als ehreamtlich Tätige. Es gäbe somit kein abhängiges sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Außerdem handele es sich um eine geringfügige Beschäftigung. Sie legte eine “Aufstellung der Ortsvorsteher„ vor, aus der sich die monatlichen Aufwandsentschädigungen und die Tätigkeit als Verwaltungsaußenstellenleiter ergibt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2001 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Ortsvorsteher von Gemeinden grundsätzlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stünden und damit der Sozialversicherungspflicht unterlägen, sofern sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliche Verwaltungstätigkeiten ausübten und nicht nur Repräsentationsaufgaben wahrnehmen würden. Der politische Charakter der Tätigkeit schließe ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis nicht aus. Die gezahlten pauschalen Aufwandsentschädigungen stellten mit ihrem steuerpflichtigen Anteil Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung dar.
Am 18. Mai 2001 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, Ortsvorsteher würden aus den Reihen der Mitglieder des Ortsbeirates gewählt. Der Ortsvorsteher sei vergleichbar einem Gemeindevertreter bzw. dem Vorsitzenden einer Gemeindevertretung. Diese würden von den wahlberechtigten Bürgern gewählt. Die Tätigkeit des Ortsvorstehers sei daher dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zugänglich.
Mit Urteil vom 30. April 2004 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 2. Juni 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die auf der Grundlage vorgenannter Bescheide von ihr gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 2.622,94 DM zu erstatten. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, dass nach der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) es sich bei Ortsvorstehern nicht um Ehrenbeamte handele, sondern um schlicht ehrenamtlich Tätige. Das Ehrenbeamtenverhältnis werde durch Aushändigung einer Urkunde begründet. Dies sei bei den Ortsvorstehern nicht der Fall. Es läge ein kommunalpolitisches Mandat vor. Ortsvorsteher könnten nur Personen sein, die zuvor bei einer Komm...