Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Verfahrens analog § 148 Abs. 1 ZPO. Arbeitsvorgang als Bezugsobjekt für die tarifliche Bewertung. Quantitatives Maß schwieriger Tätigkeiten in Bezug auf die Gesamtarbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO nur möglich, wenn in Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG eine Aussetzung unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien angemessen erscheint. Dies ist bei der nach § 148 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Ermessenausübung anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

2. Maßgebliches Bezugsobjekt der tariflichen Bewertung ist der Arbeitsvorgang, für dessen Bestimmung das Arbeitsergebnis entscheidend ist. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen.

3. Das Merkmal der schwierigen Tätigkeiten, das in den Protokollnotizen der maßgebenden Vergütungsgruppen konkretisiert ist, ist im Umfang von mindestens der Hälfte der Gesamtarbeitszeit erfüllt, wenn Arbeitsvorgänge, die mindestens die Hälfte der gesamten Arbeitszeit in Anspruch nehmen, schwierige Tätigkeiten enthalten. Es genügt, dass die Anforderungen in einem rechtlich nicht ganz unerheblichen Ausmaß anfallen und ohne sie ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt würde.

 

Normenkette

ArbGG § 9; ZPO § 148 Abs. 1; GStO NRW § 4; BAT § 22; TV-L § 12 Abs. 1, § 12 Anl. EntgO Abschn. 12.1 EG 9, § 12 Anl. EntgO Abschn. 12.1 EG 9a; TVÜ-Länder §§ 5-6, 29a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 26.02.2020; Aktenzeichen 1 Ca 1385/19)

 

Tenor

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 26.02.2020 - 1 Ca 1385/19 - wird unter Neufassung des Tenors in der Hauptsache wie folgt zurückgewiesen:

Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 nach der Entgeltgruppe 9 TV-L und seit dem 01.01.2019 nach der Entgeltgruppe 9a TV-L zu vergüten und die sich insoweit ergebenden Differenzbeträge ab dem auf den jeweiligen Fälligkeitstag folgenden Tag mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das beklagte Land.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin als Beschäftigte in einer Serviceeinheit bei der Staatsanwaltschaft.

Die 1956 geborene Klägerin ist seit dem 18.07.1975 bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Justizangestellten. Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien waren bzw. sind kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit und kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und der den BAT mit Wirkung ab dem 01.11.2006 ersetzende Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sowie der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) und die mit Wirkung zum 01.12.2012 eingeführte Entgeltordnung zum TV-L anwendbar.

Die Klägerin ist bei der Staatsanwaltschaft Münster tätig und wird seit dem 01.06.2004 in einer Serviceeinheit bei der Staatsanwaltschaft Münster eingesetzt.

Ihrer Tätigkeit liegt eine Tätigkeitsdarstellung und - bewertung (im folgenden TDB) vom 25.10.2004 (Bl. 13 bis 21 d. A.) zugrunde. Sie verrichtet zu 75,72 % ihrer Gesamtarbeitszeit nicht schwierige Aufgaben des mittleren Justizdienstes und Schreibtätigkeiten in der Serviceeinheit. Nach der TDB erledigt sie folgende schwierige Tätigkeiten:

- Kostensachbearbeitung (0,14%)

- Normierungstätigkeiten (11,17 %), insbesondere Aufgaben nach der Zählkartenanordnung (10,93 %)

- sonstige schwierige Tätigkeiten (12,97 %), insbesondere Beantwortung von Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen formeller Art (1,82 %), Entscheidung über Aktenübersendungsersuchen von Gerichten und Behörden in abgeschlossenen Verfahren (2,07 %), geschäftsmäßige Abwicklung der gerichtlich abgeschlossenen Verfahren, die mit Freispruch, Einstellung oder Verwerfung oder Rücknahme des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid (§§ 70, 89 ff OWiG) geendet haben (3,81 %), Aufenthalts- und Anschriftenermittlung von Beschuldigten, Angeschuldigten, Angeklagten und Zeugen (1,32 %), Aufnahme von Anträgen und Erklärungen einschließlich Strafanzeigen (1,10 %), Entscheiderassistenz (2,64 %).

Bis zum 31.10.2006 vergütete das beklagte Land die Klägerin aus der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 1a der Anlage 1a zum BAT Teil II Abschnitt T Unterabschnitt I. Mit Wirkung zum 01.11.2006 wurde sie nach dem TVÜ-Länder iVm. der Anlage 2 Teil A in die Entgeltgruppe 6 übergeleite...

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