Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweispflicht des Arbeitgebers auf Klagefrist nach § 4 KSchG. Keine Vorwirkung von Richtlinien für Arbeitsbedingungen auf Wirksamkeit der Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Enthält weder der Arbeitsvertrag noch die angegriffene Kündigung einen Hinweis auf die Klagefrist nach § 4 KSchG, so lässt sich die Unwirksamkeit der Kündigung nicht auf eine "Vorwirkung" der Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152/EU) oder auf eine richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung der §§ 623, 125 S. 1 BGB stützen.
Normenkette
BGB §§ 623, 125 S. 1; KSchG § 4; EURL 2019/1152; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 02.11.2021; Aktenzeichen 4 Ca 2099/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 02.11.2021 - 4 Ca 2099/20 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Die Klägerin war seit dem 18.02.2002 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei dem beklagten Verein als Übungsleiterin beschäftigt. Die Parteien schlossen unter dem 18.02.2002 und unter dem 04.11.2011 schriftliche Arbeitsverträge. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.08.2020, das der Klägerin am 31.08.2020 zuging, fristgemäß zum 28.02.2021.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage gewandt, die am 09.09.2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht den Erfordernissen der Richtlinie 2019/1152/EU vom 20.06.2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (nachfolgend: Arbeitsbedingungen-Richtlinie) entspreche.
Die Arbeitsbedingungen-Richtlinie lautet auszugsweise:
Artikel 4
Pflicht zur Unterrichtung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Arbeitgebern vorgeschrieben wird, die Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten.
(2) Die in Absatz 1 genannte Unterrichtung umfasst mindestens folgende Informationen:
(...)
j) Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen;
(...)
Artikel 5
Zeitpunkt und Form der Unterrichtung
(1) Sofern sie nicht früher bereitgestellt wurden, werden die Informationen gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a - e, g, k, l und m dem Arbeitnehmer individuell zwischen dem ersten Arbeitstag und spätestens dem siebten Kalendertag in Form eines oder mehrerer Dokumente zur Verfügung gestellt. Die übrigen Informationen gemäß Art. 4 Abs. 2 werden dem Arbeitnehmer individuell innerhalb eines Monats ab dem ersten Arbeitstag in Form eines Dokuments bereitgestellt.
(...)
Artikel 21
Umsetzung und Durchführung
(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die Maßnahmen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 01.08.2022 nachzukommen. Sie setzen die Kommission hiervon unverzüglich in Kenntnis.
(...)
Artikel 22
Übergangsbestimmungen
Die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten gelten spätestens am 01.08.2022 für alle Arbeitsverhältnisse. Ein Arbeitgeber muss jedoch die in Art. 5 Abs. 1 und in Art. 6 und 7 genannten Dokumente nur auf Aufforderung eines Arbeitnehmers, der an diesem Tag bereits beschäftigt ist, bereitstellen oder ergänzen. Das Ausbleiben einer solchen Aufforderung darf nicht zur Folge haben, dass Arbeitnehmer von den mit den Artikel 8 bis 13 eingeführten Mindestrechten ausgeschlossen werden.
(...)
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, zu den Informationspflichten, die den Arbeitgeber nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Arbeitsbedingungen-Richtlinie treffen, gehöre es, den Arbeitnehmer über die dreiwöchige Klagefrist gemäß § 4 KSchG zu unterrichten. Da diese Informationen in den Arbeitsverträgen, die die Parteien abschlossen, nicht enthalten und auch nicht zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung durch den Beklagten erfüllt worden seien (dies ist zwischen den Parteien unstreitig), liege ein Verstoß gegen die Arbeitsbedingungen-Richtlinie vor. Dieser Verstoß ziehe die Rechtsfolgen nach sich, dass die Kündigung nicht dem Schriftformerfordernis nach § 623 BGB entspreche und nichtig sei. Dieses Ergebnis rechtfertige sich aus der notwendigen richtlinienkonformen Auslegung des § 623 BGB vor dem Hintergrund des Frustrationsverbotes, das die Mitgliedstaaten verpflichte, alle Maßnahmen zu unterlassen, die geeignet seien, die Erreichung der in einer Richtlinie vorgeschriebene Ziele ernsthaft zu gefährden. Diese Unterlassungspflicht richte sich auch an die innerstaatlichen Gerichte.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30.08.2020 zum 28.02.2021 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte h...