Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerspruch des Betriebsrats zur Versetzung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers. Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines Arbeitnehmers noch nicht erteilt, ist dem Arbeitgeber im Normalfall die Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gem. § 99 Abs. 4 BetrVG vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung zumutbar, wenn der Betriebsrat der Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu Unrecht die Zustimmung verweigert hat.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 4; SGB IX § 81 Abs. 4 S. 3, § 88 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Urteil vom 23.03.2010; Aktenzeichen 3 Ca 1703/09 O)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 23.03.2010 – 3 Ca 1703/09 O – abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 21.09.2009, zugegangen am 23.09.2009 nicht aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Der am 30.09.1962 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Er ist seit dem 07.04.1992 bei der Beklagten beschäftigt und erzielte zuletzt einen durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienst von 2.291,00 EUR. Bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gewählt. Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt.

Der Kläger war bis zum 31.08.2002 in der Kernmacherei im Werk I der Beklagten und seit dem 01.04.2003 als Walzwerk- und Gießereiarbeiter im Werk II der Beklagten tätig. Hinsichtlich dieses Arbeitsplatzes ist beim Kläger eine eingeschränkte Belastbarkeit gegeben.

Im Verfahren 1 Ca 907/06 haben die Parteien vor dem Arbeitsgericht Siegen um die Verpflichtung der Beklagten gestritten, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz in der Dreherei, in der Handmontage oder in der Kernmacherei zur Verfügung zu stellen und ihn dort zu beschäftigen. Durch Urteil vom 10.01.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren, das unter dem Aktenzeichen 15 Sa 238/08 vor dem Landesarbeitsgericht Hamm geführt wurde, haben die Parteien im Termin vom 04.12.2008 folgenden Vergleich geschlossen:

  1. „Die Beklagte verpflichtet sich, den Kläger nach entsprechender Vertragsänderung als Drehereiarbeiter in Wechselschicht und Entgeltgruppe 4 – vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrats und erfolgter rechtswirksamer Freikündigung des Arbeitsplatzes – auf dem leidensgerechtem Arbeitsplatz der Dichtigkeitsprüfung in der Dreherei zu beschäftigen.
  2. Die Parteien sind sich weiter darüber einig, dass zunächst eine stufenweise Wiedereingliederung von zunächst 3,5 Stunden pro Tag für 2 Wochen und dann von 5 Stunden pro Tag für 2 weitere Wochen erfolgen soll. Daran schließt sich ein Arbeitsversuch von 6 Monaten an. Nach erfolgreichem Arbeitsversuch wird der Kläger sodann dauerhaft auf diesem Arbeitsplatz eingesetzt.
  3. Damit ist der Rechtsstreit 15 Sa 238/08 erledigt.
  4. Hinsichtlich der Kosten der 1. Instanz verbleibt es bei der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Kosten der 2. Instanz werden gegeneinander aufgehoben.”

Auf Antrag der Beklagten vom 11.12.2008 stimmte der Betriebsrat des Werkes II der Versetzung des Klägers in das Werk I noch unter dem 11.12.2008 zu. Der ebenfalls mit Schreiben vom 11.12.2008 zur Versetzung des Klägers angehörte Betriebsrat des Werkes I widersprach jedoch der Versetzung des Klägers mit Schreiben vom 17.12.2008, das folgenden Inhalt hat:

„Betriebsrat der Firma K3, Werk I O1, 17.12.2008

An die Geschäftsführung

Firma K3

Ihr Antrag auf Zustimmung über die Versetzung von Herrn I1 K1 aus der Gießerei II in die Dichtigkeitskontrolle Dreherei Werk I

hier: Widerspruch gemäß § 99 Ziff. 3 BetrVG

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Betriebsrat hat auf seiner Sitzung vom 17. Dezember 2008 den Beschluß gefaßt, dem Antrag auf Zustimmung über die Versetzung von Herrn K1, wie oben beschrieben, nach § 99 Ziffer 3 BetrVG zu widersprechen.

Zu den Gründen:

Herrn K1 wurde die Arbeitsstelle in der Sichtigkeitskontrolle Dreherei Werk I im Rahmen eines Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht Hamm als leidensgerecht angeboten. Von diesem Angebot sind jetzt die anderen Mitarbeiter im Bereich der Dichtigkeitskontrolle Dreherei Werk I betroffen, da im Rahmen einer Sozialauswahl für ein Freikündigen des Arbeitsplatzes für Herrn K1 einer Person konkret gekündigt werden soll (siehe Antrag auf Kündigung von Frau J1 S3 zum 31.01.2009). Die Geschäftsführung kann jedoch bis heute nicht sagen, ob der Arbeitseinsatz von Herrn K1 in dem oben beschriebenen Bereich überhaupt von Erfolg gekrönt sein wird, da vereinbarungsgemäß zunächst eine stufenweise Wiedereingliederung von zunächst 3,5 Stunden pro Tag für 2 Wochen und dann von 5 Stunde...

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